Becke Bester im DDR-Trikot

Bahn-Olympiaqualifikation bleibt weiter theatralisch

Das Theater um den deutschen Verfolgervierer der Bahnradsportler erlebte gestern den nächsten Akt. Beim ersten Sichtungsrennen für die Olympiakader 2004 spielten alle Beteiligten ihre Rollen wie erwartet. Die für Thüringen startenden Jens Lehmann, Daniel Becke und Sebastian Siedler gaben weiter die beleidigten Ehrenmänner, Robert Bartko und Guido Fulst wuschen ihre Hände in Unschuld - und über allem wachten BDR-Präsidentin Sylvia Schenk und ihr Sportdirektor Burckhart Bremer. Shakespeare in der Oderlandhalle von Frankfurt (Oder). Obwohl es nur darum ging, im Kampf gegen die Uhr einen ersten Kader von zehn Leuten zu finden, aus denen die sieben Athen-Teilnehmer noch herauszufiltern sind, war das Medieninteresse gewaltig: Gut 30 Fernseh-, Radio- und Zeitungsjournalisten wollten miterleben, wer aus dem Feld der 26 Fahrer unter die zehn Zeitbesten fährt und somit die erste Hürde zu Olympia nimmt. Um zuerst beim sportlichen Teil zu bleiben: Am Ende des gestrigen Tages waren die Resultate eindeutig. Klarer Sieger der ersten Runde der Olympiaqualifikation war Daniel Becke aus Erfurt, der das Finale gegen Robert Bartko gewann. In beachtlichen 4:20,558 nahm Becke dem Berliner fast acht Sekunden ab (4:28,112). Dritter wurde Jens Lehmann (4:27,657) vor Christian Lademann (Berlin). Der Sieger fuhr übrigens in einem Trikot der DDR-Nationalmannschaft. Dies wollte »Becke« jedoch nicht als Demonstration verstanden wissen, und er hatte die staatlichen Kennzeichen auch dezent abgeklebt. »Doch diese Trikots sind nach wie vor am windschlüpfrigsten«, begründte er seine Wahl. Im weniger sportlich und mehr psychologischen Rahmen blieb den ganzen Tag über die Frage spannend, wie sich Becke, Lehmann und Siedler gegenüber ihren Kollegen Bartko und Fulst verhalten würden, mit denen sie bei der Bahnrad-WM 2003 in Stuttgart wegen vermeintlicher Ungereimtheiten in der Nominierung nicht hatten antreten wollen. Der Boykott der Thüringer damals hatte zu einem Eklat und der Absage des deutschen Vierers geführt. Der BDR suspendierte die rebellischen Athleten, hob die Sperre aber mittlerweile auf. Gestern hatten die Thüringer bereits am Morgen für Gemunkel gesorgt, als durchsickerte, sie wollten mit einem Thüringer Vierer eine Rekordfahrt nach dem Wettkampf probieren. Nach dem Zeitfahren jedoch wurde dieser Plan verworfen, die Resultate der Fahrer waren wohl zu wenig Rekord-versprechend. Provokation gescheitert. Direkt nach dem Wettkampf startete Qualifikationssieger Becke den nächsten Versuch. Auf einer improvisierten Pressekonferenz im Foyer monierte er, nicht mit zum Weltcup in Moskau genommen worden zu sein, der am Donnerstag beginnt. Bei insgesamt vier Weltcups haben die Fahrer die Möglichkeit, sich für die WM in Melbourne zu qualifizieren, bei der man sich wiederum für Olympia qualifizieren kann. BDR-Präsidentin Sylvia Schenk erklärte dazu: »Die Nominierungen für Moskau sind seit mehr als einer Woche klar.« Becke habe noch drei weitere Weltcups, bei denen er Punkte für die BDR-interne Qualifikation sammeln könne. Was einfach klingt, ist für Becke ein Problem, denn die Weltcup-Termine überschneiden sich terminlich mit Klassikern wie Paris - Roubaix, Paris - Nizza oder auch Deutschland-Rundfahrt. Da wird ihn jedoch sein spanisches Profiteam Islas Baleares Ibanesto kaum freistellen. Möglicherweise schafft also der beste Verfolger der gestrigen Entscheidung keine Olympiateilnahme aus Termingründen. Allein für Moskau hatte der Thüringer schon eine Freistellung. Laut Sylvia Schenk ist eine Nachnominierung nach UCI-Regeln nicht mehr möglich. Sie will die verfahrene Situation mit den in zwei Lager geteilten Fahrerkader nun mit professioneller Hilfe meistern. »Mitte Februar steht ein Termin an für eine Mediation. Das ist ein eingeführtes Verfahren zur Konfliktbewältigung.« Mit einer Gesprächstherapie sollen also jetzt die Gräben überwunden werden. Ganz andere Vorstellungen hat dagegen der Berliner Robert Bartko. »Wir sind gesprächsbereit. Aber die anderen müssen auf uns zukommen. Und dann gibt es hoffentlich ein öffentliches Gespräch, bei dem auch die Presse dabei ist. Kein Mauschel-Mauschel. Es klingt, als ob von den Verfolgern noch einiger Wirbel vor Athen zu erwarten ist. Das Drama geht weiter.

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