USA-Präsident Bush will die Terroristen in ihren Löchern »ausräuchern«. Doch wo befinden sich diese finsteren Gelasse? Nach Ansicht des USA-Kongresses existieren terroristische Strukturen Osama bin Ladens in 34 Ländern.
Seit den Nachmittagsstunden des 11.September rätselt die Welt zusammen mit hilflosen Geheimdiensten, wer für den Massenmord von New York und Washington verantwortlich sei. Dabei geht es nicht nur um das Ausfüllen von Erkenntnislücken, sondern um die diffizile Frage, wo und mit welchen Mitteln denn die Terrorismusbekämpfung ansetzen soll.
Für die USA-Regierung steht jetzt unverrückbar fest: Der saudische Extremist Osama bin Laden, der sich vermutlich in irgendwelchen afghanischen »Löchern« verbirgt, ist der Hauptübeltäter. Wie die USA-Nachrichtenagentur AP am Wochenende mitteilte, befinden sich laut einem am Donnerstag erstmals bekannt gewordenen Bericht des USA-Kongresses Zellen der Terrororganisation bin Ladens in nicht weniger als 34 Ländern.
Afghanistan nimmt in diesem Bericht als potenzielles Ziel für einen militärischen Vergeltungsschlag - seit gestern schließt Washington auch den Einsatz von Bodentruppen nicht mehr aus - den vordersten Platz ein. Zweifellos gibt es dort solche Strukturen, terroristische Gruppen, die nach dem Sieg der Mujaheddin über die linke Regierung Najibullah vor allem unter dem Eindruck des zweiten Golfkrieges zunehmend antiamerikanische Positionen bezogen.
An zweiter Stelle wird nicht unerwartet Pakistan genannt - gilt doch Pakistan bis heute als Hauptakteur in Afghanistan selbst; der pakistanische Geheimdienst ISI hat nicht nur - gemeinsam mit der CIA - die Fäden gegen die sowjetischen Interventionstruppen und die Najibullah-Regierung gezogen, sondern auch die radikalislamischen Taleban aus der Taufe gehoben. Doch die weit größere terroristische Gefahr - und auch eine substanzielle Bedrohung des pakistanischen Staatswesens - geht unterdessen nach Meinung des Berliner Südasienwissenschaftlers Prof. Diethelm Weidemann von der islamistischen Bewegung in Pakistan aus. Deren Einfluss sei in dem von vielen inneren Konflikten bedrängten Land in jüngster Zeit außerordentlich gestiegen. Deshalb stellen die Forderungen der USA an Pakistan nach Unterstützung oder zumindest Duldung von Militärschlägen gegen Afghanistan eine Zerreißprobe nicht nur für die Regierung in Islamabad, sondern das gesamte Land dar.
Besonders prekär für größer angelegte amerikanische Operationen gegen Ziele in Afghanistan ist nach Auffassung des Afghanistan-Experten Dr. Michael Pohly von der Berliner Freien Universität die Tatsache, dass gerade in den pakistanischen Nachbarregionen Belutschistan und Nord-West-Provinz die islamistischen Kräfte konzentriert seien und sich hier auch der größte Teil der unterdessen 35000 Koranschulen befände, wo die Taleban, aber auch verschiedene terroristische Gruppierungen ihre Aktivisten rekrutieren. Pohly hält im Übrigen Schläge gegen das total verarmte Afghanistan auch deshalb für unsinnig, weil die am Golf ansässigen Hintermänner des Terrors - die Profiteure des Waffenschmuggels, des Drogenhandels und auch des riesigen »normalen« Warenschmuggels in der Region - nicht getroffen würden.
Deshalb ist auch die Nennung Saudi-Arabiens auf einem der vordersten Plätze der Kongress-Liste von besonderer Pikanterie. Der mit Ölfeldern gesegnete, aber von Demokratie völlig verschonte Nahost-Staat ist der strategisch wichtigste Bündnispartner der USA in der Region und zugleich einer der größten Herde des antiamerikanischen Terrorismus überhaupt. Nicht weniger als drei der größten Attentate gegen die USA wurden auf der arabischen Halbinsel ausgeführt: der Anschlag auf das Gebäude der saudischen Nationalgarde 1995 mit fünf toten US-Amerikanern, das Attentat auf ein Wohngebäude der USA-Luftstreitkräfte in Dhahran 1996 mit 19 toten US-Soldaten und der Anschlag auf den US-Zerstörer USS Cole im Oktober 2000 in Aden (17 Tote). Diese Konzentration ist nicht allein der saudischen Herkunft bin Ladens geschuldet, von dem Wüstenstaat aus hat auch die extreme islamistische Gruppierung der Wahhabiten ihre Netzwerke nicht nur über die moslemische Welt gezogen.
Doch von irgendwelchen Schlägen gegen Riad ist in Washington nicht die Rede - wohl aber von neuen Luftangriffen gegen Irak, das kurioserweise in der Kongressliste nicht auftaucht, aber gerade vor wenigen Tagen wieder bombardiert wurde. Während die südostasiatischen Länder Bangladesch, Malaysia und Philippinen ebenso wie mehrere mittelasiatische GUS-Staaten plus Tschetschenien auf der Liste figurieren, bleibt auch die Türkei unerwähnt - obwohl auch hier mit den betagteren Grauen Wölfen und den jüngeren Jammat ein bedeutendes islamisch-terroristisches Potenzial existiert. Erstaunlich auch, dass zwar Libanon und Jordanien benannt werden, nicht aber Syrien und die palästinensischen Autonomiegebiete. Das steht auch im Widerspruch dazu, dass in dem Bericht 19 nahöstliche Terrororganisationen aufgeführt werden, von denen dem Netzwerk bin Ladens eine »extrem hohe« und den palästinensischen Gruppierungen Dschihad und Hamas »sehr hohe« Aktivitäten zugemessen werden.
Die Verifizierung praktisch aller nordafrikanischen Staaten von Ägypten und Sudan über Libyen, Tunesien und Algerien bis hin nach Mauretanien als mögliche Terrorzentren ist nicht erstaunlich, hier werden sowohl traditionelle militante islamistische Gruppierungen als auch die »Afghanen« - arabische Afghanistan-Legionäre - in Betracht gezogen. Während die Klassifizierung von Uruguay und Ekuador als Terrorbasen einige Rätsel aufgibt, sind Albanien, Bosnien und Kosovo gewiss mit Bedacht auf die Liste gesetzt worden - hier fehlen eigentlich nur noch Mazedonien und die Buchstaben UCK.
Pikant auch, dass Großbritannien, Kanada und die USA selbst als »Höhlen« des Bin-Laden-Netzwerkes identifiziert werden. In einer neueren Ausgabe dieser Liste müsste nach den Erkenntnissen von Hamburg-Harburg und Bochum nun auch die Bundesrepublik Deutschland auftauchen. Nach der Lesart des USA-Präsidenten, nach der auch die Länder bestraft würden, die terroristische Aktivitäten dulden, käme auch die Bundesrepublik ins Visier.
Da schwant auch der Nachrichtenagentur AP Unheil. Besonders prekär könnte die Situation für die USA werden, heißt es dort, wenn sich herausstellt, dass die Spur von bin Ladens Terrorkommandos zu engen Verbündeten (etwa Ägypten) führen würde. Dann wären die USA »in einem echten Dilemma«, wird ein Pentagon-Experte zitiert.