Degenkolb verpasst Medaille knapp
Radsport: WM-Titel an Belgier Gilbert, Platz vier für den Erfurter / Frauensieg an Niederländerin Vos
John Degenkolb hat die ganz großen Erwartungen nicht erfüllt, auf Rang vier aber ein bravouröses WM-Rennen geführt. Der neue Straßenweltmeister, der Belgier Philippe Gilbert, erreichte das Ziel nach 269 km als Solist fünf Sekunden vor dem 23-jährigen Erfurter, der auf einen Massenspurt gehofft hatte.
»Es war ein starkes Rennen, der vierte Platz ist sehr undankbar. Man bekommt nicht oft die Möglichkeit, Weltmeister zu werden oder aufs Podium zu kommen«, sagte Degenkolb nach seinem beeindruckenden Auftritt. Silber holte sich vier Sekunden hinter Gilbert der Norweger Edvald Boasson Hagen vor dem Spanier Alejandro Valverde.
Gilbert hatte seinen Coup auf der Schlusssteigung auf dem gefürchteten Cauberg eingeleitet und aus einer 48 Fahrer starken Gruppe drei Kilometer vor dem Ziel attackiert. Ihm konnte keiner folgen. Schon 400 m vor dem Zielstrich begann der 30-Jährige Topfavorit zu jubeln. Trotz der Empfehlung von fünf Etappensiegen bei der Spanien-Rundfahrt musste Degenkolb schließlich der Dominanz der großen Stars Tribut zollen.
»Unser Team war unheimlich stark. Ich wollte das vergolden oder versilbern«, sagte Degenkolb. »Wir haben bewiesen, dass wir das Rennen mitbestimmen können. Ich freue mich auf die kommenden Jahre.« Vorerst bleibt Rudi Altig mit seinem Sieg 1966 auch im 46. Jahr auf dem Thron des letzten deutschen Profiweltmeisters.
Auf der 108 km langen Anfahrt zum WM-Rundkurs um den Cauberg hatte sich eine elfköpfige Spitzengruppe gebildet. Sie nahm vor mehreren Hunderttausend Zuschauern die letzten zehn Runden mit über fünf Minuten Vorsprung in Angriff. Aber das hatte für den Ausgang des Rennens noch keine Bedeutung. Denn richtig zur Sache ging es erst fünf Umläufe vor Schluss, als sich eine 29 Fahrer starke Ausreißergruppe gebildet hatte, die von Vuelta-Gewinner Alberto Contador (Spanien) angeführt wurde. Degenkolb fuhr dahinter in einer Verfolgungerformation und schaffte den Zusammenschluss in der vorletzten Runde. Die Topfahrer rüsteten zum letzten Antritt auf dem bis zu 14 Prozent steilen Cauberg.
»Ich kann das kaum realisieren. Wir haben den Sieg verdient, weil wir als Mannschaft eine super Arbeit geleistet haben. Ich habe die Lücke auf dem Cauberg gesehen und sie ausgenutzt - das ist phänomenal«, sagte Gilbert. Auf ähnlichem Kurs hatte er 2010 und 2011 das Amstel Gold Race gewonnen und sich mit der Silbermedaille im WM-Teamzeitfahren zum WM-Auftakt auf seinen Triumph vom Sonntag eingestimmt.
120 Kilometer vor dem Ziel war der Titelverteidiger Mark Cavendish mit der Startnummer eins auf dem Rücken vom Rad gestiegen. Schon vor dem Start hatte der Brite bekundet, dass der Kurs ihm überhaupt nicht liege und er sich keinerlei Siegchancen ausrechne. Er sei nur »aus Respekt vor dem Regenbogentrikot« angetreten und verrichtete Helferdienste. Drei Runden später folgten ihm die britischen Tour-Stars Bradley Wiggins und Christopher Froome, die nicht mehr mitkamen.
Judith Arndt zum Abschied Achte
Am Vortag war im Straßenrennen der Frauen über 128,8 km Judith Arndt im letzten Rennen ihrer Karriere und vier Tage nach ihrem WM-Titel im Zeitfahren, als Achte eine Medaille versagt geblieben. »Jetzt bin ich froh, dass es vorbei ist«, sagte die Olympiazweite von London, die nach 21 Jahren keine Lust mehr hatte auf Quälerei. In ihrer neuen Wahlheimat Australien will die dreifache Weltmeisterin ein Studium der Soziologie und Kulturwissenschaft beginnen. »Einen Rücktritt vom Rücktritt wird es nicht geben«, sagte die 36-Jährige.
Den Titel holte sich die Topfavoritin und Olympiasiegerin Marianne Vos (Niederlande). Sie feierte den ersten Sieg der Gastgeber in einem Alleingang mit 10-s-Vorsprung vor der Australierin Rachel Neylan, Bronze ging an Elis Longo Borghini. Die aussichtsreiche fahrende Trixi Worrack (Cottbus) wurde zweieinhalb Runden vor Schluss vom Defekt gebremst und musste ihr Velo wechseln - 57.
Der Bund Deutscher Radfahrer (BDR) zog eine positive Bilanz der Titelkämpfe: zweimal Gold im Zeitfahren durch Judith Arndt und Tony Martin sowie Bronze für den Berliner Junioren-Zeitfahrer Maximilian Schachmann.
Resultate Seite 19
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.