„Man hätte den Leuten die Wahrheit sagen müssen
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Dr. Alexander Koch steht es nicht an der Wiege geschrieben, daß er einmal als Personalchef der größten Staatsholding der Welt über das Wohl und Wehe Hunderttausender Deutscher mitentscheidet - und einen Großteil von ihnen schließlich in die Arbeitslosigkeit entläßt.
Aufgewachsen ist der Sohn eines Gemeindepfarrers mit fünf Geschwistern in der Nähe von Hanau im Südhessischen. Eine Gegend mit vielen Arbeitern und einer starken linken Bewegung. In den beiden Gemeinden, die sein Vater seelsorgerisch betreibt, wählen 1956 - kurz vor ihrem Verbot - 25 Prozent KPD. Der Vater bleibt seiner christlich-liberalen Gesinnung nach
dem Kriege treu - so wie er sich während der Nazizeit für verfolgte Kommunisten einsetzt, tut er es in den 40er und 50er Jahren für ehemalige PGs, von deren Unschuld er überzeugt ist.
1953 macht Koch sein Abitur. Nach Kaufmännischer Lehre bei Dunlop beginnt für ihn ein bewegte Zeit - mit dem Strecken-Dienst der Reifenfirma lernt er Europa kennen.
1956 geht er an die Universität Frankfurt/Main, um Soziologie zu studieren; wird Eleve der Frankfurter Schule, jener von Horkheimer und Adorno begründeten philosophischen und soziologisch-politischen Richtung, die aufklärerische Komponenten der deutschen idea-
listischen Philosophie, Theorien des Marxismus und der Psychoanalyse zu einer kritischen Gesellschaftsanalyse verbindet. Das Institut für Sozialforschung ist später einer der Ausgangspunkte für die Studentenrevolte von 1968.
Während des Studiums verdient er sich bei Dunlop die ersten soziologischen Sporen mit einem heute wieder aktuellen Thema: hoher Krankenstand. Die Bundesregierung verabschiedet ein Lohnfortzahlungsgesetz, nach dem die ersten beiden Krankentage nur bezahlt werden, wenn man länger als 14 Tage krank ist. Der Student Koch empfiehlt der Geschäftsführung, die zwei Tage
zu bezahlen, und spart dem Unternehmen eine Menge Geld.
Er macht morgens seine empirischen Untersuchungen, stellt Leute ein, baut im Auftrag der Firma nebenbei Wohnheime für Gastarbeiter und produziert auch mal zwischendurch die Betriebszeitung; nachmittags geht's zum Seminar in die Uni und am Abend als Filmvorführer ins Vorstadtkino. 1965 ist er bei Dunlop Personalchef.
Die großen Auseinandersetzungen mit den Studenten in den späten 60er, in denen es vorkommt, daß sich Adorno plötzlich zwischen barbusigen Studentinnen wiederfindet, sehen Koch nicht mehr als Student. Er ist schon weg und - wie
er es selbst spottisch nennt -„als Verräter an der Sache zum Kapitalistenknecht geworden“.
Erfahrungen mit Arbeitskämpfen macht er beim ersten Streik in der Gummiindustrie seit Kriegsende - auf der Unternehmerseite, aber als Mittler zwischen den Fronten.
Als Betriebsräte später glauben, in Koch ihren Mann ge- “ funden zu haben, formuliert er seinen Grundsatz: „Ich bin auf der Managementebene in meiner Funktion, ich sitze nicht auf zwei Seiten des Tisches gleichzeitig. Ich trage gern auf zwei Schultern, stelle mich dazwischen und versuche zu vermitteln - und in der Personalfunktion eines Wirtschaftsunternehmens muß man immer bereit sein, dem Vorstand oder der Geschäftsleitung zu sagen, in dem Fall hat der Betriebsrat recht - aber Schaukelpolitik zu machen, bin ich nicht bereit.“
Ob später bei der ITT, bei Braun oder Grundig, man holt Koch, wenn irgendwo etwas anzubrennen droht. Während er bei ITT erfährt, was unter hartem amerikanischem Management zu verstehen ist, lernte er bei der Braun AG die Hohe Schule moderner Unternehmenskultur kennen: vom Produkt über Werbung, Marketing, Umwelt bis zur Humanität am Arbeitsplatz.
1981 wechselte er als Vorstandsmitglied für Personalwesen in die krisengeschüttelte Grundig AG und ist wesentlich an der Sanierung beteiligt. Personalreduzierung so still wie möglich und so sozial wie nötig zu praktizieren, ist Kochs Credo. Mit den Managern der Grundig-Mutter Philips kommt es zu Zerwürfnissen - holländische Kolonialherrenart liege ihm nicht, sagt Koch unbestimmt.
Selbständiger Berater für Führungskräfte und Partner von United Management Consultants sowie die Vorstandsetagen der Vereinigten Haftpflichtversicherung sind die nächsten Stationen in seiner beruflichen Laufbahn, bevor er am 1. Oktober 1990 zum Vorstandsmitglied der Treuhandanstalt bestellt wird.
Stichwort „Poenale“, das tatsächlich nichts mit Marktwirtschaft zu tun hat - reichen 30 000 Mark Bußgeld für den Arbeitsplatz?
Zunächst mal, die Spanne reicht von 20 000 bis 50 000 Mark, und wenn ein mittelständischer Unternehmer für 50 „eingesparte“ Arbeitsplätze eine Million Mark hinblättern muß, schmerzt das.
Unterdessen hat die brandenburgische Sozialministerin Regine Hildebrandt Beispiele für sehr freie Auslegung der Verträge genannt. In einer Baufirma werden Fortbildungs- und Umschulungsplätze als Arbeitsplätze gezählt
Ich habe Herrn Brahms, den Vizepräsidenten der Treuhand, der bei uns das ganze Vertrags-Controlling aufbaut, davon in Kenntnis gesetzt und ihn gebeten, sich die Sache sofort anzusehen. Die Revision und das Controlling sind das Gewissen der Treuhand und deshalb Wachstumsbereiche.
Im Frühjahr 1991 haben Sie gesagt, daß die Kurzarbeiterregelung „Ost“ den Unternehmen noch einmal Luft verschafft habe - brauchen sie jetzt keine Luft mehr?
Ich habe Prügel bezogen für diese Äußerung. Die Arbeitgeberseite hat verlangt, daß die ganze Situation „verehrlicht“ wird. Ich habe darauf hingewiesen, daß wir dank der Regelung keine Kündigungswellen zum 31. März oder zum 31. Juni zu machen brauchen. Die Kurzarbeiterregelung ist doch gedacht um hinauszuschieben, zu überbrücken, den Menschen Gelegenheit zu geben, sich nach einem Arbeitsplatz umzusehen.
Und sie ist ja nicht ganz weg, nur wenn Sie jetzt kurzarbeiten, mit den Sätzen der Arbeitslosenunterstützung, muß der Betrieb die Nebenkosten - für Urlaub, Feiertage, die Hälfte der Krankenkassenbeiträge - zahlen. Das macht 21 Prozent der vollen Bezahlung aus.
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