Straßenstrich kein sächsisches Problem

Sozialministerium streicht Gelder für Streetworker PDS: Freistaat steht in Verantwortung

  • Hendrik Lasch, Dresden
  • Lesedauer: 3 Min.
Weil sich ein Zittauer Streetworker-Projekt um die Gesundheit ausländischer Prostituierter auf dem »Grenzstrich« kümmert und nicht um deren deutsche Freier, hat das sächsische Sozialministerium die Zuschüsse gestrichen.

Auf dem Straßenstrich jenseits der sächsisch-tschechischen Grenze vereinigt sich Europa. Deutsche Männer, vor allem aus dem angrenzenden Freistaat, kreuzen auf den Straßenkilometern hinter der EU-Außengrenze, die auch eine Wohlstandsgrenze ist, auf der Suche nach der schnellen und vor allem billigen Nummer. Hunderte Prostituierte aus Tschechien, der Ukraine oder Rumänien bieten ihre Dienste an - und zwar unter erbärmlichen Arbeitsbedingungen. Für vergleichsweise lächerliche Geldbeträge werden brutale Sexualpraktiken ebenso selbstverständlich verlangt wie ungeschützter Geschlechtsverkehr. Viele der Sexarbeiterinnen ertragen dies nur unter dem Einfluss von Drogen.
An Hilfe für verbesserte hygienische Zustände und eine Beratung der Prostituierten hat die sächsische Staatsregierung indes kein Interesse mehr. Sie fühlt sich lediglich für die »Kunden«, nicht aber für die »Anbieterinnen« der Sex-Dienstleistungen zuständig. Das Sozialministerium hat sich jetzt aus der Finanzierung eines von der Diakonie in Zittau getragenen Streetworker-Projektes zurückgezogen, dessen tschechische Mitarbeiterinnen die Frauen auf dem Strich seit Mitte der 90er Jahre über Krankheitsrisiken aufklärten, berieten und medizinische Untersuchungen veranlassten.

Lediglich Aufklärung der deutschen Freier

Zur Begründung heißt es, die Arbeit der Streetworkerinnen ziele »vorrangig auf die Gesundheitsprophylaxe bei tschechischen und Frauen anderer Nationalitäten in Tschechien«. Die Träger des Projekts sollten sich also um Gelder aus Tschechien bemühen oder EU-Mittel beantragen. Die Voraussetzungen dafür seien in den Beitrittsländern günstiger als in Sachsen, sagte Ministeriumssprecher Karltheodor Huttner dem ND. Allerdings war ein entsprechender Antrag 1999 gescheitert, weshalb das Land Sachsen in die Bresche sprang.
Der Freistaat berappte für das Projekt nach Angaben des Ministeriums zuletzt 130000 Mark im Jahr. Eine weitere ähnliche Einrichtung, die sich um die Prostituierten jenseits des Grenzübergangs Altenberg kümmert, muss sich bereits aus EU-Mitteln finanzieren. Lediglich das KARO-Projekt im sächsischen Vogtland am Dreiländereck mit Böhmen und Bayern erhält noch Mittel vom Freistaat. Nach Angaben Huttners sind das 250000 Mark im Jahr. Das Ministerium begründet dies mit der in diesem Abschnitt besonders grassierenden Kinderprostitution. In den anderen Regionen fühlt sich der Freistaat lediglich für die Aufklärung der deutschen Freier mittels Informationsmaterial verantwortlich. Über die Intensität dieser Anstrengungen ließ Huttner gegenüber ND keinen Zweifel: »De facto weiß doch inzwischen jeder Mann, was er sich dort holen kann.«

Rettungsversuch für Projekt angekündigt

Nach Ansicht von Mitarbeitern ist die Zukunft des Streetworker-Projektes nach der Ministeriumsentscheidung gefährdet. Wenn die Streetworkerinnen aus Liberec keine finanzielle Hilfe bekämen, »werden sie sich zurückziehen, und wenn die vertrauten Gesichter verschwinden, ist das Projekt zunächst erledigt«, zitieren die »Dresdner Neuesten Nachrichten« (DNN) den Leiter des Zittauer Gesundheitsamtes, Gottfried Soukup. Nach DNN-Angaben wurden zwar für 2002 Mittel bewilligt; diese deckten jedoch lediglich Miete und Telefonkosten. Ein Aus für das Projekt könne sich »natürlich auch negativ auf die Gesundheit unserer Bevölkerung ausüben«, warnte Soukup. Fachleute beobachten, dass sich deutsche Freier bei ihren Sex-Ausflügen immer öfter Geschlechtskrankheiten einfangen, weil sie keine Kondome benutzen.
Auf scharfe Kritik ist die Haltung der sächsischen Staatsregierung bei der PDS-Politikerin Cornelia Ernst gestoßen, die seit Jahren auf die Missstände auf dem Straßenstrich aufmerksam macht. Die Begründung sei eine »Unverschämtheit«, wetterte Ernst und erinnerte daran, dass es sich bei den Sexarbeiterinnen »um Frauen aus sozialen Notlagen und aus verarmten Regionen« handle, die sich »als letzten Ausweg für Erwerb durch Prostitution entschieden haben«. Dies werde von gut situierten deutschen Männern »genutzt und ausgenutzt«. Der Freistaat stehe daher »in einer besonderen Verantwortung«. Ernst kündigte für September einen Antrag ein, um die weitere Förderung doch noch zu retten.

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