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Klimapolitik: »Viele Politiker leben in einer Fantasiewelt«

Der Meteorologe Sven Plöger erklärt, warum die Klimapolitik so wenig Aufmerksamkeit im Wahlkampf erfährt

  • Interview: Philipp Hedemann
  • Lesedauer: 8 Min.
Nicht nur Eisbären leiden unter der Gletscherschmelze, auch in Mitteleuropa führt die starke Erwärmung der Arktis zu gravierenden Wetterveränderungen.
Nicht nur Eisbären leiden unter der Gletscherschmelze, auch in Mitteleuropa führt die starke Erwärmung der Arktis zu gravierenden Wetterveränderungen.

Vor zehn Jahren hat sich die Weltgemeinschaft bei der UN-Klimakonferenz in Paris das Ziel gesetzt, den Anstieg der globalen Temperaturen um 1,5 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen. Doch bereits im letzten Jahr war es 1,6 Grad wärmer. Ist der Kampf gegen die Klimaerwärmung verloren?

Wenn wir die nächsten vier Jahre auf Trumps »Frack, frack, frack« und »Drill, baby, drill« hören, wird es immer schwerer, die Kurve noch zu kriegen. Aber wenn wir uns zusammenreißen und bis 2050 jedes Jahr 6 Prozent Emissionen einsparen, dann ist das 1,5-Grad-Ziel immer noch machbar. Aber danach sieht es im Moment leider nicht aus. Wenn wir so weitermachen wie bisher, wird sich die globale Temperatur nicht um 1,5 Grad, sondern wohl um 2,7 Grad erhöhen. Viele Wissenschaftler gehen sogar davon aus, dass wir bis zum Ende des Jahrhunderts eine Erwärmung von drei bis vier Grad haben werden.

Wie sähe eine um drei bis vier Grad wärmere Welt aus?

Wenn Menschen mich danach fragen, sage ich immer: Das sage ich euch nicht, denn eine um vier Grad wärmere Welt wäre die Apokalypse. Um zu verstehen, welchen Unterschied drei bis vier Grad ausmachen, muss man nur zurückblicken. Am Ende der letzten Eiszeit vor 11 000 Jahren war es im weltweiten Schnitt drei bis vier Grad kälter als heute. Leben war damals an vielen Orten nicht möglich. Österreich und die Schweiz waren unbewohnbar. Berlin lag mehrere 100 Meter unter Eis. Dort, wo heute New York ist, war eine anderthalb Kilometer dicke Eisschicht, Skandinavien lag zwei bis drei Kilometer unter Eis. Aber apokalyptische Erzählungen würden nur dazu führen, dass viele Leute sagen: Dann ist es ohnehin zu spät, um etwas zu tun. Dann taumeln wir jetzt eben in den Untergang.

Interview

Sven Plöger (57) war schon als Kind fasziniert vom Himmel, den Wolken, der Fliegerei und der Physik. Seit fast 30 Jahren spricht er im Radio übers Wetter, seit 25 Jahren steht er vor der Kamera und moderiert unter anderm die Live-Wettersendung »Wetter vor acht«. In seiner Freizeit ist Plöger gerne mit dem Segelflugzeug oder dem Gleitschirm unterwegs.

Und welche Folgen hätte ein Temperaturanstieg um 2,7 Grad?

Wenn wir weiter auf dem 2,7Grad Pfad bleiben, wird alles exponentiell unangenehmer werden, dann steuern wir auf eine, ich möchte mal so formulieren – wirklich nicht lustige Welt zu. Dann kommen Wetterextreme auf uns zu, die viele sich nicht vorstellen können oder wollen. Dann wird es immer mehr Regionen geben, in denen man nichts mehr anbauen und in denen man nicht mehr leben kann. Das Abschmelzen der Gletscher wird zu einem Trinkwassermangel führen. Der Meeresspiegel wird steigen. Schon jetzt leben mehr als 180 Millionen Menschen unterhalb von einem Meter über dem Meeresspiegel. Wo sollen sie hin? Der Klimawandel führt also dazu, dass es auf der Welt deutlich enger wird. Und wir sehen ja schon jetzt, dass es immer Zank gibt, wenn jemand von woanders dorthin kommt, wo schon jemand ist.

