Bei mir kommt kein Pferd in die Wurst

Martin Rölkes Leben gehört den Pferden. Er war einer der besten Jockeys der DDR, heute ist er einer der profiliertesten Trainer im deutschen Galopprennsport

  • Regina Seifert
  • Lesedauer: 8 Min.
Vor den Toren Berlins liegt eine der schönsten und ältesten Pferderennbahnen Deutschlands - die Galopprennbahn Hoppegarten. Mitten in einer parkähnlichen Landschaft, nur eine halbe S-Bahnstunde vom hauptstädtischen Zentrum entfernt, bieten drei Zuschauertribünen Sitzplätze für rund 4000 Besucher. Die prächtigste ist die Kaisertribüne, die ihren Namen in Anlehnung an den Hoppegarten-Förderer Kaiser Wilhelm I. erhielt. An Schönwetter-Renntagen laden die großzügig angelegten Rasenflächen zum Familienpicknick unter alten Linden ein. Doch die meisten Rennbahnbesucher haben nicht viel Sitzfleisch. Sie fahren hinaus nach Hoppegarten, um ihr Glück zu versuchen - beim Wetten; ab anderthalb Euro kann jeder dabei sein. Und das erfordert ständige Bewegung. Zwischen dem Führring, wo sich Pferde und Jockeys vor jedem Rennen präsentieren und der Wettbegeisterte sich die letzten Informationen über die Tagesform seines Favoriten holt, dem Toto-Schalter, der Rennbahn und dem Platz für die Siegerehrung wogen die Menschenmassen auf und ab. Ohne Hektik, man flaniert sozusagen. Am Ende, nach dem fünften oder achten Rennen, hat man einige Kilometer zurückgelegt. Bei welcher Sportart ist das Publikum schon selbst Akteur. Das macht diesen Sport so sympathisch. Es ist Dienstag, 8 Uhr in der Frühe. Die Zuschauertribünen sind leer. Über der Anlage liegt noch der Morgendunst. Alltag in Hoppegarten. Und der gehört den Trainern mit ihren Pferden, die gleich um die Ecke in den Stallanlagen an der Bollensdorfer Tranierbahn, die zum Gelände gehört, ihr Quartier bezogen haben. Martin Rölke steht am Rande der Bahn im feuchten Gras und beobachtet durch sein Fernglas das Geschehen auf der anderen Seite. Wie immer an diesem Tag um diese Zeit sind seine Einjährigen auf der Bahn. Die »Anfänger« unter den 28 Pferden in seinem Stall, die erst lernen müssen, richtige Galopper zu werden. An den Sattel, das Gewicht des Jockeys und den Jockey haben sie sich bereits gewöhnt. Nun müssen sie die Geschwindigkeit und das Durchhaltevermögen über die verschiedenen Renndistanzen trainieren. Unter Leitung eines erfahrenen Führpferdes. Doch das will an diesem Morgen partout nicht auf die Strecke. »Da habe ich einen Fehler gemacht, hätte ein anderes nehmen sollen.« Der Trainer ärgert sich über sich selbst. Aber der Ärger ist schnell verflogen. Als die jungen Galopper zu ihm herüberkommen, gibt es für jeden eine Hand voll Gras und Klee zur Belohnung und aufmunternde Worte für die »Pferdemädchen«, wie Rölke seine zumeist weiblichen Angestellten väterlich nennt. Der Alltag auf der Rennbahn beginnt im Morgengrauen und kennt keinen Sonn- und Feiertag. Während seine Mannschaft die Boxen ausmistet, ist Martin Rölke mit der Sense auf seinem Luzernenfeld. »Meine tägliche Morgengymnastik«, lacht der 56-Jährige. »Und meine Pferde mögen Luzerne besonders gern.