Vermitteln, was nicht da ist

Holter und Gerster diskutierten in Schwerin über Beschäftigungspolitik

  • Larissa Schulz-Trieglaff
  • Lesedauer: 5 Min.
Die Arbeitslosigkeit lag auch im Monat Mai in Mecklenburg-Vorpommern bei rund 20Prozent. Wie kann unter diesen Bedingungen die Arbeitsmarktpolitik im Lande verbessert werden? Arbeitsminister Helmut Holter (PDS) und Florian Gerster, Vorstandschef der Bundesanstalt für Arbeit, diskutierten am Mittwoch mit anderen Fachleuten in Schwerin.
Die Luft stand, keine Wolke am Himmel. Das Dach der nagelneuen Fachhochschule der Bundesanstalt für Arbeit in Schwerin flimmerte in der Sonne. Nicht Studenten strebten in den Hörsaal aus Holz, Glas und Metall, sondern Vertreter von Arbeitsämtern und Bildungsträgern, Fachleute aus Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften. Der Saal war schließlich proppevoll. Aus allen Ecken des Küstenlandes waren sie gekommen, um über Perspektiven der Arbeitsmarktpolitik zu diskutieren. Vormittags stand die Situation in Mecklenburg-Vorpommern auf der Tagesordnung, für den Nachmittag wurde ein Gast aus Nürnberg erwartet: Florian Gerster, Chef der Bundesanstalt für Arbeit (BA). Helmut Holter skizzierte zu Beginn die schwierige Situation in dem Küstenland, die durch anhaltend hohe Arbeitslosenzahlen, Abwanderung und eine magere Wirtschaftskraft gekennzeichnet ist. Er sprach sich gegen die Mittelkürzungen bei ABM und SAM aus. Denn auch diejenigen, die nicht vermittelt werden können, sollen eine Beschäftigung erhalten. Die Fördermaßnahmen müssten über Steuern finanziert werden. »In den neuen Ländern wäre es zu einem sozialen Kollaps gekommen, wenn keine aktive Arbeitsmarktpolitik gemacht worden wäre«, sagte Holter. Denn so schnell die Massenarbeitslosigkeit zu überwinden - »das wird im Osten kaum gelingen«, so der Minister. Daher könne man die Probleme hier nicht mit denen im Westen vergleichen und erst recht nicht die gleichen Mittel zu deren Lösung anwenden. »Eine Gleichbehandlung bringt nichts«, sagte er, »da im Osten einfach die Stellen fehlen.« Wie vermitteln, was nicht da ist? Die Regierung in Schwerin wolle sich mit den Hartz-Instrumenten, die ja in erster Linie auf die effektivere Vermittlung abzielen, kritisch auseinander setzen und sich gleichzeitig bemühen, das Maximale rauszuholen. »Das Problem ist, dass schon die Hälfte gesagt ist, wenn Holter gesprochen hat«, sagte Wolfhard Molkentin, CDU-Landrat von Nordpommern. Ist das nun komisch oder traurig? Er stieß in das gleiche Horn: »ABM und SAM sind keine Lösung, aber die einzige Möglichkeit, Beschäftigung und Arbeit anzubieten.« Auch Molkentin forderte, einen kurzfristig steuerfinanzierten zweiten Arbeitsmarkt zu schaffen, bis Maßnahmen greifen würden, die den ersten beleben. »Wir brauchen mehr Geld, wir sind das Zonenrandgebiet«, rief er ins schwitzende Publikum und erhielt kräftigen Applaus. Um mehr Schwung in das Küstenland zu bekommen, forderte der Landrat die Stärkung der beiden Standbeine: Tourismus und Landwirtschaft. Dabei wetterte er gegen strengere Umweltmaßnahmen: »Wir wollen nicht nur als FFH-Gebiet betrachtet werden«, polterte der CDU-Mann. Gerd-Erich Neumann vom Erwerbslosenbeirat des Landes warf sich für die Arbeitssuchenden