Die große Ratlosigkeit

Alter Barde neu: Ein Album mit Cover-Versionen von Wolf-Biermann-Lieder ist erschienen

  • Gaston Kirsche
  • Lesedauer: 6 Min.
Wolf Biermann, Liedermacher und Lyriker
Wolf Biermann, Liedermacher und Lyriker

Mit »Wolf Biermann Re:imagined. Lieder für jetzt!« sind 22 neu eingesungene, neu arrangierte Titel des Liedermachers erschienen. Oder genauer: 20 Titel aus mehreren Jahrzehnten plus eines in zwei sehr unterschiedlichen Versionen. Denn bei »Das kann doch nicht alles gewesen sein«, kongenial neuinterpretiert von Jan Plewka und der Schwarz-Roten Heilsarmee, handelt es sich um das gleiche Lied wie bei der »Bilanzballade im dreißigsten Jahr«, eingesungen von dem Newcomer Maxim. Während aber bei Plewka eine Lust am Rebellieren gegen die Vernutzung im kapitalistischen Arbeitsalltag mitgesungen wird, so klingt Maxim wie jemand, der zeigen will, dass er wie Biermann intonieren kann und den Text ansonsten runtersingt. Aber genau dies ist das Faszinierende, das Schöne an dem sowohl auf Vinyl als auch auf CD erschienenen Album: Keine Interpretin klingt wie der andere.

Mit »Wolf Biermann Re:imagined. Lieder für jetzt!« hat das Hamburger Indie-Label Clouds Hill eine überraschende Zusammenstellung neu aufbereiteter Songs des Liedermachers herausgebracht. Es ist, als ob die in linken Bewegungen an Hunderten Lagerfeuern und Spieleabenden zu Klassikern hingesungenen Protestlieder aus den Zeiten der linken Opposition in der DDR in einem Kaleidoskop mit neueren Werken Biermanns durchgemischt als neues Farbenmuster erscheinen, in dem es viele neue Formen, Ecken und Lichtbrechungen gibt. Dies ist zum Teil überraschend, aber auch verstörend für die an den Gesang und Vortrag des Schnurrbartträgers aus der Altbauwohnung in der Chausseestraße 131 in Berlin, Hauptstadt der DDR, Gewöhnten.

Die neuen Versionen sollen die Lieder kompatibel »für jetzt« machen, wodurch sie zugänglicher werden sollen für jüngere Hörer*innen. Dabei macht die Kompilation mit ihrem als Vielfalt gedachten, aber als konzeptionsloses Durcheinander daherkommenden Mix unterschiedlichster Interpret*innen zwar einerseits neugierig auf weitere Texte und Melodien des Liedermachers, hinterlässt aber andererseits eine große Ratlosigkeit: So gut, bissig und gesellschaftskritisch getextet und komponiert die Ursprungslieder sind, so verschwindet die radikale und melancholische Wucht in knapp der Hälfte der Titel in wattiger, teilweise süßlicher Diffusität, überlagert von elektronischen Klangteppichen.

»So soll es sein – so wird es sein« etwa wird von Annett Louisan interpretiert. Irritierend ist nicht nur, dass die Hälfte des Textes einfach weggelassen wird, wodurch sich die Aussage verschiebt. Etwa, wenn gerade das dialektische Moment der Brechung des Revolutionspathos und der vermeintlichen absoluten Wahrheit wegfällt, der in dieser Strophe zum Ausdruck kommt: »Sie selbst – na endlich! – die Revolution / Sie re-vo-lu-ti-o-niert sich schon / Sie wirft auf sich den ersten Stein«. Oder die schöne Vorstellung, dass kein Spitzel mehr Arbeit findet als solcher, was ja nicht nur zu den Zeiten der Stasi, sondern auch des westdeutschen Inlandsgeheimdienstes eine Sehnsucht von dissidenten, staatsfernen Linken ist.

Nein, auch die bis in die Unverständlichkeit gesäuselten Zeilen, welche die zentrale Botschaft dieses von Radikalen in den wilden 70er Jahren oft gesungenen Liedes ausdrücken: »So oder so, die Erde wird rot / Entweder lebendrot oder todrot / Wir mischen uns da bißchen ein«. Die radikale Aussage ist heute so richtig wie vor 55 Jahren, als sie das erste Mal auf einer Platte von Biermann erschien. Dem Easy-listening-Arrangement ist kaum anzuhören, dass durch die mit der kapitalistischen Vernutzung der Natur einhergehende Klimakatastrophe die Erde auf dem schlechtesten Weg ist, »todrot« zu werden. Dem realen Geschehen entrückt wirkt Louisans Gezirpe.

