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Kein Feind, kein 9 Ehr, wozu Bundeswehr?

  • Lesedauer: 4 Min.

Noch nie in der Geschichte Deutschlands hatten wir diese historische Chance: für immer auf eine Wehrmacht zu verzichten. Nicht nur wie Frankreich die Streitkräfte drastisch zu reduzieren und sie zu einer Freiwilligenarmee umzubauen, sondern die Bundeswehr aufzulösen.

Was spricht dagegen? Neben den Interessen

des militärisch-industriellen Komplexes vor allem die Trägheit des Denkens. Viele Menschen sind so programmiert, daß sie sich ein Land ohne Armee nicht vorstellen können. Die Diskussion um das Tucholsky-Zitai „Soldaten sind Mörder“ zeigt das. Wenn Roma und Sintis beleidigt werden, Juden oder Polen, schweigen die Stammtische, bestensfalls. Wenn einer sagt, Soldaten sind Mörder, schreien sie los und nennen die Richter, die das Zitat nicht beanstandeten. Arschlöcher. Und

die Bonner Union drängt auf ein spezielles Gesetz, das fürderhin den Ehrenschutz der Soldaten gewährleistet. Als hätte es nicht Oradour und Lidice

gegeben, nicht die 15 000 an Bäumen aufgehängten deutschen Soldaten mit den Schildern „Ich war ein Feigling“ Weil sie nicht zu Mördern werden wollten....

Der Balkan-Einsatz deutscher Soldaten ist kein Argument gegen die Abschaffung der Bundeswehr. Was wäre denn passiert, wenn Deutschland und seine Part ner keine Waffen dorthin exportiert hätten, keine Landminen, keine Munition? Ganz zu schweigen von der Hals über Kopf er folgten diplomatischen An erkennung Kroatiens.

Die als „humanitär“ deklarierten Einsätze sind nur dazu da, deutsche Weltgeltung zu demonstrieren. Wer spricht heute noch von Somalia? Längst abgehakt das Land, in das vor nicht langer Zeit deutsche Soldaten einrücken mußten, um irgendeinen „Frieden“ zu sichern. Alle sind sang- und klanglos abgezogen, der tote deutsche Soldat von Mogadischu ist längst vergessen.

Der gewichtigste Grund, die Wehrmacht abzuschaffen, ist: Wir haben keinen Feind, der uns bedroht, und keinen, der uns bedrohen könnte.

Wer weiß denn noch, warum die Bundeswehr überhaupt gegründet wurde? Offiziell zur Abwehr der Gefahr, die von der Volkspolizei im anderen deutschen Staat, der „Soffjetzone“; ausging. Zwanzig Jahre später gab Franz Josef Strauß, der Einpeitscher, zu, er habe mit gefälschten Zahlen operiert. Wen kümmerte fis da noch?

In den Neunzigern tönten die Politiker, die Bundeswehr habe vierzig Jahre den Frieden gesichert. Das Gegenteil ist richtig: Schon durch ihre Existenz im Kalten Krieg hat die Bundeswehr dauernd den Frieden gefährdet. Ohne sie hätten wir sicherer gelebt.

Nun hat sie keine Aufgabe mehr Also werden neue erfunden, „jenseits der Grenzen“ In dem von Rühe dieser Tage vorgestellten neuen Konzept bis zur Jahr

Ex-Jugoslawien: „Wir können nicht, ausschließen, daß

einer unserer Soldaten Scharfen nehmen wirri '

Preußens Soldatenkonig hatte es kürzer ausgedrückt: Kerls, wollt Ihr ewig leben?

Als erster nahm Steffen Behrens Schaden, Marinemaat aus Biebertal. „Ein Unfall, der sich jederzeit und überall ereignen kann“ spielte Minister Rühe den Tod herunter. Aber Steffens Mutter klagte: „Hätte es der Krieg auf dem Balkan nicht gegeben, dann würde mein Sohn noch leben.“ Er ist 25 Jahre alt geworden.

Wofür, warum ist er gestorben? Fürs Vaterland? Das war nicht bedroht. Für den Frieden? Der wäre nicht in Gefahr gewesen, hätten nicht die Waffenhändler der Welt Jugoslawien zu ihrem Absatzmarkt gemacht. Auch die deutschen

Nicht nur, daß wir keine Bundeswehr brauchen. Wir können sie uns auch nicht mehr leisten. Wir haben mehr als vier Millionen Arbeitslose, wahrscheinlich sechs, und der Wehretat ist so riesig, als hätten wir Milliarden zu vergeuden.

Aber werden wir nicht noch mehr Arbeitslose haben, wenn die Bundeswehr aufgelöst ist? Wo bleiben die mehr als 5000 Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums? Wo die Arbeiter der Munitionsfabriken? Wo die Angestellten der Waffenfabrik Heckler und Koch in Oberndorf am Neckar, wo die vielen Tausend Zivilbeschäftigten an den diversen Bundeswehrstandortfin?

Die Milliardenersparnis durch Entmilitarisierung Deutschlands bietet, richtig angepackt, die Möglichkeit eines riesigen Programms zur Arbeitsbeschaffung. Größer, viel größer noch als der „New Deal“ Roosevelts, der damals auch sehr erfolgreich die amerikanische Arbeitslosigkeit bekämpft hat. Zugleich könnten die Mittel in Bereiche geleitet werden, wo die Defizite immer größer werden - von der medizinischen Versorgung über Kriminalitätsbekämpfung bis zur Bildung und Kultur

Das ist ein gewaltiges politisches Programm - wem wäre es zuzutrauen? Den Schäubles und Kinkels? Den Lafontaines und Schröders? Den Fischers und Sagers? Oder der PDS und ihren Wählern im Osten, von denen manche für den Erhalt von Bundeswehrstandorten auf die Straße gehen, weil die Arbeitsplätze bringen? Nein, nicht von Frankreich sollte Deutschland lernen, sondern von Island. Das hat keine Streitkräfte, und das schönste: Niemand vermißt, sie.

Der Publizist Günther Schwarberg (69) lebt in Hamburg.

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