in die Bresche. Er kritisierte die geplante Einführung des Arbeitslosengeldes II, das die Arbeitslosenhilfe auf das Sozialhilfeniveau absenken und zu weiterer Armut führen wird. Zwar werde Bürokratie eingespart, so Neumann, vor allem aber geraten die Arbeitslosen unter Druck. »Die Hilfeempfänger werden dafür bestraft, dass es keine Stellen gibt«, sagte Neumann. Sie würden immer mehr dazu gezwungen, schlecht bezahlte Jobs anzunehmen. »In Mecklenburg-Vorpommern fehlt es an existenzsichernder Arbeit«, sagte Neumann und zählte mehrere deprimierende Beispiele von Arbeitssuchenden auf, die sich mit aller Kraft um eine Stelle bemühen und nur Absagen erhalten. »Was Not tut, ist, die Lähmung des sozialen Bewusstseins aufzulösen«, sagte er. Noch zwei Beiträge, dann war die erste Runde zu Ende. Es durfte diskutiert werden: Eine Zuhörerin beschwerte sich, dass die Ausgaben der Mittel für die Bildungsträger ausschließlich auf Erfolgsquoten orientieren. Eine andere störte sich an den Begriffen Effizienz und Effektivität: »Diese Begriffe kommen aus der Wirtschaft«, rief sie. Die könne man nicht auf die Erwerbslosen übertragen. Manche Maßnahmen seien einfach wichtig, um die Leute im Arbeitsprozess zu behalten. Eine dritte Diskutantin wies darauf hin, dass es an Arbeit nicht fehle. »Arbeit gibt es genug«, sagte sie. Sie werde nur nicht bezahlt oder eben sehr schlecht. Am Nachmittag zogen sich dunkle Wolken über der schicken Fachhochschule zusammen, auch drinnen war die At- mosphäre gespannt: BA-Chef Florian Gerster will die Unterschiede zwischen Ost und West nicht mehr gelten lassen. »Die Beschäftigungsquote im Osten ist nur unwesentlich niedriger als im Westen«, sagte er freundlich, bemüht, Verständnis zu wecken. Strukturschwache Regionen mit hohen Arbeitslosenzahlen gebe es auch in den alten Bundesländern. Dass es im Osten keine oder viel zu wenig Arbeitsplätze gebe, dieses Argument sei vereinfacht. »Auch auf dem ostdeutschen Arbeitsmarkt gibt es eine Fluktuation«, befand Gerster. Er verteidigte den ABM-Abbau. »Was haben 13 Jahre ABM gebracht«, fragte er. Diese dürften nicht zu einer künstlichen Beschäftigung führen, ohne einen Effekt auf den ersten Arbeitsmarkt zu haben. Das Publikum wackelte unruhig auf seinen Stühlen hin und her und begann zu murren - nach Zustimmung klang das nicht. Gerster verwies darauf, dass zwischen 1990 und 2002 insgesamt 140 Milliarden Euro in die aktive Arbeitsmarktförderung geflossen seien und sprach von einer »Fehlfinanzierung der deutschen Einheit«. Der BA-Chef stellte außerdem klar, dass seine Behörde nicht der Hauptakteur sei: »Wir können nicht alles kompensieren, was wirtschaftlich nicht läuft.« Dennoch könne die gesamtdeutsche Arbeitslosenzahl in Folge des BA-Umbaus um rund 400000 gesenkt werden. Gerster forderte die Landesregierung auf, in Wirtschaftsprogramme zu investieren und Zentren für Wissenschaft und Forschung zu schaffen. Und damit hatte er es geschafft: Verständnis war geweckt, seine Tipps ist er losgeworden - an Beifall wurde nicht gespart. Draußen wurde es stürmisch, der Himmel immer schwärzer, Gerster beantwortete noch die Fragen der Journalisten, da begann das Gewitter.

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