Was wird noch passieren?

Der Klimawandel kann nicht nur zu unermesslichem menschlichem Leid, sondern auch zu unglaublichen finanziellen Belastungen führen. Der ungebremste Klimawandel verursacht unfassbare Kosten, die selbst alle Volkswirtschaften der Welt zusammen nicht tragen können. Studien von Ökonomen besagen, dass jeder nicht in den Klimaschutz gesteckte Euro mit zwei bis elf Euro zurückgezahlt werden muss. Investitionen in den Klimaschutz sind also die beste Geldanlage, aber leider widersprechen sie unserem kurzfristigen Denken in Monaten, Quartalen oder Legislaturperioden.

Trotzdem glauben Sie, dass das Ruder noch rumgerissen werden kann?

Ja, auch wenn die Menschheit bislang nicht die notwendige Reife zeigt, um endlich entschieden genug gegenzusteuern. Die Frage ist: Wie viele Schläge und Einschläge brauchen wir noch, bis wir unser Verhalten endlich korrigieren? Wenn ich mir die Geschichte angucke, sehe ich aber auch, dass die Menschheit in Krisen immer wieder die Kraft und den Mut gefunden hat, Dinge anzupacken. Als optimistischer Rheinländer will ich deshalb glauben, dass wir die Kurve noch kriegen können.

Ist das nicht naiver Zwangsoptimismus?

Das ist mir in der Tat schon mal gesagt worden. Aber wird die Welt besser, wenn ich in Pessimismus verfallen würde? Nein! Im Gegenteil: Ich würde mich dadurch nur meiner Möglichkeiten berauben, andere durch die Vermittlung von Wissen zu einer Verhaltensänderung zu motivieren. Der englische Philosoph Sir Francis Bacon sagte schon vor über 400 Jahren: »Wissen ist Macht.« Im Umkehrschluss gilt auch: »Unwissen ist Ohnmacht.« Darum versuche ich, Wissen über den Klimawandel zu vermitteln. Denn wenn wir Verstand mit der richtigen Haltung kombinieren, können wir auch in Zeiten, in denen man leicht die Hoffnung verlieren kann, noch viel erreichen.

In 18 Tagen ist Bundestagswahl. Aber der Klimawandel spielt im Wahlkampf keine große Rolle.

Ja, das ist verrückt. Ich habe den Eindruck: Viele Politikerinnen und Politiker und Wählerinnen und Wähler leben in einer Wunschwelt, einer Fantasiewelt. Aber mit jeder Emission wird die Lücke zwischen der realen und der Fantasiewelt größer. Wird sie zu groß, fallen die jungen und die nachwachsenden Generationen hinein.

Warum wird dann trotzdem nicht über das Klima gesprochen?

Es liegt wohl daran, dass es derzeit weltweit leider nicht nur die Klimakrise, sondern sehr viele Krisen gibt. Und wenn der Mensch Sorgen hat, neigt er dazu, sich am Alten festzuklammern. Das erleben wir derzeit in der politischen Diskussion in Deutschland. Alle sprechen davon, dass die Wirtschaft gerettet werden muss, um Wohlstand zu erhalten. Das ist sicher richtig, aber Wirtschaft ohne Klimaschutz wird langfristig den Wohlstand zerstören.

Glauben Sie, dass Sie mit Ihrer Arbeit einen einzigen Klimawandel-Leugner umstimmen können?

Zunächst einmal: Ich spreche nicht von Klimawandel-Leugnern, sondern von Klimaforschungs-Leugnern. Denn wer jetzt noch leugnet, dass das Klima sich wandelt, ist schon sehr weit ab von der Spur. Aber zurück zur Frage: Es ist nicht mein Ansatz, Klimaforschungs-Leugner umzustimmen. Ich bin kein Missionar, kein Ideologe mit erhobenem Zeigefinger. Ich sage den Leuten nicht, was sie zu tun oder zu lassen haben, denn das führt nur zu Reaktanz – ich nenne das gerne »pubertären Widerstand«, also Trotz. Eltern können ein Lied davon singen.

Braucht es im Kampf gegen die Klimaerwärmung strengere Gesetze und Vorschriften?

