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  • Kultur
  • Der Schauspieler Heinz Schubert wird am Sonntag 70

Theater – auch im Schaufenster

  • Lesedauer: 4 Min.

Foto: Volkmar Schulz

Heinz Schubert? Na klar - Alfred, das Ekel. Die Bemerkung fällt meist so, als sei die Sache Schubert damit erledigt.

Ist sie aber keinesfalls. Schubert ist mehr als dieser gnadenlos deutsche Kleinbürger, der die Familie mit seinem Weltbild schikaniert und überzeugend aufzeigt, wo berüchtigt-politisches Stammtischdenken seinen Anfang nimmt: in Wohnzimmern.

Dieser kleine Mann mit dem traurigen Gesicht, der eher in ein französisches Bistro als in eine deutsche Fernsehserie paßt, wurde zwar mit Wolfgang Menges „Ein Herz und eine Seele“ einem Millionenpublikum bekannt - seine Welt jedoch war stets das Theater. Schubert ist der Komiker mit den melancholischen Zügen, denen auch kein gewaltiger Schnauzbart so etwas wie Aggressivität oder Unangreifbarkeit verleihen kann.

Der 1925 geborene Sohn eines Charlottenburger Prominentenschneiders (u.a. Maßanzüge für Rudolf Platte) hat seiner Mutter in doppeltem Sinne das Leben zu verdanken: Vier Gestellungsbefehle für den Sohn wirft sie in den Papierkorb. Erst nach dem Notabitur muß er doch noch an die Front - am 1. April 1945, im Teutoburger Wald. Nach einer Schneiderlehre beim Vater studiert er Schauspiel, und 1950 holt ihn Brecht ans Berliner Ensemble; Schubert wohnt mit seiner Frau Ilse sogar eine Weile in dessen Haus in Bukkow am See.

Daß Ibsens „Wildente nun auch im Staatstheater Cottbus niedergegangen ist, wundert nicht. Ich zähle fünf oder sechs Inszenierungen dieses Stücks, die an deutschen Bühnen zu sehen sind oder waren. Gute Rollen, eine schlüssige, spannende Fabel - ein Festessen für Schauspieler und zuvörderst auch ein Stück, das trotz seines hohen Alters (110 Jahre) zur Auseinandersetzung mit heutigen Lebensproblemen anregt: mit dem Widerspruch zwischen Sein und Schein, mit Lebenslügen, die enthüllt werden, und Verdrängungen, die Menschen unfähig machen, mit der Wahrheit zu leben.

Das sind die „ewigen“ Themen bei Henryk Ibsen, die ihn am Ende des vorigen Jahrhunderts zum schärfsten Kritiker der Doppelmoral des norwegischen Besitzbürgertums und zum „Makel der Nation“ werden ließen. Mit der „Wild-

Die Mauer bringt den Lebensschnitt, Schubert wechselt an die Münchener Kammerspiele, später ans Hamhurger Schauspielhaus. Ein Theatermensch, der trotz seiner vielen Abstecher zu Film und Fernsehen (jüngst „Der große Bellheim“) jahrzehntelang das Ensemble als künstlerische Heimat brauchte. Der größte Erfolg der letzten Jahre: In Paris spielte er an der Seite von Isabelle Huppert in Peter Zadeks „Maß für Maß“-Inszenierung.

Schubert, seit zehn Jahren Professor an der Hamburger Hochschule für Musik und darstellende Kunst, fotografierte während vieler Theatertourneen Schaufensterpuppen. Über 17 000 Aufnahmen entstanden, meist nachts, wenn die Puppen zu Poseuren der Verschwendung werden: Noch

in die Kälte schweben die Gesten hinein, lächeln Gesichter, zeigen abgeschraubte Beine und Köpfe die Absurdität einer synthetischen Existenz; und mitunter schaut man in Schuberts Puppen„stuben“ wie in einen Spiegel. “““““ -“““***'“'

Zahlreiche Ausstellungen und eine Teilnahme auf der „documenta 6“ offenbarten ein „Theater im Schaufenster“ (so ein Buchtitel), mit dem Heinz Schubert das Nachdenken über seinen Beruf zum optischen Erlebnis werden läßt: Die Puppen locken uns, lächeln, entführen in eine Scheinwelt. Wie die Schauspieler? Die Puppen sind Produkte und Hauptdarsteller einer perfekten Gaukelei; Theatralik der Trivialität. Wie bei den Schauspielern? Die Puppen sind Ausgelieferte einer Inszenierung, die niemand anhalten kann, nur der Fremde, der seine Blicke abwendet. Wie auf der Bühne? Die Puppen provozieren in ihrer entlarvenden Nacktheit (sie tragen auf Fotografien Schuberts meist noch nicht des Königs Kunde neue Kleider), Geduld und Totenstarre scheinen in ihren Gesten eins, der Zuschauer ist am produzierten Bild beteiligt und zugleich Voyeur - und beides macht den Reiz des Betrachtens aus. Wie im Theater?

Wie im Leben, sagt Heinz Schubert meist leise, wenn man ihn fragt.

HANS-DIETER SCHUTT

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