Aus einer stillgelegten Fliesenfabrik in Ismaning bei München wurde der AGROB-Medienpark. Dort sind heute rund 50 Firmen ansässig wie Premiere, Antenne Bayern und Home Shopping Europe (HSE) - der erste deutsche Verkaufssender. Seit acht Jahren kann man bei HSE vor der Mattscheibe bestellen.
Fast jeder kennt die Sendungen, in denen Moderatoren stundenlang über die Vorzüge einer Küchenmaschine, die Wirkung einer Creme oder die Schönheit eines Ringes reflektieren können. HSE ist der erste deutsche TV-Shopping-Sender, der rund um die Uhr zum Einkaufen einlädt - 16 Stunden davon live. Seit nunmehr acht Jahren halten gecastete und geschulte Präsentatoren Produkte in die Kamera, angesichts derer sich so mancher fragt: Wer kauft das? Laut Marketingchef Malte Hildebrandt ist HSE in Ostdeutschland am umsatzstärksten; die meisten der 1,5 Millionen Kunden sind weiblich und um die 50 Jahre alt. Dies sei die beste Zielgruppe, treu, kaufwillig und mit guter Zahlungsmoral. Deshalb wirken die Moderationen im TV meist etwas betulich. Alles aber nur Show, wie sich herausstellt. So ist die blond gelockte Moderatorin Barbara Steinberger, die mit kindlicher Begeisterung Sammlerpuppen feilbietet, eigentlich promovierte Germanistin. Zuvor hatte sie in Frankreich an der Caener Universtät doziert. »Die Leute haben eine große Affinität zu den Moderatoren. Sie rufen an, wenn jemand krank ist. Sie schreiben Geburtstagskarten, erzählen von sich und geben damit ein überwältigendes Feedback«, schildert Alexandra Brune, HSE-Unternehmenssprecherin.
Aus Sicht der Kunden geht es bei HSE um mehr als um den Verkauf. Der kommunikative Aspekt ist nicht zu unterschätzen. Die Moderatoren haben zum Teil viele Fans und müssen sich oft als gute Zuhörer und Ratgeber erweisen. Nicht selten gehen ältere, allein lebende Menschen nur zum Friseur oder in den Supermarkt, weil sie mit jemandem reden wollen. Warum also nicht auch beim Einkauf via TV im heimischen Wohnzimmer plaudern?
Sehr beliebt ist der bayerische Moderator Felix Köppl, der Fachmann für Handwerk und Haushalt. Er verkauft meistens in einer Wohnzimmer- oder Werkstattkulisse. Unzählige Scheinwerfer beleuchten die Raumattrappen, in Regalen stapeln sich Requisiten. Auf einer gesonderten Präsentationsfläche sind die Artikel noch einmal ansprechend drapiert und bereit für die Nahaufnahme. Vier computergesteuerte Kameras filmen die Verkaufsshow, eine fünfte Kamera wird von einem Menschen bedient.
Felix Köppl präsentiert mit wechselnden Gästen verschiedene Produkte. Er redet fachmännisch über einen Grill, führt tatkräftig ein Reinigungsmittel vor, testet kritisch einen Entsafter und lässt sich interessiert ein Bügelcenter erklären. Dabei hat er die ganze Zeit per Knopf einen Mann im Ohr, nämlich den Produzenten, der im Vorraum sitzt. Dieser merkt, ob ein Produkt viel oder wenig bestellt wird, ob dem Moderator die Argumente ausgehen, und er weiß, wie viele Produkte noch im Lager sind. Köppl muss nonstop reden und dabei den Produzentenanweisungen folgen. Die Reihenfolge der Produkte steht vorher fest, doch nicht, wie lange sie umworben werden müssen. Kein Problem für einen Profi, denn Köppl ist von Anfang an dabei und mit Leib und Seele Verkäufer. Am liebsten verkauft er Maschinen und Werkzeug - ein Baumarkt ist ein zweites Zuhause für ihn. »Ich spreche Heimwerker an, Familienväter, aber auch Powerfrauen, denen ich Mut mache, selbst mal die Bohrmaschine in die Hand zu nehmen«, erzählt er nach seiner zweistündigen Sendung.
