• Politik
  • Der Terror und seine Folgen

»Amerikas neuer Krieg«

Mit allen verfügbaren Mitteln will USA-Präsident Bush den Terror ausrotten

  • Max Böhnel, New York
  • Lesedauer: 4 Min.
Der »Krieg gegen den Terrorismus« der USA wird weit über Angriffe auf Afghanistan hinausgehen, kündigte Präsident George W. Bush in einer historischen Rede an. Wenig überraschend die Hauptzielscheibe: das Netzwerk Osama bin Ladens.
Das Ziel der USA bestehe darin, »jede Terrorgruppe mit globaler Reichweite auszulöschen«, erklärte der US-Präsident in einer weltweit übertragenen, 40-minütigen Rede um 21 Uhr Ortszeit vor den Mitgliedern des US-Kongresses und Dutzenden prominenten Gästen. Und Bush ließ keinen Zweifel daran, wen die USA dabei als erstes Hauptziel anvisieren: das »Terrornetzwerk Al-Qaida des saudischen Multimillionärs Osama bin Laden« sowie das afghanische Taleban-Regime. An dessen Adresse gerichtet, stellte Bush das Ultimatum, alle im Land festgehaltenen Ausländer freizulassen. Und: Entweder die Taleban lieferten die mutmaßlichen Drahtzieher der Anschläge von New York und Washington unverzüglich aus, oder »sie werden ihr Schicksal teilen«. Terroristische Organisationen existierten in 60 Ländern, sagte Bush, und neben Al-Qaida nannte er namentlich zwei weitere Islamisten-Organisationen, die ägyptischen »Dschihad Islami« sowie das »Islamic Movement« in Usbekistan. Beide stünden mit Al-Qaida und bin Laden in enger Verbindung. »Das könnte Weltkrieg bedeuten«, lautete die erste Reaktion eines Kommentators im Fernsehsender ABC auf die von Bush angedeutete Stoßrichtung: mit einer völlig neuartigen Kriegsführung und über Jahre hinweg. Die Mittel werden laut Bush von diplomatischem Druck über Aufklärung und geheimdienstliche Operationen, die Schließung von Bankkonten bis hin zum Gebrauch aller verfügbaren Waffensysteme reichen. Bush ließ außerdem keinen Zweifel daran, dass die US-Regierung zu definieren gedenke, wer und was als »terroristisch« zu definieren und damit auszulöschen sei: jeder Nation, sagte Bush ausdrücklich, die Terrorismus beherberge oder unterstütze, drohe dasselbe Schicksal. Sie würde von den USA ab sofort als »feindliches Regime« betrachtet - und damit als potenzielles Angriffsziel. Bushs Rede wurde mehrmals von Standing Ovations und tosendem Beifall der Abgeordneten und Senatoren beider Parteien unterbrochen. Als Ehrengäste begrüßte Bush namentlich den britischen Premier Tony Blair, den New Yorker Bürgermeister Rudolph Giuliani sowie Angehörige von Opfern der Anschläge vom 11. September. Mehrere Politiker wohnten der Bush-Rede aus »Sicherheitsgründen« nicht bei, darunter Vizepräsident Dick Cheney und der Republikaner-Fraktionsschef Dick Armey. Außerhalb des Kapitols waren Tausende von Polizisten und Secret-Service-Angestellten aufmarschiert. Beobachter sagten, solch strenge Sicherheitsvorkehrungen habe es in der geschichte der USA nicht gegeben. Die Wahrscheinlichkeit eines »dritten Weltkriegs« wurde auf der Titelseite der »New York Times« nicht ausgeschlossen. Chefkommentator R. W. Apple Junior schrieb in der Freitagsausgabe der Zeitung, Bush habe sich mit seiner Rede auf die Seite derjenigen in seinem Beraterzirkel gestellt, die »einen größtmöglichen Feldzug gegen Terrorismus« befürworten. Die Berater, die für die Eingrenzung des Krieges auf Osama bin Laden und Al-Qaida plädiert hätten - nicht zuletzt, um die internationale Bündnispolitik zu erleichtern - konnten sich nicht durchsetzen. Bush habe sich aber für die andere Option entschieden. Und Apple führt aus, der US-Präsident habe den Begriff »Weltkrieg drei« möglicherweise wegen europäischer Sensibilitäten nicht gebraucht. Die Europäer fühlten sich »unwohl, wenn zu viel über Krieg gesprochen wird«, und dächten deshalb lieber daran, es handele sich um eine »internationale Polizeiaktion«. Die harte Wortwahl unmittelbar nach den mörderischen Attacken in New York und Washington hat inzwischen aber auch zum Nachdenken geführt. Als Bush von einem »Kreuzzug« (crusade) gegen den Terrorismus sprach, fühlte sich die moslemische Welt zugleich an das Mittelalter und die christlichen Kreuzritter erinnert. Bush formulierte schnell um. Stattdessen spricht die Regierung der USA vor allem von einer Kampagne gegen den Terrorismus. Je deutlicher den US-Amerikanern wird, dass der Kampf gegen den Terrorismus eine langwierige Angelegenheit werden kann, desto weniger martialisch wird offensichtlich das Vokabular. Ganz auf Linie sind derweil die großen Fernsehsender: »Amerikas neuer Krieg« lautet die Formel, die sie jetzt über ihre Sonderberichte setzen. Kritisches wird ausgeblendet, und stattdessen ist die Stunde der Generäle, der »Antiterror«-Spezialisten und der selbsternannten Orientexperten gekommen. Die Mehrzahl der US-amerikanischen Fernsehjournalisten - und Fernsehen ist in viel größerem Ausmaß als in Europa ein Instrument der Meinungsbildung - flieht deshalb ins Patriotische und betreibt Kriegspropaganda, nicht zuletzt, um sich nicht - wie während des Golfkriegs gegen den Irak - der Gefahr auszusetzen, von Pentagon, Verteidigungsministerium und Weißem Haus von Informationen abgeschnitten zu werden. Der Selbstzensur der Massenmedien und der Marschrichtung, die Bush am Donnerstagabend offiziell in die Wohnzimmer zu tragen versuchte, werden am Wochenende allerdings Zehntausende von besorgten Amerikanern etwas entgegensetzen. Auf Gegendemonstrationen, in aus dem Vietnamkrieg bekannten »Teach Ins« und mit einer Reihe weiterer Aufklärungs- und Protestformen soll in allen Großstädten und auf über 100 Universitäten und Colleges auf den Krieg und seine verheerenden Auswirkungen auf die Gesellschaft aufmerksam gemacht werden. Allein am Vorbereitungstreffen in New York, wo Tausende zu einem Rekrutierungsbüro der Armee marschieren werden, beteiligten sich Vertreter von 200 Organisationen. Gemunkelt wird bereits von einer neuen Friedensbewegung.
Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.