Verpflichtende Gesetze und Vorschriften haben in der Geschichte schon viel Gutes bewegt. Als 1976 in der Bundesrepublik die Gurtpflicht eingeführt wurde, hieß es nicht: »Schnall dich an, wenn du Lust hast.« Es war verpflichtend und hat viele Menschenleben gerettet. Das Verbot von verbleitem Benzin und die Einführung des Katalysators wurden ebenfalls erzwungen, auch wenn die Autoindustrie damals reflexartig und lautstark geklagt hat, dass dies Motoren und Arbeitsplätze zerstören würde. Beides ist nicht passiert. Was ich damit sagen will: Die Politik darf sich nicht ständig auf der Nase herumtanzen lassen oder ihre Entscheidungen von Umfragewerten abhängig machen.

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Also mehr Verbote für den Klimaschutz?

Ich weiß: Verbote sind schwer zu vermitteln, auch wenn vernünftige Verbote in der Sache helfen würden. Aber wer verbietet wem warum was? Und so möchte sich niemand in seiner Freiheit einschränken lassen. Das kann ich gut verstehen. Das Problem beim Klimawandel: Es ist ein schleichender Prozess und die Bedrohung durch ihn ist nicht konkret. Übersetzt heißt das: Irgendwann wird irgendwo irgendjemandem irgendetwas passieren. Damit können wir schlecht umgehen und warten erst mal ab, ob wirklich Gefahr lauert. Ein guter Vergleich ist die Corona-Pandemie. Da war die Gefahr sehr viel konkreter. Deshalb hat es schnell extreme Einschränkungen gegeben, die wir bereit waren zu akzeptieren. Später sind wir dann in eine Art »Regelwahn« verfallen. Damit ließ die Akzeptanz schnell nach.

Also lieber doch keine Verbote?

Klimaschutz-Gesetze müssen sinnvoll sein und klug begründet und erklärt werden. Wenn sie einmal beschlossen sind, muss die Politik auch den Mut haben, sie durchzusetzen und durchzuhalten, auch wenn die Umfragewerte mal nicht so gut sind. Eine Wischiwaschi-Haltung ist nicht nur bei Klimathemen Murks, sondern einfach nur unfassbar anstrengend. Wenn die Politik ein Fähnlein im Wind ist, kann das Wählerinnen und Wähler von demokratischen Institutionen und Parteien wegtreiben und sie dazu bringen, ganz absurde Parteien zu wählen.

Greta Thunberg hat noch vor ein paar Jahren Millionen Leute für den Klimaschutz begeistert. Auch Sie haben sich damals als Greta-Fan bezeichnet.

Ich habe gesagt, dass es für den Kampf gegen den Klimawandel eine Ikone braucht. Ich fand es damals sehr beeindruckend, dass ein junges Mädchen es schafft, weltweit so viele Menschen für den Klimaschutz zu begeistern. Aber ich bin nicht der Typ, der jemanden als Fan anhimmelt. Wenn Menschen jemandem bis zur Selbstaufgabe huldigen, ist mir das immer suspekt. Krasse Formen hat es bei Trump angenommen. Aber Elon Musk macht mir – nicht nur in der Hinsicht – noch mehr Sorgen als Trump.

Warum macht Elon Musk Ihnen mehr Sorgen als Trump?

Weil er nicht 78, sondern erst 53 Jahre alt ist. Und als reichster Mann der Welt mit einer riesigen Plattform, die ohne Prüfung von Fakten Fake News verbreitet, und seiner neuen Nähe zur Politik, kann er meines Erachtens nicht nur im Kampf gegen den Klimawandel viel Unheil anrichten.

Sie sind 57 Jahre alt und haben keine Kinder. Macht der Klimawandel Ihnen persönlich trotzdem Angst?

Ich habe zwar keine eigenen Kinder, aber eine ganze Schar an Patenkindern, und auch alle anderen Kinder sind mir lieb. Manchmal sage ich Eltern und Großeltern deshalb: Wollt ihr euren Kindern und Enkelkindern ins Gesicht sagen: Dir soll später mal schlechter gehen als mir! Die allermeisten Eltern und Großeltern wollen das natürlich nicht, tun aber trotzdem viele den Klimawandel beschleunigende Dinge, die genau dazu führen. Darum habe ich große Sorge. Aber ich habe keine Angst, denn Angst lähmt.

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