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Gedenktafel für beherzten Reviervorsteher

  • HEINZ KNOBLOCH
  • Lesedauer: 5 Min.

Fotoporträt Wilhelm Krützfelds

Gedenktafel am Nebengebäude der Neuen Synagoge (Bild rechts) Fotos: Burkhard Lange

Mit der Geschichte der Neuen Synagoge in Berlin bleibt das Handeln eines deutschen Polizisten verbunden, dessen Name jahrzehntelang unbekannt geblieben ist. 1938 war er der Vorsteher des zuständigen Reviers 16; in der Pogromnacht 'vom 9./10. November 1938 wurde er in seiner Wohnung verständigt, Feuer sei gelegt worden in dem 1866 geweihten und seiner Obhut anvertrauten historischen Gebäude. Er eilte in sein Revier am Hakkeschen Markt, griff sich Männer vom Innendienst und rannte mit ihnen zur Synagoge, in deren Vorderräumen die Brandstifter am Werke waren - und verjagte die Nazis.

Das ist die Größe seines Tuns. Er nahm keine Rücksicht auf anderslautende Befehle oder etwaige Konsequenzen, sondern folgte seinem Gewissen. Außerdem alarmierte er die zuständige Feuerwache. Die kam, löschte und stellte sogar eine Brandwache auf. Das dürfte damals in Deutschland so gut wie einmalig gewesen sein. Allerorten wachte die zur Untätigkeit befohlene Feuerwehr nur darüber, daß das Feuer nicht auf umliegende nichtjüdische Gebäude übergriff.

Es ist alles so lange und viel zu lange her, als daß wir Einzelheiten wüßten für das Geschichtsbild; wer aber hat sich 1948, 1958 interessiert dafür, was in der Pogromnacht in Berlin geschah? Damals hätte man noch Augenzeugen gefunden.

Mehr zufallig las ich 1983 in einem Berliner Museumskatalog eine Erinnerung von Hans Hirschberg an jene Tage. Vom Reviervorsteher war die Rede, von seinem Tun - aber wie war sein Name? Müßte dieser Mann nicht wenigstens an einem der Gedenktage mitgeehrt werden, als Bruder Namenlos? Der Unbekannte, der bis zu seinem Tode 1953 - wie wir heute jwissen - im Osten Berlins lebite, nachdem er Ende 1945 aus seiner Heimat Schleswig-Holstein zurückgekehrt war, hatte sich nie wegen der Synagogen-Rettung bemerkbar gemacht oder gar Anerkennung erwartet. Er empfand sein Verhalten als korrekte Polizeiarbeit. Gerade das zeichnet ihn aus.

Das Feuilleton „Ein Reviervorsteher“ in der damals beliebten, auflagenstarken „Wochenpost“ erbrachte den Anruf: „Das war mein Vater!“ Sein Sohn Artur in Berlin wußte manches, ebenso dessen in Hamburg lebender Bruder Walter; Der Revier-Oberleutnant Wilhelm Krützfeld würde fortan nicht mehr vergessen werden.

Die Geschichte der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße ist seit ihrer feierlichen Einweihung mit den Berliner Polizeipräsidenten verknüpft. 1866 war außer dem Anzeige

Ministerpräsidenten Bismarck und Graf Waldersee als Gouverneur von Berlin der Polizeipräsident anwesend. 1938 bestellte Polizeipräsident Graf Helldorf den Reviervorsteher zu sich, weil er „den gesunden Volkswillen“ in der Pogromnacht behindert hatte! 1991 ehrte Berlins Polizeipräsident Georg Scherz die mutige Tat an der später vom Senat zum Ehrengrab erklärten Ruhestätte der Familie Krützfeld. Am 5. Mai 1995 enthüllte Polizeipräsident Hagen Saberschinsky am Nebengebäude der Neuen Synagoge eine Gedenktafel der Berliner Polizei, auf der es heißt, Wilhelm Krützfeld „bewahrte in der Pogromnacht“ diese Synagoge „durch mutiges und entschlossenes Eingreifen“ vor Zerstörung.

Unsereiner, für den „mutig“ und „entschlossen“ dasselbe ist, hätte vermutlich vorgeschlagen: „in eigener Entscheidung“, denn das war es, und: „mit Zivilcourage“, denn die zeigte der Polizeibeamte Krützfeld. Er hatte sie bereits vorher im Amt bewiesen. Und eines kommenden Tages könnten andere mutige Polizisten des Reviers 16, die nachweislich Juden halfen, ihr ehrendes Andenken bekommen.

Beide heute über achtzigjährigen Söhne Wilhelm Krützfelds nahmen mit ihren Frauen an der Feier teil. Die erfuhr einen Höhepunkt, als amerikanische Polizisten durch die Oranienburger Straße anmarschierten. Eine Abordnung des Police Departments der Stadt New York. Mit Sternenbanner

und der mit goldenem Davidstern gekrönten Flagge ihrer jüdischen Abteilung, der Gesellschaft Shomrim, was „Wächter“ oder „Hüter“ bedeutet.

Sie überreichten dem Centrum Judaicum eine Ehrentafel als Auszeichnung für Wilhelm Krützfelds Mut: in Anerkennung „seiner individuellen, humanistischen Tat zum Schütze dieser Synagoge und des Lebens jüdischer Menschen“. New Yorks jüdische Polizisten ehren ihren Berufskollegen in Berlin! In diesem Berlin müssen heutzutage leider jüdische Schulen, ja sogar Kindergärten von schwerbewaffneten Polizeibeamten bewacht werden. Es ist also wieder Zivilcourage gefragt. Der Polizeipräsident nannte Wilhelm Krützfeld ein

„herausragendes Vorbild für alle Polizeibeamten“.

Schleswig-Holstein als Heimat gab seiner Landespolizeischule am 9. November 1993 Wilhelm Krützfelds Namen. Ihre Ständige Ausstellung ist bis Ende Mai in Berlin als Leihgabe in der Berliner Polizeihistorischen Sammlung zu besichtigen.

Die Stiftung „Neue Synagoge Berlin - Centrum Judaicum“ ehrt ihn in ihrer jetzt eröffneten Ständigen Ausstellung, deren Begleitbuch „Tuet auf die Pforten“ soeben erschienen ist.

Der Direktor der Stiftung, Dr. Hermann Simon, erwähnte in seiner Ansprache vor der Gedenktafel den für dieses Gebiet zuständigen Kontaktbereichsbeamten Egon-Joachim Kellotat, dessen „beharrliches Drängen“ nach einer öffentlich sichtbaren Ehrung für Krützfeld zum Erfolg führte.

„Möge die Gedenktafel“, sagte Hermann Simon, „sichtbar für jedermann, jene, die hier vorübergehen, an den tapferen und couragierten Menschen erinnern, der mit seinen Mitteln in der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 den Verhältnissen widerstand.“

Öffnungszeiten der Ausstellung in der Polizeihistorischen Sammlung am Platz der Luftbrücke 6 in Berlin: Mo-Mi 9.30-11.30 und 13-15 Uhr. Für Gruppen nach Vereinbarung.

„Tuet auf die Pforten“, Die Neue Synagoge 1866-1995, Stiftung Neue Synagoge Berlin - Centrum Judaicum. Berlin 1995.

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