Aus Mangel an Solidarität

Die Eurokrise schwappt über die Grenzen der Währungsunion nach Osteuropa

  • Katja Herzberg
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Folgen der Banken- und Schuldenkrise in Europa bekommen nicht nur die Menschen in den Euroländern zu spüren. Die weitaus schärferen Probleme in Osteuropa wird wenig Beachtung geschenkt.

Nur wenige erinnern sich daran, dass vor Griechenland und Spanien bereits Lettland, Litauen, Rumänien und auch Ungarn vor dem wirtschaftlichen Bankrott gerettet werden mussten. Der Protest gegen die damals weit höheren Sparauflagen der EU war nicht vergleichbar mit den Ausständen dieser Tage. Dass Länder ohne Euro, insbesondere in Osteuropa, nun auch wieder unter der Krise zu leiden haben, findet ebenso wenig Beachtung. Währungsschwankungen und -abwertungen um bis zu 25 Prozent sowie Preissteigerungen bei Importware sorgen für die größte Unsicherheit. Doch der Riss innerhalb der EU zeigt sich auch bei einem Blick auf Zahlen wie Arbeitslosigkeit und Pro-Kopf-Einkommen. Die wirtschaftlichen Probleme der Euroländer wirken direkt auf die anderen EU-Mitglieder ohne Gemeinschaftswährung.

So führt die Krise auch wieder zu einem Anwachsen der Teilung. Die sieht der ungarische Arbeitsmarktforscher Béla Galgóczi vor allem bei den Einkommen. »Wir haben noch immer große Lohnunterschiede in der EU. Sie waren in der Vergangenheit viel größer, jetzt liegen sie bei einem Verhältnis von 1:4«, sagte er bei einer Diskussion mit dem Europa᠆abgeordneten Jürgen Klute (LINKE) am Dienstag in Brüssel. Am größten seien sie noch immer zwischen Ost und West, so der Wissenschaftler des European Trade Union Institute (ETUI). Den Grund dafür sieht Galgóczi vor allem in einer mangelhaften Steuerung der Lohnentwicklung durch die EU.

Um dem entgegen zu wirken schlägt Galgóczi einen europaweiten Mindestlohn vor. In 20 EU-Mitgliedstaaten gibt es bereits nationale Mindestlöhne. »Einheitliche Mindestlöhne sind in Europa nicht möglich, aber auch nicht notwendig. Das Prinzip müsste lauten: 50 oder 60 Prozent des Durchschnittslohn als Minimum.« Dies würde zu einer deutlichen Erhöhung bestehender Mindestlöhne führen, die bislang bei etwa 30 Prozent der Durchschnittsverdienste liegen - in Ungarn sind dies 300 Euro, in Österreich 3000 Euro. Solch eine Initiative fordert auch LINKEN-Politiker Klute. »Man nutzt Lohnunterschiede aus. Wenn man das verhindern will, gibt es auf europäischer Ebene die Möglichkeit einen Mindestlohn einzuführen.«

Klute kritisierte die mangelnde Solidarität in Europa. »Sie wird zwar immer wieder eingefordert, auch hier im Parlament. Aber gelebt wird sie nicht«, so der Abgeordnete. Verständnis dafür hat er nicht. Die Griechen arbeiteten genauso hart wie andere Europäer. »Man kann Europa nicht nur als wirtschaftliches Projekt machen. Es muss ein soziales Projekt sein«, fordert Klute. Denn den Bürgern werde Europa nur plausibel sein, wenn sie merken, »dass sie davon etwas haben«. Galgóczi geht noch einen Schritt weiter. »Was wir jetzt in Europa brauchen, ist viel mehr als Solidarität. Wir brauchen gemeinsame Verantwortung.« Eine gemeinsame Währung hieße nicht nur nicht Geld und Markt zu teilen, sondern auch für Regulierung zu sorgen, etwa im Bankensektor.

Eine wichtige Rolle spielen nach Meinung von Galgóczi die Gewerkschaften. »Man sollte in den Gewerkschaften eher die Lösung sehen als das Problem. Aber sie müssen über die Großdemonstrationen hinaus aktiv werden.« Grenzüberschreitende Initiativen wie die Lohn- und Tarifkoordinierungsrunden in der Metall und Chemiebranche seien dafür beispielgebend.

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