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- Mildes Urteil im „Eberswalder Skinhead-Prozeß“ steht auf wackligen Füßen
Politiker verstecken sich hinter der Justiz
Es ist das Recht des, Angeklagten im bundesdeutschen Strafrecht, sich nach den Plädoyers des Staatsanwalts und der Verteidiger mit dem letzten Wort an das Gericht wenden zu dürfen. Von ihm wird dann erwartet, daß er Reue zeigt und seine Einsicht, zu der er durch den Prozeß gekommen ist, darlegt. Das soll noch einmal guten Eindruck auf Richter und Schöffen machen.
Auch die fünf Angeklagten im sogenannten „Eberswalder Skinhead-Prozeß“ (in dem nur ein Skinhead auf der Anklagebank saß) hatten diese Lektion gelernt. Brav gaben sie wieder, was ihnen die Verteidiger zuvor ins Ohr geflüstert hatten. Doch diese „kollektive Selbstkritik“ schien exemplarisch die Prozeß-Farce auf die Spitze zu treiben. Ein „Es tut mir leid“ oder „Ich bereue ganz doll“ brachten sie gequält über die Lippen. Doch was ihnen leid tat, konnte so richtig keiner erklären. Wollte man ihre Gedanken lesen, so hätten sie sich eigentlich nichts zuschulden kommen lassen, „daß da plötzlich ein toter Neger lag“. Zwar wußte jeder in jener Nacht, daß man zum „Neger klatschen“ aufgebrochen war, aber ausländerfeindlich, so das überraschende Bekenntnis in ihren Schlußworten, seien sie nicht...
Über 50 mutmaßliche Tatzeugen hatte das Gericht geladen, doch jeder von ihnen hielt das Gericht zum Narren, so gut er konnte. Mit kollektivem Schweigen und chronischem Vergessen versuchten sie ihren Kumpels vor einer Verurtei-
lung zu bewahren, ihre rassistische Gesinnung verhehlten sie dabei nicht!
Kaum war das Urteil gesprochen, begann auch schon die Diskussion darüber, ob das Strafmaß angemessen sei und seine abschreckende Wirkung erfülle, angesichts der ausländerfeindlichen Pogrome der letzten Wochen. Doch Politiker, die scheinheilig und mit Unschuldsmiene jetzt nach harten Strafen rufen, verkennen, daß allein die konsequente strafrechtliche Verfolgung wenig an dem unerträglichen rassistischen Klima ändert, zu dem auch sie mit ihrer Politik beigetragen haben.
Im Eberswalder Leibniz-Jugendklub kann man sich anhören, wie die rechtsextreme Szene Hohn und Spott über Justiz und Polizei gießt. „Diese Witzfiguren, die kannste echt in' Wind schießen, ehrlich“. Beiläufig erzählt einer der Jugendlichen auch, wie sie die Vietnamesen haben, die auf dem Marktplatz Zigaretten verkaufen. „Und wenn die Polizei dann kommt, wissen wir, daß wir aufhören müssen.“
Am Ende des peinlichen Trauerspiels im Gerichtssaal kam es schließlich zum Auftritt des Kai-Nando B. Zuvor hatten alle die Schuld auf den
Vic Ttechien gefährden
die Demo-Kraiie !
Karikatur: Wolf Schrader
flüchtigen mutmaßlichen Haupttäter abgewälzt. Doch nach seiner Festnahme spielte dieser plötzlich den Kronzeugen. Er sehe nicht ein, daß er mit seinem geständigen Bruder im Knast sitze, während die anderen frei rumlaufen. Die entscheidende Frage, die das Gericht letztlich abzuwägen hatte, war die Glaubwürdigkeit dieses Zeugen. Somit steht das Urteil auf wackligen Füßen, desn es kann die zahllosen Versäumnisse des Prozesses nicht ungeschehen machen.
Während im Verlaufe der Verhandlungen viel Verständnis für die schwierige Situation der heranwachsenden Angeklagten aufgebracht wurde, sprach von den Opfern fast niemand mehr. Bezeichnend für deren skandalöse Mißachtung - weder der Staatsanwalt noch die Verteidiger konnten in ihren Plädoyers nach 15 Verhandlungstagen den Namen des erschlagenen Angolaners Amadeu Antonio richtig aussprechen.
„Das Urteil darf nicht als Freibrief für weitere Attacken auf Ausländer verstanden werden“, hatte der Vertreter der Nebenklage, Rechtsanwalt Ronny Reimann, gefordert. Eberswalde steht vor Hoyerswerda und Rostock am Anfang einer lange Liste rassistischer Überfälle seit der deutschen Vereinigung. An dem haßerfüllten ausländerfeindlichen Klima, das nicht nur von durchgeknallten rechtsextremen Skinheads, sondern von breiten Bevölkerungskreisen getragen wird, können abschreckende Urteile allein wenig ändern.
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