Heidelberg (ND). Nicht immer entscheiden die Gene, welches Geschlecht ein Tier erhält. Bei manchen Arten entscheidet dies die Umwelt. Bei einigen Tierarten entscheidet gar ein Bakterium über das Geschlecht des Nachwuchses, berichtet die Heidelberger Zeitschrift »Spektrum der Wissenschaft« in ihrer Oktober-Ausgabe. Damit zeichnet sich nicht nur ein neuer Evolutionsmechanismus ab, die Entdeckung bietet vielleicht auch neue Waffen zur Bekämpfung von Krankheiten, die durch Insekten übertragen werden, wie etwa Malaria oder Dengue-Fieber.
Die bakteriellen Schmarotzer tragen den wissenschaftlichen Namen »Wolbachia«. Diese besonders winzigen Bakterien leben in den Zellen sehr vieler wirbelloser Tiere, so auch in Fadenwürmern und in Krebstieren, beispielsweise in Asseln. In Insekten verwenden die Mikroben eine Vielzahl von Tricks, um das Geschlecht ihrer Wirte so umzupolen, dass es die optimalen Voraussetzungen für die eigene Verbreitung der Bakterien bietet. Wolbachia besiedeln ihre Wirtsarten und deren Vorfahren schon seit Jahrmillionen, und sie können schon lange nicht mehr in neue Organismen überspringen. Sie können einzig - über die Eizellen - die Nachkommen ihres Wirtes infizieren.
Die Evolutionsforscher Laurence D. Hurst und James P. Randerson von der Universität Bath in England schildern einige Tricks der Wolbachia-Parasiten. Für die Bakterien sind letztlich nur Insekten-Weibchen nützlich. So haben die Schmarotzer verschiedene Möglichkeiten gefunden, die Entwicklung von Insekten-Männchen zu verhindern.
In manchen Fällen sorgen sie beispielsweise dafür, dass die männlichen Insekten-Embryonen frühzeitig absterben. In einigen Schmetterlingspopulationen kommen darum kaum noch Männchen vor. Beim Zweipunkt-Marienkäfer können die frisch geschlüpften weiblichen Larven ihre abgestorbenen männlichen Brutgeschwister sogar fressen, was ihnen von vornherein einen Überlebensvorteil gegenüber nicht sogleich mit Futter versorgten Artgenossinnen verschafft.
Bei Asseln dagegen verzichten die Bakterien nicht auf die genetisch männlichen Tiere, sondern sie verwandeln sie kurzerhand in weibliche. Dazu blockieren sie nur die Ausbildung einer Hormondrüse, die dem frühen Embryo ein Männchen-induzierendes Hormon liefert.
Zu den für die medizinische Forschung interessanten Verhaltensweisen des Bakteriums gehört eine Strategie, die der Wolbachia-Parasit bei Taufliegen anwendet. Die Spermien befallener Männchen kommen bei diesen Insekten nur in jene Eizellen hinein, die selbst mit dem Bakterium infiziert sind. Das bedeutet, dass gesunde Weibchen ohne Nachwuchs bleiben. Diesen Mechanismus möchten Seuchenforscher für Moskitos ausnutzen, um etwa Malaria zu bekämpfen.
Weil die Wolbachia-Bakterien Insekten-Linien voneinander trennen, könnten sie die Evolution dieser artenreichsten aller Tiergruppen forciert haben und dies auch heute noch tun. Hochrechnungen zufolge dürften Millionen von Insektenarten diese Parasiten beherbergen. Die besonders rasche Evolution der Insekten konnten Evolutionsforscher bisher noch nicht hinreichend erklären.