« Zwei Stunden am Tag sind seine Galopper im Freien, auf der Koppel, in der Führmaschine oder auf der Trainierbahn. Die Bollensdorfer Tranierbahn ist die qualitativ beste dieses Landes, meinen Kenner. Doch heute darf die Arbeit noch ein bisschen warten. Denn im Aufenthaltsraum gleich neben den Pferdeboxen steht eine Torte auf dem Tisch. Jaqueline, eine von Rölkes sieben Mitarbeitern, hat Geburtstag. Der Chef hat's vergessen. Aber niemand ist ihm böse. Schon gar nicht das Geburtstagskind. Das Geschenk haben die anderen besorgt. In gemütlicher Runde sitzen sie zusammen. Die Zeit muss sein. Auch Rölkes Frau Danila ist dazu gekommen. Sie ist gleichzeitig die Buchhalterin des kleinen Unternehmens. Ihre zierliche Gestalt verrät ihren eigentlichen Beruf. Bis zur Geburt von Tochter Vivian war auch sie Jockey. Danach hat sie aufgehört: »Weil er zu gefährlich war.« »Vivian« steht auch über Martin Rölkes Stall. Er hat ihn nach der jüngsten Tochter benannt. Der Trainer ist zum zweiten Mal verheiratet. Sein Sohn und seine Tochter aus erster Ehe sind bereits erwachsen und haben ihn zum dreifachen Großvater gemacht. In seine Fußstapfen ist keiner von beiden gestiegen. »Dafür sind sie zu groß geworden«, meint der Vater. Die Ponys, die er ihnen als Kinder geschenkt hatte, fressen noch heute ihr Gnadenbrot. »Mit denen konnten meine Kinder leider nicht viel anfangen. Das eine war störrisch, das andere nur verfressen.« Geboren und aufgewachsen ist Martin Rölke in Zitzschen bei Leipzig. Man hört es heute noch an seinem leicht sächselnden Tonfall. Das kleine Dorf lebte vor allem von der Landwirtschaft, wo er als Kind in der Erntezeit half. »Da haben wir Kinder hin und wieder die Ackergäule als Reitpferde benutzt.« Vielleicht hat dasseine Liebe zu diesen Vierbeinern geprägt. Denn schon als Junge stand für ihn der Berufswunsch fest: Er wollte Jockey werden. Sehr zum Leidwesen der Mutter, die strikt dagegen war: »Ich sollte einen ordentlichen Beruf lernen.« Doch Vater, ein leidenschaftlicher Rennbahnbesucher, und Sohn setzten sich durch. Als Vierzehnjähriger begann Martin Rölke auf der Leipziger Galopprennbahn seine Jockeylehre. »Mit Schuhgröße 38 und 38 Kilo.« Die Schuhgröße hat er heute noch, die Pfunde sind mehr geworden. Der Trainer streicht sich über seinen Bauchansatz. Mit dem Idealgewicht eines Jockeys bis zu 50 Kilo kann er nicht mehr mithalten. Mit fünfzehn gewann er sein erstes Rennen. Am Ende seiner Jockeylaufbahn 1988 waren es 833 Siege. An den Wänden im Aufenthaltsraum seines Stalles hat Martin Rölke die wichtigsten Ereignisse in Bildern dokumentiert. Sein großer Traum, einmal gegen die britische Jockey-Legende Lester Pigott an den Start zu gehen, ging nicht in Erfüllung. Galopper der DDR gingen international nur östlich der Elbe an den Start. Dennoch findet sich unter den Fotos an der Wand eines von Rölke und dem drahtigen, um einiges älteren Engländer. Sie haben sich in den 90er Jahren doch noch kennen gelernt. Der eine war noch Jockey, der andere schon Trainer. 1989 begann Martin Rölke in Hoppegarten seine Trainerlaufbahn. Ein Jahr später machte er sich selbstständig, wie andere auch. Gegenwärtig arbeiten auf dem Gelände zwölf Trainer mit 180 Galoppern. Rölke gehört zu den profiliertesten im deutschen Galoppsport. »Heute geht es oft nur noch darum, die Pferde so schnell wie möglich ins Rennen zu bringen, um Geld zu verdienen. Die Rennen der Zweijährigen sind besonders hoch dotiert. Martin ist bekannt für sein behutsames Training. Pferde, die er in eine gute Form bringt, halten sie gewöhnlich für lange Zeit«, sagt sein Freund Gerti. In der Euphorie der Nachwendezeit hatte Martin Rölke bis zu 60 Galopper im Training. Er erinnert sich an die Fahrten nach Irland, wo sie Rennpferde gleich en Gros gekauft haben. Viele ostdeutsche Mittelständler, die zu Geld gekommen waren, hätten sich damals Rennpferde