Anarchischer Szenetreff wuchs zum »Roten Baum« heran

Linker Dresdner Jugendverein feiert seinen zehnten Geburtstag

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 3 Min.
Der »Rote Baum e.V.«, einer der größten linken Jugendvereine im Osten, wird zehn Jahre alt.
Am Anfang war das Treppenhaus. Jeden Donnerstag vor zehn Jahren wurde der enge Flur des früheren Hauses der Begegnung (HdB) in Dresden zum Jugendtreff. 20, manchmal auch 50 junge Menschen verstopften den Aufgang, verräucherten das Büro von PDS-Stadtchefin Christine Ostrowski und palaverten. Einige wollten wissen, wo am Wochenende die beste Party stattfindet; andere rauften sich zusammen, um mal eben ein Öko-Café aus dem Boden zu stampfen; wieder andere sammelten sich hier, um in das Szeneviertel Neustadt zu ziehen und gegen den Abriss alter Häuser zu protestieren. Und: Alle fühlten sich politisch irgendwie links. Was damals ein wenig wild im Hausflur wucherte, hat sich seither zum »Roten Baum« ausgewachsen, einem der größten linken Jugendvereine in Ostdeutschland. Zehn Jahre wird der Verein in diesen Tagen - ein Alter, das Mythenbildung rechtfertigt. Tilo Kießling etwa, der sich mit Anfang dreißig inzwischen Gründer-Vater nennen lassen muss, hält eine Legende bereit, wie der Samen für den »Roten Baum« gelegt wurde: Bei einer Radtour nach Ungarn im ersten Nachwende-Sommer traf der Student eine christliche Jugendgruppe aus Baden-Württemberg, schloss sich denen an - und war begeistert: »So etwas«, sagt Kießling, »wollte ich auch - nur für linke Jugendliche.« Vom anarchischen Treppenhaus-Treff ist der »Rote Baum« inzwischen zu einer Dresdner Institution gewachsen. Zwar wird das Jugendhaus am neuen HdB, vor dessen Tür ein knallroter Londoner Doppeldeckerbus dauergeparkt ist, nicht an jedem Nachmittag überrannt: Es gibt Tage, an denen nur zwei etwas verloren wirkende Jungs in Kittelschürzen eine Wand besprühen, während einige Mädchen an einem Fahrrad herumschrauben. In die legendären Ferienlager jedoch, die meist in Böhmen ihre Zelte aufschlagen, sind seit 1993 rund 10000 Kinder gefahren; und für die Jugendweihen hat man sich jetzt auf höchstens 300 Teilnehmer begrenzt. Mehr, sagt Vereinschef Kießling, »geht einfach nicht«. Was das Dresdner Gewächs zu einem »Roten Baum« macht, ist eine Orientierung, die Kießling als »Jugendarbeit aus sozialistischer Motivation« beschreibt. Dabei werde »keine ideologische Arbeit« geleistet. Das empfinden die Gäste offenbar ähnlich: »Wir haben uns nie missioniert gefühlt«, sagt die Dresdner Landtagsabgeordnete Katja Kipping, die als 16-Jährige erstmals in das HdB-Treppenhaus kam und binnen kurzem eine Foto- und eine Töpfergruppe gründete. Sie hat den Verein eher als zweites Zuhause erlebt. Rot ist der »Baum« trotzdem: »Wir waren alle links«, sagt Kipping. Es herrsche zudem »ein Klima, in dem politische Themen nicht unterdrückt werden«, sagt Kießling. Im Haus hängen Aufrufe für Demos, und wer Plakate malen will, bekommt die Mittel dafür. Auf den Friedenskundgebungen sind viele Stammgäste des »Roten Baums« zu sehen. Es ist zudem ein offenes Geheimnis, dass viele der Aktivisten aus dem PDS-Umfeld kommen. Als der Verein eine Zivi-Stelle beantragte, fragte das zuständige Bundesamt aus Köln an, ob der »Rote Baum« etwa PDS-nah sei. Der Vorstand fragte zurück, wie denn solche Nähe zu definieren sei. Trotz aller Sympathien ist der Verein, der inzwischen auch »Setzlinge« in Leipzig, Waldheim und Berlin hervorgebracht hat, keine Baumschule für den PDS-Nachwuchs. Zwar sitzt Katja Kipping inzwischen für die Sozialisten im Landtag. Beim »Baum« habe sie vor allem gelernt, selbst zu denken und zu organisieren, sagt die heute 25-Jährige. »Richtig politisiert« worden sei sie erst im »Protestbüro« der Dresdner Universität. Das deckt sich mit Kießlings Beobachtung: »Wer wirklich selbst aktiv werden will, sucht sich andere Strukturen.« Nicht wenige der jungen Linken stünden der PDS eher kritisch gegenüber, sagt Kipping. Und viele landen überhaupt nicht in der Politik. Der »Rote Baum« ist auch für legendäre Feste bekannt. Die »Rote Zehn« ist willkommener Anlass: Am Samstag findet im Kulturzentrum »Scheune« eine rauschende Party statt. Abzusehen ist, dass da ein weiterer Vorzug des »Roten Baums« zum Tragen kommt. Denn neben dem Umstand, dass »keine Nazis hinkommen«, heben dessen junge Anhänger hervor, dass »hier so viel geküsst wird wie bei keinem anderen Verein«.
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