Lauwarm mit Henkel
Wer heiße Getränke serviert, läuft Gefahr, sich die Finger zu verbrennen. Die Menschheit hat dieses Problem mit der Erfindung des Henkels gelöst. Wer nur Tassen ohne Henkel besitzt, muß sich mit Lauwarmem begnügen. Doch es gibt Kombinationsmöglichkeiten. Für die von schlechten Gastwirten praktizierte Variante „Lauwarm mit Henkel“ hat sich in ihrer ersten Nummer „Die Woche“ entschieden. In großer Aufmachung präsentiert sie das Protokoll der Unterredung zwischen Kohl und Gorbatschow am 15. , JJuli.l99Q in Moskau. Dieses Protokoll sei das brisanteste. Dokument aus Gorbatschows Privatarchiv,
Das darf sehr bezweifelt werden, auch wenn das (in Auszügen) abgedruckte Papier einige interessante Aufschlüsse über die Verhandlungen zu den konkreten Bedingungen der
„Wiedervereinigung enthält. So erfährt man z.B. von Kanzlers Nöten, wie man „die Polen zur Vernunft“ bringen könne. Doch viel spannender dürfte anderes sein: Zu erfahren, was Kohl mit Gorbatschow ein Jahr zuvor, im Juni 89, in Bonn besprach. „Wir werden einander helfen“, habe man sich damals versichert, sagt Kohl im Juli 90 in Moskau. Und: „Hinsichtlich der Kredite und in der Frage der sowjetischen Streitkräfte in der DDR haben wir Wort gehalten.“
Gespräche über die UdSSR-Streitkräfte im Juni 89 in Bonn? Um endlich zum Henkel zu kommen: Die Kommentatoren des Papiers in „Die Woche“ .interessierte, gerade das ?nicht; Das sind Egon Bah?,' der Kohls Weisheit lobt, und Wolfgäng Herles, 'der ' ' nebulös fragt, ob zwischen Kohl und Gorbatschow der Geist von Rapallo spukte so als hätte er dabei nicht selbst an den Hitler-Stalin-Pakt gedacht.
HOLGER BECKER
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