Mehrmals wurde die Urteilsverkündung verschoben, heute jedoch soll Jonathan Keith Idema den Spruch des Richters erfahren. Laut Gesetz könnten ihn und weitere Kumpane lebenslange Haftstrafen treffen. Doch die würden höchstens pro forma ausgesprochen. Sie alle sind schließlich »gute Amerikaner«.
In Western-Filmen sieht das Skrip zumeist so aus: Ein übler Typ reitet, den Hut tief in die Stirn gezogen, einen Zigarillo im Mundwinkel, einen staubigen Umhang über den Schultern, einsam vor ein Sheriff-Büro. Dort wirft er seine tote oder gerade noch lebendige Last ab und kassiert. Moderne Kopfgeldjäger sehen - nimmt man Jonathan Keith Idema zum Maßstab - anders aus: Exakter Haarschnitt, gepflegter Bart, Designer-Sonnenbrille, Palästinensertuch über dem Kampfanzugkragen, Kalaschnikow im Arm und Cold im Halfter. Ein Typ wie George Clooney. Den Vergleich mag Idema. Er war - wie andere »Kollegen« - auf der Suche nach Osama bin Laden. Der Al-Qaida-Fürst ist dem US-Staat 50 Millionen Dollar wert.
Allein: Osam ist schlauer als Idema, der mit dem Spitznamen »Tora-Bora-Jack« kokettiert. Ob er das von Taliban und Al Qaida ausgebaute Höhlensystem je erkundet hat, ist ungewiss. So erfolglos suchte das Kopfjäger-Kollektiv andere Ziele. Beispielsweise so: Im Osten der afghanischen Hauptstadt stürmte im Juni ein halbes Dutzend Uniformierter das Lehmhaus von Mohammed Siddiq. Der ist 50, ein ehrenwerter Mann und obendrein Richter. Die »Soldaten« feuerten um sich, stülpten dem Hausherren wie sechs seiner Familienangehörigen Papiersäcke über den Kopf, fesselten sie. Dann verschleppten sie die Opfer in ein am anderen Ende der Stadt gelegenes zweistöckiges Haus. Dort wurden sie mit anderen Gefangenen fast zwei Wochen lang gefoltert. Sie sollten Taliban-Funktionäre verraten, doch offenbar kannten sie keine.
Aktionen wie diese gehörten zum Alltag der Task-Force »Sabre 7«, die man gemeinhin als Spezialeinheit der US-Besatzer ansah. Also sah man weg, wenn die Rambos unterwegs waren. Oder leistete Hilfe. Mehrmals, auch beim Überfall auf das Richter-Haus, forderte »Sabre 7« ISAF-Unterstützung an. Doch dann distanzierte sich die US-Armee von »ihrer« Einheit. Man fing die Krieger ein und stellte sie vor Gericht. Man wollte kein Aufsehen, weshalb die US-Medien noch immer nicht über die Existenz der Bande berichten.
Das hat Gründe. Man kann mit einiger Sicherheit erahnen, in wessen Auftrag Idema unterwegs war. Von den 70ern bis Anfang der 90er war der in Poughkeepsie im US-Bundesstaat New York lebende Mann für die »Green Berets«, eine Spezialtruppen der US-Army, die nicht selten »nasse Sachen« im Auftrag der CIA erledigt, weltweit unterwegs. 1991, kurz nach dem Zerfall der Sowjetunion, bandelte Jack mit den Überresten des litauischen KGB an. Er soll die Geheimdienstler - so die Legende - bei Schießübungen beeindruckt und sie bei Wodkaorgien unter den Tisch gesoffen haben. So konnte er dem Pentagon Informationen über sowjetisches Nuklearmaterial übermitteln, das in die Hände von Terroristen geraten war. Dichtung und Wahrheit vermischen sich offenbar.
Doch die »Firma« erwies sich undankbar, als sie entdeckte, dass ein Jemand die Story an eine Hollywood-Agentur verkaufte. Ein US-Gericht verurteilte Idema wegen »wire fraud«, der unerlaubten Nutzung von Datenübertragungsanlagen. Noch in der Haft wurde der jedoch richtig bekannt. Als Geheimdienst- und Militärexperte stand er in rechtskonservativen Radio-Talk-Shows parat. Nach seiner Entlassung handelte er mit Waffen und anderem Militärgerät, reiste nach Afghanistan und wurde eine Art Berater der Nordallianz unter dem später ermordeten Massud.
Nach dem Ende der Taliban will er weiter im Auftrage des Pentagon gehandelt haben. »Wir waren täglich per Fax, E-Mail oder Telefon in direktem Kontakt mit dem Büro von Verteidigungsminister Rumsfeld.« Was der natürlich heftig dementieren lässt. Doch dass Söldner den regulären Streitkräften zur Hand gehen, ist kein Geheimnis. Auch im derzeit in Irak aktuellen Folterskandal waren »Vertragskräfte« involviert. »Mindestens in einem Fall« habe man auch von Idema einen Gefangenen übernommen, musste US-Militärsprecher, Major Jon Siepmann zugeben.
Die Anklage wirft dem Anführer Jonathan Keith Idema und zwei Komplizen illegalen Aufenthalt, rechtswidrigen Waffenbesitz, Kidnapping und Folter in mindestens zehn Fällen vor. Den Freizeit-Rambos droht lebenslange Haft in Afghanistan - es sei denn, Washington sorgt dafür, dass die US-Free-Lancer bald nach der Verurteilung heimgeholt werden. Ganz heimlich, versteht sich.
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