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  • Sport
  • Der SC Berlin erfolgreichster Verein, aber mit Leipzig ist eine Festung des ostdeutschen Schwimmsports gefallen

Vom Wendewind verweht

  • Lesedauer: 4 Min.

Der Essener Christian Keller war mit vier Titeln der Goldhamster bei den Männern, noch erfolgreicher war Franziska van Almsick als fünffache Siegerin Foto: CAMEFtA 4/Thonfeld

Die Schwimmer hätten den Hauptsponsor der Deutschen Meisterschaften in Verlegenheit bringen können. Ökosyst hatte für jeden Weltrekord eine dreiwöchige Reise, für jeden Europarekord eine zweiwöchige Reise für zwei Personen nach Paraguay offeriert. Was aber, wenn eine Staffel Rekord erzielt hätte? Doch die Gefahr war so fern, daß der Sponsor getrost auch eine einjährige Weltreise hätte ausloben können.

An solcherart Rekorde war in Potsdam nicht zu denken. Die Saison ist zu jung, die bestehenden Bestmarken sind zu gut, das allgemeine Niveau war zu schwach.

Kennern der deutschen Schwimmszene kann nicht entgangen sein, daß es eine Umschichtung der einstigen Kräfteverhältnisse gibt. Nur der SC Berlin konnte von den ostdeutschen Vereinen seine auch über die Wendezeit gerettete stabile Position mit sieben Titeln und zehn weiteren Medaillen eindeutig behaupten. Der SC Magdeburg (3/2/5), der SV Preußen Berlin (3/1/4) und der OSC Potsdam (2/1/3), auch der Berliner TSC (-/4/2) vermochten einstigen Glanz zu polieren. Wo aber blieben die gewohnten Erfolge der Leipziger, Erfurter oder Dresdner Schwimmer?

Die Messestädter - jetzt unter SG Haie im SC DHfK startend - mußten sich mit einer Medaille (Katrin Jäke gewann die 200 m Schmetterling in mäßiger Zeit) begnügen. Schwimmen in Leipzig - das war wie Judo in Japan. Vor fünf Jahren, als die DDR-Meisterschaften auch in Potsdam stattfanden, gab es sieben Leipziger Siege. Bei den Olympischen Spielen im gleichen Jahr war allein die Schwimmabteilung des SC DHfK mit viermal Gold und einmal Bronze (dabei ist der

Anteil an den Staffelsiegen nicht einmal berücksichtigt) erfolgreicher als zum Beispiel die gesamte australische, kanadische oder tschechoslowakische Mannschaft. Nostalgie, die zu nichts weiter taugt, als den tiefen, tiefen Fall einer einstigen Gardeabteilung zu verdeutlichen.

Jens Graumnitz, 1987 Absolvent der DHfK, hat jetzt als Trainer das Sagen. Und er sagt, daß es mit dem Blick auf den guten Nachwuchs gelungen ist, den Status als Bundesstützpunkt zu erhalten. „Wenn das nicht mehr ist, wird es ganz schwer.“ Weil: Der Bund bezahlt die Miete (6 DM pro Stunde und Bahn) für das Hallenbad Mainzer Straße an die Stadt und leistet Trainingszuschüsse. Die Mittel des Bundes fließen aber nur solange, wie mindestens sieben Kaderathleten der A-, B- oder C-Förderstufe zum Verein gehören. Dennoch hat der Verein 30 000 Miete jährlich selbst aufzubringen, weil im Sommer auch im Schwimmstadion trainiert wird.

Einnahmen rinnen nur spärlich aus Beiträgen und von Kleinsponsoren in die Vereinskasse. Und vom Kinderschwimmen. „Das machen wir nicht kommerziell, sondern wir nehmen die Kinder als Mitglieder zunächst für ein halbes Jahr und 10 DM pro Monat auf. Weitere Einnahmen gibt es nicht“, erklärt der Trainer.

Er sagt: „Nur ein starker Nachwuchs ist unsere Perspektive. Darauf konzentrieren wir uns. Die Hoffnung ist eine relativ ausgeglichene Breite, denn in der Spitze haben wir nichts zu bieten.“ Bei den Mannschaftsmeisterschaften wurde immerhin zuletzt Rang drei hinter SC Berlin und SG Hamburg belegt.

Die Verlustliste, die Jens Graumnitz erläutert, erklärt

vieles. Den Verein verließen nach der Wende:

Sabina Schulze (Cannstacit), Christiane Sievert, Peggy Härtung (beide Wuppertal/kehrten zurück), Peggy Conrad (Burghausen), Katrin Jäke (Burghausen/kehrte zurück), Lydia Böhme (München), Ralph Färber, Dirk Domagalla (beide Offenbach), Peter Oswald (Heidelberg), Michael Schördling (Cannstadt). Einige waren ihren Trainern Stefan Hetzer (Burghausen) oder Günther Baumgart (Cannstadt) gefolgt.

„Wir versuchen, ehemalige Trainer für einen ehrenamtlichen Einsatz zu gewinnen“, erklärte Graumnitz, „aber das ist sehr, sehr schwer. Otto Sperling ist so einer, er kümmert sich nun um das Kinderschwimmen.“ Da ist auch noch Anne-Kathrin Neumann - unter ihrem Mädchennamen Schott schwamm sie 1974 Brustweltrekord - als Vereinssportlehrerin für den Nachwuchs. Uwe Stelzer trainiert u.a. Katrin Jäke, aber nur nebenbei, so wie sein Job als Versicherungsangestellter ihm Zeit läßt. Das ist die Situation.

Jens Graumnitz selbst wirft Ende des Monats auch das Handtuch. „Ich habe von Januar bis Mitte Mai warten müssen, bis mein Trainergehalt, eine Mischfinanzierung von LSB und DSB, geregelt war. Da mußte ich mich inzwischen nach was anderem umsehen und beginne eine Umschulung zum Bankkaufmann.“

Nein, guten Zeiten sieht der einstige Paradeverein nicht entgegen. Die 14jährige Katrin Fritsche könnte ein Lichtpunkt sein. Sie hat sich als einzige für die Junioren-Europameisterschaften qualifizieren können.

WOLFGANG RICHTER

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