- Politik
- Mit Maxim Schostakowitsch im Gespräch
So ein Vater war ein Privileg
Am 5. Juni führte Maxim Schostakowitsch die 4. Sinfonie seines Vaters Dmitri Schostakowitsch mit dem Orchester der Deutschen Oper Berlin im Konzerthaus auf. Christiane Wilhelm sprach mit dem Dirigenten. ? Vor fünf Jahren, am 31. Mai 1991, dirigierten Sie bei einem Konzert mit dem Orchester der Deutschen Oper die 5. Sinfonie Ihres Vaters. Nun gastierten Sie bereits wieder mit einem Werk von ihm. Sein Schaffen bildet offensichtlich ein Zentrum Ihrer künstlerischen Arbeit?
Ja, ich bin sehr glücklich, daß ich seine Musik dirigieren kann. Mein Vater war mein Lehrer. Ich lernte von ihm den Klang- zu erkennen, zu begreifen. Er machte mich mit den Geheimnissen der Musik vertraut, hat meinen musikalischen Geschmack entwickelt, nicht für seine, sondern für die Musik überhaupt. Aber er war nicht nur mein Lehrer. Er ist ganz stark ein Teil meines Lebens. Ich habe nie das Gefühl, daß er gestorben ist. Aus seiner Musik höre ich immer seine Stimme.
? Haben Sie unter dem Ruhm Ihres Vaters gelitten?
Nein, überhaupt nicht. Es war für mich ein Privileg, so einen Vater zu haben.
? Dmitri Schostakowitsch hat 15 Sinfonien geschrieben, könnten Sie sich vorstellen, einmal den gesamten Zyklus seiner Sinfonien aufzuführen?
Ja, unbedingt. Das muß ich machen.
? Gibt es für Sie Berührungsängste mit jenen Sinfonien, die Themen gesellschaftlicher Umbrüche zum Inhalt haben, zum Beispiel die 11. Sinfonie mit dem Untertitel »Das Jahr 1905«, die 12. mit der Bezeichnung »Das Jahr 1917«, die er dem Andenken Lenins gewidmet hat, oder seine berühmte »Leningrader Sinfonie«?
Nein, warum sollte ich. Diese Sinfonien, wie überhaupt alle seine Kompositionen, sind Ausdruck gesellschaftlicher Verhältnisse, der Welt, in der er gelebt und gelitten hat. Alle Kunstwerke sind eine Widerspiegelung ihrer Zeit.
? In der 4. Sinfonie kommt das sehr persönlich zum Ausdruck. Er schrieb sie in
den Jahren 1935/36, wo er nicht zuletzt wegen seiner Oper »Lady Macbeth von Mzensk« stark angefeindet wurde. Er hatte dann das Werk zurückgezogen, so daß es erst 1961 unter Kyrill Kondraschin uraufgeführt wurde. Hat Ihr Vater mit Ihnen über diese Zeit und seine Arbeit an der Sinfonie gesprochen?
Ja. Von ihm habe ich erfahren, wie schwer die Zeit für ihn war Er stand unter starkem Druck der Regierung und der Partei. Er konnte nicht mehr richtig schlafen aus Angst, daß ihn die Gulag-Leute abholen. Er befürchtete weitere Repressionen. Er fühlte, daß es nicht die Zeit war, die Sinfonie aufzuführen. Die Zeit damals war sehr kompliziert. Deshalb verzichtete er zunächst auf die Uraufführung. So kam es dazu, daß sie erst 1961, als sich die Verhältnisse etwas geändert hatten, stattfinden konnte.
? Haben Sie den Vorschlag zur Aufführung der 4. Sinfonie gemacht?
Der Vorschlag kam von der Deutschen Oper Ich war sehr glücklich, vor allem, weil in diesem Jahr - am 12. (25.) September - der 90. Geburtstag meines Vaters ist. Viele Orchester haben aus diesem Grund Werke von ihm im Programm
? Wie war die Arbeit mit dem Orchester der Deutschen Oper?
Wunderbar, vor allem das Verständnis des Orchesters für diese Musik, die nicht leicht zu bewältigen ist. Ich finde, das Orchester ist eins der besten, nicht nur in Berlin.
? In den letzten Jahren wird immer wieder behauptet. Ihr Vater habe sich dem Sowjetsystem angepaßt, sich opportunistisch verhalten
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