Gummigeschosse und Schlagstöcke gegen empörte Spanier
Regierung in Madrid stößt bei der Durchsetzung der Sparmaßnahmen auf Widerstand in mehreren Landesteilen
Das Echo am Mittwochmorgen nach der in Gewalt ausgeuferten Demonstration in Madrid war so gespalten wie die Situation in den Straßen in der Nacht davor. Nachdem mehrere tausend Menschen während des gesamten Dienstags friedlich in der spanischen Hauptstadt demonstrierten, versuchten wenige von ihnen, am Abend doch noch die Absperrgitter niederzureißen, die um das Parlament aufgestellt waren. Danach ging die Polizei massiv gegen die Protestierer vor: Gummigeschosse, Knüppel, Tränengas und Pfefferspray kamen zum Einsatz.
Lob für den Polizeieinsatz
Einige Demonstranten bewarfen ihrerseits die Beamten mit Flaschen und Steinen. Mindestens 64 Menschen wurden verletzt, davon 27 Polizeibeamte. 35 mutmaßliche Gewalttäter wurden verhaftet.
Während die Veranstalter der Demonstration die Brutalität der Polizei kritisierten, hat die konservative Regierung die Vorgehensweise der Beamten »ausdrücklich« gelobt. Innenminister Jorge Fernández Díaz sagte, die Polizei sei »außerordentlich gut« vorgegangen. Kritik übte sie an den gewalttätigen Demonstranten. »Man muss auf Forderungen eingehen, die auf friedlichen Kundgebungen vorgebracht werden«, sagte Vizeregierungschefin Soraya Sáenz de Santamaría. »Aber wenn gewaltsam gegen die Vertretung aller Spanier vorgegangen wird, ist das eine andere Sache.« Die oppositionellen Sozialisten äußerten Verständnis für den Unmut in der Bevölkerung, wiesen aber darauf hin, dass Gewalt gegen das Parlament nicht hinnehmbar sei.
Die »Koordination 25-S«, die zum Protest aufgerufen hatte, sprach von »sehr kleinen Gruppen«, die zu Mitteln gegriffen hätten, die nicht denen der Aufrufer entsprächen. Die Empörten-Bewegung hatte stets den friedlichen Charakter des Protests hervorgehoben. In einer Erklärung schließen die Veranstalter nicht aus, dass sich unter den »Krawallmachern« auch »infiltrierte Polizisten« befunden haben.
Neu wäre das nicht. So wurde bei der Belagerung des katalanischen Regionalparlaments im Sommer 2011 eine Gruppe maskierter Krawallmacher von den Demonstranten isoliert und schließlich - zum Erstaunen der Demonstranten - von der Polizei hinter die Absperrungen geleitet.
Kein Ende der Proteste
Soraya Sáenz de Santamaría äußerte sich bereits vor der Demonstration kritisch: »Das letzte Mal, dass der Kongress eingekreist und eingenommen wurde, war bei einem Staatsstreich.« Damit bezog sie sich auf Vorgänge von 1981, als Beamte der paramilitärischen Guardia Civil mit Maschinenpistolen bewaffnet das Parlament gestürmt hatten.
Die Empörten wollten mit ihrer Aktion die »Demokratie retten«, denn die Politiker hätten sie »entführt«. Sie sprechen von einer »Zweiparteiendiktatur der PPSOE«. Die regierende Volkspartei (PP) und die Sozialisten (PSOE) hätten ein Wahlsystem geschaffen, das kleine Parteien stark benachteiligt, um sich gegenseitig an der Macht abzulösen und keine Alternative zuzulassen. Die Empörten fordern den Rücktritt der Regierung, die entgegen ihren Versprechen Steuern erhöht, Löhne im öffentlichen Dienst gekürzt und massive Einschnitte im Sozialsystem vorgenommen habe. Gegen die Sparpolitik protestierten bereits am 15. September Hunderttausende in der Hauptstadt. Unter Führung der großen Gewerkschaften forderten sie erfolglos ein Referendum über die Regierungspolitik.
Noch am gestrigen Abend wollten die Empörten erneut vor das Parlament ziehen, das voraussichtlich heute mit dem Haushalt 2013 neue massive Einschnitte beschließen wird. Gegen diese protestierten am Mittwoch auch die Gewerkschaften im weit von Madrid entfernten Baskenland. Beim fünften baskischen Ausstand seit dem Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 setzten die Gewerkschaften erneut auf die Mobilisierung der sozialen Basis, um den »neoliberalen Durchmarsch« zu stoppen.
Auch aus Katalonien erfährt die Zentralregierung derzeit keine guten Nachrichten. Regierungschef Artur Mas teilte am Dientagsabend mit, die Bevölkerung der nordostspanischen Region am 25. November über die Unabhängigkeit abstimmen zu lassen - notfalls auch gegen den Willen von Ministerpräsident Mariano Rajoy. Nach der spanischen Verfassung darf allein der Zentralstaat Volksabstimmungen abhalten.
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