Angefangen hatte er mal bei Pro7 als Dekorationsbauer. Jetzt kann er sich das Leben ohne HSE nicht mehr vorstellen. Sein Ziel ist es, dem Kunden zu vermitteln, welches Produkt er wofür gebrauchen kann und warum für den einen eine 50-Euro-Bohrmaschine reicht und der nächste eine für 250 Euro braucht. »Ich probiere alle Geräte vorher selbst aus«, versichert Köppl, der von den Produkten überzeugt sein will. Denn der Sender hat mit Vorurteilen zu kämpfen.
Das negative Image rührt von den schlecht synchronisierten amerikanischen Verkaufsfilmchen her, die mit überteuerten Wundermitteln eine schlanke Figur in wenigen Tagen oder enorme Arbeitserleichterung in der Küche versprechen. Die Menschen sind eben skeptisch, wenn jemand allzu begeistert und marktschreierisch ein Produkt preist, sei es auf einer Kaffeefahrt oder im Fernsehen. Dabei ist HSE ebenso wie QVC, ein amerikanischer Sender und direkter HSE-Konkurrent auf dem deutschen Markt, nichts weiter als ein Katalog auf dem Bildschirm. Waren, über deren Nützlichkeit gestritten werden kann, werden on Air verkauft - eine logische Weiterentwicklung der Versandhauswälzer von Quelle und Co. Ein größeres Risiko für den Kunden als im Einzelhandelsgeschäft gibt es nicht, er hat uneingeschränktes Umtauschrecht. Zudem könnte es sich der Sender gar nicht leisten, den Zuschauern nicht funktionierende, überteuerte Geräte aufzuschwatzen, zu schnell wäre er die Kunden los. Dass diese jedoch zufrieden sind, zeigt die Tatsache, dass HSE schwarze Zahlen schreibt.
Marketingchef Malte Hildebrandt schätzt den Wettbewerb unter den Homeshoppingsendern in Deutschland als gesund ein. Er vermutet, dass noch weitere Anbieter mit breiteren Produktpaletten hinzukommen werden, auch wenn dies schwierig sei, weil die Eintrittschwelle in den Markt hoch ist. Wer einen Verkaufssender starten will, braucht zunächst einen Kabelplatz, eine ausgefeilte Logistik, entsprechende Produkte und nicht zu vergessen - Fernsehstudios samt Produktionsmaschinerie. Dies werde oft unterschätzt, so Hildebrandt. So sei in diesem Jahr der Metrokonzern mit dem Versuch gescheitert, einen eigenen Verkaufssender auf die Beine zu stellen. Bei HSE sind die Moderatoren an der Sortimentsauswahl beteiligt, planen die Sendungen mit und analysieren die Verkaufspräsentationen. Eine Live-Sendung ist auch nicht gegen Pannen gefeit. Einmal ist er mit einem Liegestuhl zu schwungvoll umgegangen, so dass die Lehne rasant zurückflog und die Pantinen von Felix im hohen Bogen durch das Studio sausten. »In einer Kochsendung hat sich Starkoch Alfons Schuhbeck in den Finger geschnitten. Er hielt die blutende Hand hinter den Rücken. Der Aufnahmeleiter kam herangerobbt und hat ihm während der Sendung von den Zuschauern unbemerkt die Hand verbunden«, erinnert sich Köppl. Dann verabschiedet er sich, er muss noch eine Sendung um 22 Uhr vorbereiten. Im Studio ist es still geworden. Dekorateure, Produzenten und Kameraleute sind Im Nachbarstudio versucht derweil Günter Winter den Zuschauern zu erklären, warum sie unbedingt ein Drahtbäumchen besetzt mit Edelsteinen kaufen sollten.