Aus Altglas wird nicht Glas, sondern Baustoff
Jährlich fallen 3,1 Millionen Tonnen Bruchglas an /Neubrandenburger hatte Idee für sinnvollen Wiedereinsatz
Von HANS-WERNER OERTEL
Die Frage „Wohin mit dem Müll?“ beantwortet derökosensible Hausmüll-Verursacher je nach Sorte mit dem Öffnen der gelben, grünen oder blauen Tonnen. Wenn für diesen der Fall erledigt ist, fängt das Problem für die Recyclingwirtschaft erst an. Im Falle Altglas ist Industrie mit herkömmlichen Methoden nicht in der Lage, die Mengen an Einweg-Flaschen und Gläser wiederzuverwerten.
Ideen müssen her, um der jährlich in Deutschland anfallenden 3,1 Millionen Tonnen Bruchglas Herr zu werden. Schließlich, so die Statistik, erhalten nur 42 Prozent dieser Menge Chancen auf ein zweites Leben. Mehrere Firmen in Ostdeutschland haben sich diesem Thema gewidmet. Vikor in Berlin-Oberschöneweide und das ehemalige* Giasinstittrt der DDR in Bad Muskaü beispielsweise.
Eine produktionsreife Innovation gelang auch dem 57jährigen Neubrandenburger „Jungunternehmer“ Eckhard Röpcke. Baustoffhersteller Röpcke mischt in seiner Kalksandstein-Produktion kräftig
Altglas unter. Der geschäftsführende Gesellschafter der Neubrandenburger Kiestagebau GmbH setzt voll auf einheimische Rohstoffe für hochwertiges Baumaterial. Parallel zur Erweiterung des Produktionsspektrums von Hintermauer- um Vormauer- und Verblendersteine sowie demnächst um Betonpflaster sowie “Trockenputz und -mörtel kam ^Röpcke auf die Idee, Glasbruch für die Produktion von Kalksandsteinen einzusetzen. Glas ist schließlich Quarzsand in wiederverwendungsfähiger Veredelung. Neben Sand braucht es nur noch Kalk und Wasser für den Baustoff Kalksandstein.
Röpcke, zu DDR-Zeiten im Bezirk Neubrandenburg mitverantwortlich für das Baugeschehen, überlegte: Wenn für Kalksandstein eine Mischung von granuliertem Glasbruch und Sand eingesetzt würde, könnten die Glasbruch-Deponien kleiner und die natürlichen Sandvorkommen geschont werden. Um das Optimum für die Buntglas-Zusätze zu ermitteln, reichten eigene Praxisversuche nicht aus. Das Institut für Werkstoffkunde in Reutlingen wurde beauftragt, ein Mischverhältnis zu finden. Es soll bei Eins zu Drei liegen. Wird ein knappes Drittel Glas zugesetzt, erhält der Kalksand(glas)stein eine größere Dichte. Verbesserte Schallresistenz und stabilere Kanten sind die Folge.
Das neue Verfahren soll in der Neubrandenburger Firma in diesem Jahr verwirklicht werden. Zusammen mit anderen Maßnahmen sind dazu 34 neue Arbeitsplätze - eine Verdopplung der bestehenden -
im Gespräch. Oberingenieur Röpcke, der mit Selbstbewußtsein sagt, daß sich das Werk „vorrangig in den Händen von
ehemaligen DDR-Bürgern befindet, bezieht auch den Sachverstand der Fachhochschule Neubrandenburg ein. Ob letzlich ein Patent beantragt wird, kann der Geschäftsführer noch nicht definitiv sagen.
Zu den bereits 150 000 Kalksteinen mit Altglas-Anteil werden in den nächsten Woche weitere 50 000 bis 80 000 hinzukommen, soll mit dem neuen Produkt zunächst ein bescheidener Umsatz von 150 000 Mark erreicht werden. Ein so innovativ wie flexibler „newcomer“ muß etablierten Traditionsfirmen schon ein Dorn im Auge sein.
„Unsere Hauptschwierigkeiten“, berichtete Röpcke kürzlich in Leipzig, „waren eigentlich nicht so sehr die Gründung, Realisierung, Umsetzung oder der Markt, sondern der unlautere Wettbewerb gegen uns als Unternehmen.“ Eine Heidelberger Baustoffirma hatte versucht, Röpcke und seinem Osnabrücker Kompagnon Anteile abzujagen und vorher „in die Knie zu zwingen“ durch Preise weit unter den Gestehungskosten. Das Landkartellamt von Mecklenburg-Vorpommern untersagte schließlich die einseitigen Fusionsabsichten.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.