angeschafft. Das war auch die Zeit, wo Artan in seinen Stall kam. Sein bisher erfolgreichster Hengst. Mit ihm gewann er das norwegische Derby in Oslo, siegte in Marseille im Prix André Babon und beim Premio Presidente della Repubblica in Rom und galoppierte auch in Hongkong. Doch dann kamen die mageren Jahre. Das Geld blieb aus. Es musste gespart werden, und »das fing meistens beim Hobby an«. Rölke merkte es, wenn das Geld für Futter und Training ausblieb. In dieser Zeit steckte er eine Menge eigenes Kapital in seinen Stall. »Der Galopprennsport«, erklärt er, »ist teuer und darum ein Sport für Reiche oder für Kollektive. Darum gibt es in den traditionellen Galoppsport-Ländern Syndikate, wo sich mehrere Leute gemeinsam ein Rennpferd halten.« Aber aufgeben wollte er deshalb nicht. Drei seiner 28 Galopper gehören ihm selbst. Auch die Stute Starlet of Fortune, »die auch schon einige Rennen gewonnen hat«. Die anderen kommen von den Gestüten Westerberg und Irenenhof oder gehören kleineren Besitzern aus Berlin, Leipzig, Dresden und Frankfurt/Main. Ein gut trainiertes Pferd kann bis zu seinem 13. Lebensjahr Rennen laufen. Danach geht es entweder in die Zucht oder... Martin Rölke errät den Gedanken: »Bei mir kommt kein Pferd in die Wurst. Wir versuchen, unsere Tiere gut unterzubringen, als Reitpferde zum Beispiel.« Magere Jahre erlebte auch die Galopprennbahn Hoppegarten. Die Hoffnung, sie nach der Wende wieder zu einer der besten Adressen des deutschen und internationalen Galoppsports zu machen, ging nicht auf. Die Zuschauerzahl halbierte sich. Was sich letztlich auch auf die Trainerzahl und den Pferdebestand auswirkte. »Tiefer hätten wir nicht mehr fallen können«, beinahe hätte auch Martin Rölke seinen Optimismus verloren. Doch inzwischen hat sich einiges verändert, ist wieder Hoffnung eingezogen. Der Union-Klub von 1867, dem das Gelände bis 1945 gehörte, ist seit einem Jahr per Erbpachtvertrag alleiniger Hausherr. Das gibt Sicherheit für Investitionen in die Zukunft. Und dessen Vorsitzender Peter Boenisch, Ex-BILD- und -Welt-Chefredakteur und einstiger Sprecher der Kohl-Regierung, den sich der Klub in den Vorstand holte, sei ein Mann mit Verbindungen. »Das ist kein Selbstdarsteller, der engagiert sich im Interesse des Pferdesports«, ist sich Rölke sicher. 15 Renntage zählt die diesjährige Saison. Ihr Höhepunkt war die Berlin-Brandenburg-Trophy, die als wichtigstes deutsches Meilenrennen wieder die großen Rennställe nach Hoppegarten zog. Und vielleicht kommen demnächst auch weitere Trainer mit ihren Pferden ins Brandenburgische. Martin Rölke verfolgt die Entwicklung gespannt. Er hält auf jeden Fall Hoppegarten die Treue. »Solange ich Pferde im Stall habe, mache ich weiter.« Eine Million muss er nicht verdienen, »Hauptsache, es reicht fürs Tanken, Essen und ein paar Klamotten. Obwohl auch die Million drin ist, wenn man ein gutes Pferd im Stall hat.« Im Moment habe er »ein paar nette Zweijährige, da muss ich kleinere Brötchen backen.« Es gibt Leute, die behaupten, einen Trainer trägt man am Ende immer von der Rennbahn. Galopprennbahn Hoppegarten, Goetheallee 1 in 15366 Dahlwitz-Hoppegarten (direkt am S-Bahnhof Hoppegarten), auch unter www.galopprennbahn-hoppegarten.de Eintritt: 3 bis 30 Euro. Verkehrsverbindung: S-Bahn-Linie 5 in Richtung Strausberg oder per Auto von Berlin-Mitte über die B 1 Richtung Frankfurt/Oder Nächster Renntag: 20. Oktober, Kriterium der Zweijährigen.

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