Vier Wochen nach den Terroranschlägen in New York und Washington haben die USA Militärschläge gegen Afghanistan begonnen. Weißes Haus und Pentagon bestätigten die Attacken am Sonntag.
Washington/Kabul/Berlin (ND/Agenturen). US-Präsident George W. Bush sagte in einer live im Fernsehen übertragenen Rede: »Wir haben militärische Attacken gegen Terroristenausbildungslager und das Militär in Afghanistan gestartet.« Die Angriffe gelten den Taleban und dem Terrornetzwerk Al Qaida des moslemischen Extremisten Osama bin Laden. Bei den Angriffen, an denen Großbritannien beteiligt sei, werde sorgfältig auf Militäreinrichtungen gezielt.
Nach Augenzeugenberichten gab es Explosionen in der afghanischen Hauptstadt Kabul und in Kandahar. Ein Korrespondent des arabischen TV-Senders »Al-Dschasira« berichtete, die Angriffe konzentrierten sich in Kabul auf den Flughafen der Hauptstadt. Zunächst seien Flugzeuge zu hören gewesen. Laut dem Sender haben die USA neben Kabul und Kandahar auch Dschalalabad aus der Luft angegriffen. In Kandahar sei ein größeres Kommando-Zentrum am Flughafen zerstört worden. Kandahar gilt als Hochburg der Taleban, deren Führer Mohammed Mullah Omar dort seinen Sitz hat.
Der Fernsehsender CNN berichtete aus dem Pentagon, die Militärschläge hätten mit Marschflugkörpern begonnen. Erste Ziele seien Flughäfen und terroristische Lager gewesen. Es habe sich um »harte Schläge« gehandelt. Nach Angaben von CNN erklärte ein Talebanführer, ihr Kommandoposten und die Radaranlagen am Flughafen Kabul seien zerstört worden.
Es habe eine große Explosion im Nordosten der Hauptstadt gegeben, sagte der Journalist des arabischen TV-Senders »Al- Dschasira«. Anschließend sei in der ganzen Stadt der Strom ausgefallen. Der Sender zeige Live-Bilder von Flugzeugen, die im Dunkeln über die Stadt flogen sowie die Blitze des Abwehrfeuers.
Bush wies in seiner Rede darauf hin, dass er die Taleban wiederholt gewarnt und dazu aufgefordert habe, Osama Bin Laden und dessen Gefolgsleute herauszugeben und Terroristen-Trainingslager zu zerstören. Nichts sei geschehen: »Nun werden die Taleban einen Preis zahlen«, sagte Bush.
Der US-Präsident wies zugleich darauf hin, dass es sich beim Kampf gegen den Terrorismus um eine breit angelegte Aktion handele, die über Afghanistan hinausgehe. Jedes Land habe eine Entscheidung zu treffen, ob es dem Terrorismus eine Absage erteile oder nicht. Bush fuhr fort, dass der Anti-Terror-Kampf einen langen Atem benötigen und schwierig sein werde. »Aber wir werden nicht wanken, und wir werden nicht nachgeben«, sagte Bush. Am Ende werde die Freiheit siegen.
Die USA haben nach Angaben afghanischer Exilvertreter ihre Angriffe auf die Taleban-Milizen mit der oppositionellen Nordallianz abgestimmt. Das sagten nicht genannte afghanische Diplomaten der Agentur Interfax am Sonntagabend in Moskau.
In US-Regierungskreisen war am Sonntag zuvor ein Angebot der Taleban abgelehnt worden, bin Laden in Afghanistan den Prozess zu machen. »Der erste Schritt ist die Auslieferung von bin Laden und seinen Führungskräften«, hieß es. Der Chef der Republikaner im US-Senat, Trent Lott, hatte das Angebot als völlig inakzeptabel bezeichnet.
Ein Sprecher der britischen Regierung hat bestätigt, dass Großbritannien an den Militärschlägen gegen Afghanistan beteiligt ist. Premier Tony Blair hat am Sonntag abend von einem »Moment des allergrößten Ernstes« gesprochen. In einer Fernseherklärung sagte er, mit Raketen bestückte britische U-Boote seien im Einsatz, andere Truppeneinheit stünden bereit. Er lobte die »mutigen« britischen Soldaten, deren Sinn für Pflichterfüllung »weltbekannt« sei. Die internationale Koalition gegen den Terrorismus werde nicht ruhen, bevor ihre Ziele nicht »vollständig« erreicht seien.
Die USA und Großbritannien haben seit den Terroranschlägen in New York und Washington in der Region um Afghanistan die größte Streitmacht seit dem Golfkrieg 1991 zusammengezogen. Die USA hatten in den vergangenen Wochen eine internationale Allianz für den von ihnen angekündigten Kampf gegen den Terrorismus geschmiedet.
Die NATO ist nicht in die Militärschläge gegen Afghanistan eingebunden. Das verlautete am Abend aus Kreisen des westlichen Bündnisses in Brüssel.»Dies ist eine Aktion der USA«, hieß es. Das Bündnis sei »ein wenig im Voraus« informiert worden. Genauere Details wurden nicht genannt. Offiziell nahm die NATO keine Stellung.
Bush hat nach offiziellen Angaben aus Moskau den russischen Präsidenten Wladimir Putin telefonisch über den Beginn der Angriffe auf Afghanistan unterrichtet. Auch Frankreichs Präsident Jacques Chirac wurde von Bush vorab informiert. Dies bestätigte am Sonntagabend das Präsidentenamt in Paris. Noch für den Abend wurde ein Ansprache Chiracs an die Franzosen angekündigt. Chirac hatte den USA die Unterstützung Frankreichs zugesagt.
Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) ist von US-Präsident Bush vorab über den amerikanischen Angriff auf Taliban-Ziele in Afghanistan informiert worden. Das teilte Schröder am Sonntagabend in einer ersten Stellungnahme in Berlin mit. Er unterstütze die amerikanischen Angriffe auf »terroristische Ziele in Afghanistan ohne Vorbehalte«, betonte der Kanzler. Am späten Abend wollte Schröder bei einer Pressekonferenz im Kanzleramt zum Beginn der US-Militäraktion Stellung nehmen. Der Kanzler wollte sich außerdem am Abend mit mehreren Bundesministern treffen, um über die Lage zu beraten. Bush habe Schröder »nachdrücklich für die deutsche Haltung« und die Solidarität im Kampf gegen den Terrorismus gedankt, heißt es in der Mitteilung des Kanzleramtes. Beide Politiker vereinbarten, »weiter engen Kontakt zu halten«.
Eine Sprecherin des Bundesverteidigungsministeriums sagte, es handele sich um Angriffe der USA »ohne NATO-Beteiligung«. Bush hatte zuvor in einer live übertragenen Fernsehansprache erklärt, andere Nationen wie Deutschland unterstützten die Aktionen. »Großbritannien als befreundete Nation steht an unserer Seite«, betonte Bush.
Nach dem Beginn der US-Militärschläge wurden die Sicherheitsmaßnahmen in Berlin erneut erhöht. An Botschaften und besonders gefährdeten Gebäuden wurden zusätzliche Polizeikräfte zusammengezogen, sagte ein Senatssprecher. Es gebe aber bisher keinerlei konkrete Hinweise auf spontane Reaktionen oder die Vorbereitung terroristischer Aktivitäten in der Hauptstadt. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) rief den Senat für Montagfrüh zu einer Sondersitzung zusammen.