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Sex-Kunde für 12jahrige

Mädchenmagazine greifen dem Leben von Teenies weit vor

  • Lesedauer: 5 Min.

Mädchenzeitschriften - ob sie nun „Anna“ oder „Tanja“ heißen - kommen wie ihre größeren Schwestern, die Frauenmagazine, immer nach dem gleichen Strickmuster daher: Flirt-Make-Up, Foto-Love-Story, Boyund-Girl-Wahl, Horoskope, Werbung für o.b.-Tampons und Silhoutte-Flügelbinden sowie

der neueste Schrei in Mode und Musik fehlen in keiner Ausgabe. Junge Mädchen identifizieren sich mit Models, Themen, Lebensentwürfen, nehmen die „fachkundigen“ Ratschläge an. Mädchenzeitschriften setzen so Trends, die nicht immer unbedenklich sind, meint SIMONE SCHMOLLACK.

Auch „Bravo Girl!“, ein Heft für schon 12jährige, greift dem Leben dieser Altersgruppe weit vor- Beispielsweise mit Reports wie dem über die 18jährige Nancy „Ich mache Pornos“ oder der Ratgeber-Serie „fit for love - Wie auch Du mehr Spaß am Sex hast!“ Zu einer wahren, herzergreifenden Lebensbeichte einer erfahrenen Sexpertin gehören selbstverständlich authentische Fotos. Der kleine schwarze Balken über verbotenen Körperteilen darf mitunter auch mal wegrutschen. Mehr Spaß am Sex dürfen die 12jährigen nun auch endlich verbal vom Freund fordern: Von „Missionarstellung“ über „Löffelchen“ und „A tergo“ ist bis ins kleinste Detail erläutert, wie der Orgasmus

am besten zu haben ist. Wer nicht wissen sollte, was „A tergo“ ist, sollte nachschlagen...

Und welches holde Weiblein immer noch solo ist, kann sich schließlich den Mann aller schlaflosen Nächte über die Zeitung bestellen. Größe, Gewicht, Hobbies, Vorlieben und Wünsche an die Künftige sind dem Steckbrief zu entnehmen. Die Katze muß nicht im Sack gekauft werden: Ein ganzseitiges Foto mit „schamlos entblößtem Gerät“ (wie einst ein erregter ND-Leser schon bei einem nackten Zivi auf einer Demo erschauerte) deckt alles auf. Der geheimste Sex-Wunsch von Carsten, der sich „sinnlich und romantisch“ gibt: „Unter einem Wasserfall“

„Das Problem bei diesen unsäglichen Heften ist der Fakt, daß sich junge Mädchen an den Normen und Auffassungen dieser Lektüre orientieren“, klagt der Münchner Psychologe und Sexualberater Carl Weiser „In ihrer körperlichen wie geistigen Entwicklung sind viele aber noch gar nicht so ausgereift. Aber sie sehen sich unter Druck gesetzt, daß sie etwas noch nicht getan haben, was andere vermeintlich längst hinter sich haben.“ Andere Medienforscher dagegen wiegeln ab: Alles sei nicht so wild; die Jugendlichen kriegen früher oder später von allein mit, daß das alles „purer Unsinn“ sei und machten eigene Erfahrungen.

Der Streitfall, in dem jetzt entschieden wurde, war folgender: Die private Fernsehgesellschaft TV 3 hatte norwegischen Kindern Barbie-Puppen und Legobausteine angepriesen. Norwegens Konsumenten-Vereinigung verlangte die sofortige Einstellung der Spots. Doch die Werbetreibenden beriefen sich auf die europäische Fernsehdirektive aus dem Jahre 1989 Sie gilt für das EFTA-Land Norwegen ebenso wie für uns als EU-Mitglied und hat europäisches „Fernsehen ohne Grenzen“ zum Ziel. Bei Einhaltung gemeinsam festgelegter Minimum-Regeln hat ein Empfängerstaat demnach keine Handhabe, ein ausländisches Programm zu stoppen. Auf Grundlage dieser Direktive hat nun der EFTA-Gerichtshof den Werbenden Recht gegeben.

Welche Konsequenzen ergeben sich aus dem Urteil?

Unter den jungen Mädchen selber herrscht wahre Wettkampfstimmung. „Hast du schon das mit der Abtreibung gelesen?“, „Der Typ auf Seite 15 ist total süß, oder?“, „Beim Flirt-Test war ich um zwei Punkte besser als Cindy “ So und ähnlich der Schlagabtausch auf bundesdeutschen Schulhöfen.

Melanie, 12, aus Dessau in Sachsen-Anhalt, betitelt ihren

Das EFTA-Urteil ist zwar nicht direkt bindend für uns; dennoch ist es hier von großem Interesse, nicht zuletzt da Schweden einen ähnlichen Fall vor dem EU-Gericht verfolgt. Wir machen da gewisse Tendenzen aus, wie europäische Richter die Fernsehdirektive auslegen. Schließlich besagt sie auch, daß jedes Land in seinem nationalen Programm strengere als die gemeinsam festgelegten Minimum-Grenzen haben darf. Und unsere nationalen Regeln für Werbung sind recht strikt. So ist jegliches Anpreisen von Alkohol tabu, und Spielfilme dürfen nicht für Werbung unterbrochen werden.

Kommen die EU-Richter nun zum gleichen Schluß wie ihre EFTA-Kollegen, dann bedeutet dies: Wir werden schwerlich verhindern können, daß sich auch nationale Kanäle an unseren Regeln vorbeimanövrieren. Nehmen wir das schwedische TV 4, den härtesten Konkurrenten des Londoner TV 3. Auch TV 4 ist werbefinanziert, aber im Gegensatz zu TV 3 untersteht er schwedischer Gesetzgebung. Wenn nun TV 4 auf Kinder-Werbung besteht,

ehemaligen Freund als ihren „Ex“ Den wollte sie nicht mehr, weil er „doch nicht ganz so tolle Klamotten wie David Hasselhoff hat“ Warum sie solch großen Wert darauflegt? „Weil die anderen Mädchen aus meiner Klasse sonst über mich lästern. Die finden doch nur Typen wie David Hasselhoff, Patrick Swayze und die aus Bravo und den anderen Zeitschriften gut.“

da TV 3 diese auch ausstrahlt, müssen wir ihn gewähren lassen.

„Barbie wird also auf schwedischen FernsehschirT men bald Stammgast sein?

Nein, das wollen wir unbe 1 dingt verhindern. Gegenwärtig laufen ja Gespräche zur Komplettierung und Verbesserung der europäischen Fernseh-Direktive. Von schwedischer Seite pocht man nun darauf, im Dokument festzuschreiben, daß die vielgerühmte freie Beweglichkeit über Ländergrenzen hinweg ausdrücklich nur für Fernsehprogramme gelten darf. Nicht aber für nationale Werbung.

Und was hat es mit dem Fall, den Schweden vor dem EU-Gericht verfolgt, auf sich?

Hier streitet der schwedische Staat gegen einen Werbekunden, der im vergangenen Jahr in TV 4 Saurier gesendet hat, um das Magazin „Alles über Dinosaurier“ anzupreisen. Dieser Kunde bezeichnet das schwedische Verbot von Kinder-Werbung als Handelshindernis, was laut EU-Grundgesetzen verboten ist. Wir sind nun gespannt, wie der EU-Gerichtshof entscheiden wird.

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