Ein Großteil des hierzulande angebotenen Spielzeugs wird heute in Asien produziert - häufig von Kindern und unter schlimmen Arbeits- und Lebensbedingungen.
Es ist heiß, die Luft ist stickig und der ohrenbetäubende Lärm in den Fabrikhallen der chinesischen Sonderwirtschaftszone Shenzhen unerträglich. Die 13-jährige Luping schuftet hier, damit sich Mädchen und Jungen in Deutschland und anderen reichen Industrieländern amüsieren können. Sie stellt Spielzeug her. Umgerechnet zwei Euro bekommt Luping am Tag. Wenn sie davon für das schlechte Essen und die enge Unterkunft mit viel zu knapp bemessenen sanitären Anlagen bezahlt hat, schickt sie den minimalen Rest an ihre Familie.
Währenddessen finden die Spielwaren in den deutschen Kinderzimmern kaum noch Platz, denn bei uns haben die 6- bis 17-Jährigen über 10 Milliarden Euro Taschengeld, wie die Kids-Verbraucher-Analyse 2001 der Verlage Lübbe, Bauer und Springer ermittelte. Und während sich Anna und Jonas in ihren deutschen Kinderzimmern an Harry Potter-, Barbie- und Chou-Chou-Puppen erfreuen, träumen Luping und die anderen kleinen Arbeiterinnen in Shenzhen von kürzeren Arbeitszeiten, von Löhnen, die zum Überleben reichen und von einem Job, der nicht krank und kaputt macht.
Eine im Dezember 2001 veröffentlichte Studie Hongkonger christlicher Komitees trägt die Skandale aus Unternehmen zusammen, die für multinationale Konzerne wie Mattel, Hasbro, McDonald's und Walt Disney produzieren. Eine Arbeiterin in der Lackiererei eines Unternehmens klagte: »Wir müssen bis 23 Uhr arbeiten. Wenn wir dann in die Unterkunft kommen, müssen wir Schlange stehen, um duschen zu können und die Kleider zu waschen. Naja, und dann kannst du erst um zwei Uhr in der Früh einschlafen... Wie soll man da genug Schlaf kriegen?« Am Arbeitsplatz stinke es nach Chemie und überall schwebten Farbwolken. Ständig habe sie Magenschmerzen und ihr sei immer schwindlig.
Junge Frauen sind die Leidtragenden, aber auch Kinder werden für die Spielzeugindustrie rekrutiert und müssen unter schlimmsten Arbeitsbedingungen bis zu 16 Stunden schuften. Schon ab einem Alter von neun Jahren sind manche »beschäftigt«, bevorzugt Mädchen, da sie »fügsamer« sind.
Der größte Spielwarenhersteller der Welt, die Firma Mattel, erntete herbe Kritik, als sie ihre Barbie-Puppen unter Ausnutzung von Kinderarbeit in Indonesien einkleiden ließ. Seitdem lässt Mattel immerhin die Produktion überprüfen. Trotz eines Verhaltenskodexes, der Überprüfung und der Veröffentlichung der Ergebnisse hat Mattel jedoch noch keine zufrieden stellenden Arbeitsbedingungen in seinen Fabriken durchgesetzt. Eine aufmerksame Lektüre von Prüfberichten und Diskussionen mit Arbeiterinnen zeigen beunruhigende Tatsachen: Hitze, Lärm und chemische Luftbelastung; wöchentliche Arbeitszeiten von 60 Stunden; Löhne, die keinen ausreichenden Lebensunterhalt ermöglichen; Schlafsäle, die immer noch überfüllt sind. Schon ein eigenes Bett und ein abschließbarer Schrank werden im Prüfbericht als Fortschritte gerühmt.
Selbst wenn Mattel mehr als andere Spielzeugunternehmen tut und die Sicherheitsstandards in seinen Fabriken verbessert hat, gibt es für diese Missstände keine Entschuldigung. Bei Kindern in Deutschland stößt dies inzwischen auf Wider-stand. Unmut bekommt vor allem McDonalds zu spüren. Protestbriefe häufen sich, in denen Kinder vom größten Bulettenbrater der Welt beispielsweise verlangen, die Figürchen, die den »Juniortüten« beigefügt werden, nicht mehr in China zu kaufen. Viele drohen mittlerweile, solange keine Big Mäc's zu konsumieren, bis der Import dieser Beigabe gestoppt wird.
Schülerinnen und Schüler des Nepomucenum-Gymnasiums im münsterländischen Coesfeld waren besonders aktiv. Sie sammelten 700 Unterschriften für einen Protestbrief. Angefangen hatte alles damit, dass Sylvia Bodde-Mürmann, Lehrerin des evangelischen Religionskurses, zum Unterrichtsbeginn einen Text über »Kinderarbeit für McDonalds« vorlas. Einige Schüler waren so entsetzt, dass sie sich spontan entschlossen, an die McDonald's-Zentrale in München zu schreiben. Zuerst unterschrieb die gesamte Klasse, dann, nach Aushang des Briefes am schwarzen Brett, fast alle anderen Schüler und Schülerinnen des Gymnasiums. Einige Schüler gingen am Tag der offenen Tür mit Plakaten durch die Schule, um auch die Eltern auf die Aktion hinzuweisen. Eine Schülerin berichtete: »Viele Eltern entschlossen sich spontan, nicht mehr zu McDonalds zu gehen oder zumindest keine Juniortüten mehr zu kaufen.«
McDonald's reagierte: »Unser Lieferant Simon Marketing und wir werden alles Notwendige unternehmen, um sicherzustellen, dass die entsprechenden Arbeitsbedingungen in unseren Produktionsstätten herrschen. Sollten die Ergebnisse der Untersuchungen nicht zu unserer Zufriedenheit ausfallen, werden wir alle notwendigen Schritte einleiten, um sofortige Abhilfe zu schaffen.«
Bekannt wurde diese Aktion über Coesfeld hinaus, als die Religionsgruppe der Klassen 7 des Nepomucenums beim 31. Internationalen Jugendwettbewerb der Volksbanken in der Stadthalle von Münster einen Preis erhielt. Sabriye Tenbergen, die - selbst blind - allen Widerständen zum Trotz die erste Blindenschule in Tibet gründete, überreichte den Schülerinnen und Schülern Scheck und Urkunde. »Sich für andere einzusetzen macht Spaß«, kommentierte die Bambi-Preisträgerin und Bestsellerautorin das Engagement der Kinder. Eine Schüler-Sprecherin aus Coesfeld brachte es auf den Punkt: »Spielwaren sollen Kindern Freude machen, aber nicht auf Kosten anderer Kinder, und zwar nirgendwo auf der Welt.«
Klaus Heidel, Siegfried Pater, Klaus Piepel: Spielverderber - Das Geschäft mit dem Kinderspielzeug, RETAP Verlag, Bonn 2002, 136 Seiten, 9,90 Euro.