Dagegen ist es eine Freude, der Sängerin Balbina zu lauschen, wie sie nüchtern-hart »Soldat, Soldat« singt – ein Antidot zur Werbung für die Bundeswehr. Oder dem Rapper Aligatoah zuzuhören, wenn er »Der Hugenottenfriedhof« gibt. Die Ballade, die wie so viele andere, wie fast alle guten Lieder von Biermann in der DDR entstanden ist und ohne die leidenschaftliche Auseinandersetzung mit ihr und mit der Geschichte der kommunistischen Bewegung nicht möglich gewesen wäre, wirkt im klaren, melodiösen Gesang wie neu poliert. Etwas Klavierbegleitung, Gitarre klar, auch ein Bass. Aber die Melodie bleibt, der Text ist deutlich, ungekürzt auf der Aufnahme zu verstehen.

Der beschriebene Friedhofsbesuch ist eine Hommage an dort liegende Tote und nicht nur, wie meist zitiert wird, eine Kritik an bekannten Lebenden in der DDR: »Wie nah sind uns manche Tote, und wie tot sind manche, die leben«. Erst durch das Erzählen, wer dort liegt und zu wem Biermann geht, wird das Lied ganz: »Wir hakeln uns Hand in Hand ein / Und schlendern zu Brecht seinem Grab / Aus grauem Granit da, sein Grabstein / Paßt grade für Brecht nicht schlecht / Und neben ihm liegt Helene / Die große Weigel ruht aus«. Biermann hat am Berliner Ensemble gelernt, die Weigel hat ihn, den jungen rebellischen Kommunisten aus Hamburg, als Regieassistenten an das Theater geholt. Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, Hanns Eisler, John Heartfield … Es sind viele große Namen, an die in diesem Lied erinnert wird.

Die von Bonaparte vorgetragene »Ermutigung«, das wohl bekannteste Lied von Biermann überhaupt, gesungen in Gefängnissen der DDR – wie Biermann gerne erzählt – wie auf von Polizei bedrängten Demonstrationen in der BRD – wie der Autor erlebt hat –, klingt gut gealtert trotzig und aufbegehrend wie eh und je. Auch wenn die Bedeutungsschwere manchen etwas zu viel ist – was dazu führte, dass ein Kollege ihn im Flur der »›Taz‹ hamburg« schon mal mit Tremolo und großer Pose geschmettert hat –, ist es genau ebendies: Eine Ermutigung, weiterzukämpfen. Nicht klein beizugeben: »Wir woll’n es nicht verschweigen / in dieser Schweigezeit / das Grün bricht aus den Zweigen / wir woll’n das allen zeigen / dann wissen sie Bescheid«.

Viele ältere Linke, die vor 50, 40 Jahren gerne ihre Biermann-Platten gehört haben, lehnen ihn als Person mitsamt aller Lieder mittlerweile in Bausch und Bogen ab, wegen seiner Wandlung vom in der DDR oppositionellen Linkskommunisten, der sich nach seiner Ausbürgerung 1976 in der BRD zuerst jahrelang in der radikalen Linken bewegte, aber sich dann zügig nach rechts bewegte, etwa Gregor Gysi und Stefan Heym beschimpfte – und im Jahr 2000 als Kommentator bei Springers »Welt« landete. Leider fehlt auf »Wolf Biermann Re:imagined. Lieder für jetzt!« das Lied »Drei Kugeln auf Rudi Dutschke« von 1967: »Ein blutiges Attentat / Wir haben genau gesehen / Wer da geschossen hat« beginnt es, und: »Die Kugel Nummer eins kam / Aus Springers Zeitungswald / Ihr habt dem Mann die Groschen / Auch noch dafür bezahlt«.

Eine zweite Kompilation wäre schön, auf der, anders als auf der jetzt vorliegenden, nicht nur einige wenige explizit mehr oder weniger radikal Linke, sondern viele sich damit auseinandersetzen würden, was an emanzipatorischer Dissidenz in Biermanns Liedern steckt. Vor allem in denen, welche die DDR und auch die BRD von links in die Mangel genommen haben – und nehmen. Die als Kunstwerke, die in konkretem gesellschaftlichem Aufbegehren entstanden sind, Bestand haben und radikal sind – egal, was ihr Schöpfer heute so treibt. Aber Biermann ist auch immer noch für eine schöne Überraschung gut. So hat er 2009 »Sol sajn« nachgedichtet, die Hymne des 1897 gegründeten linkssozialistischen jüdischen »Bund«, wie der Allgemeine Jüdische Arbeiterbund für Litauen, Russland und Polen kurz hieß, einer der Vorläuferorganisationen der SDAPR, der Menschewiki und Bolschewiki: »Mag sein, dass ich irre und dich nur verwirre / Mag sein, dass ich hoffe und bin längst verlor’n / Ich leb ja den Traum der Commune noch immer / dazu hat mich ja meine Mutter geborn«.

»Wolf Biermann Re:imagined. Lieder für jetzt!«‎ (Clouds Hill)

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.