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  • Politik
  • Ferenc Molnärs Legende „Liliom“ an der Freien Volksbühne

Verklärter Galgenvogel – doch die Zeiten für schmachtende Seufzer im Parkett sind dahin

  • GERHARD EBERT
  • Lesedauer: 2 Min.

Der Griff der Berliner Freien Volksbühne zu Ferenc Molnärs (1878-1952) Budapester Vorstadtlegende „Liliom“ ist so nostalgisch wie verständlich. Solch lumpenproletarischer „Held“ – zweimal die Paraderolle für Hans Albers in Berlin – gehört durchaus auf diese Bühne, just in unseren an gesellschaftlichen und menschlichen Erschütterungen „reichen“ Zeiten.

Freilich stieß Molnär 1909 nicht zu sozialen Ursachen vor. Er registrierte das Los von verarmten Menschen am Rande eines wirtschaftlichen Aufschwungs, als Ende des 19. Jahrhunderts Buda, Pest und Obuda zur Großstadt zusammenwuchsen. Und er überhöhte seine Beobachtungen zu einem romantischen Mysterienspiel. Ein Vergleich mit „Roberto Zucco“ von Koltes in der Berliner Schaubühne indessen zeigt, wie sehr die Dinge ins Ne-

gative in Bewegung sind, wie gnadenlos aggressiv und zerstörerisch Asozialität heutzutage eskalieren kann. Dagegen ist Molnärs Liliom ein Waisenknabe. Er schlägt seine Frau, als er erfährt, daß sie von ihm schwanger ist. Beim kriminellen Versuch, fehlendes Geld heranzuschaffen, versagt er. Das Herz schlägt ihm unterm Messer. Ertappt von der Polizei richtet er sich selbstmordend.

Die himmlisch-versöhnliche Verklärung dieses arbeitslosen Hutschenschleuderers vermag Regisseur Werner Heinrichmöller szenisch zwar durchaus zu beschwören, aber die Geschichte bleibt sehr gewesen, bleibt sehr fern. Auch Reinhard von der Thannens, des Bühnenbildners, Versuch, das Geschehen heutiger zu plazieren (statt Molnärs verträumtem Winkel des Stadtwäldchens ein nüchterner, betonklotziger Hochgaragen-Dachgarten),

rückt es nicht wirklich näher, betont allenfalls das Zeitlose, das Allgemeine dieser Kleine-Leute-Parabel.

Was berührt, ist die schauspielerische Intensität, Gerald Alexander Helds Liliom ist glaubhaft ein rechter Vorstadt-GalgenvogeL ohne das glänzende Charisma eines großen Verführers zwar, doch elegant und kraftspielig genug für die Dienstmädchen, für die appetitliche, treuherzige Juli (Tomma Wember) und für die stramme dumme Gans Mari (Johanna Lonsky). Christiane Brunn gibt eine heißblütig dragonernde ' Karussell-Besitzerin Muskat, Norbert Chafouri den Ganoven Ficsur und ?Gabriele Buch die Frau Holkmder.

Doch wie auch immer: Die Zeiten für schmachtende Seufzer im Parkett sind wohl endgültig dahin.

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