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Massow, Behelfsausfahrt
In einer früheren Kaserne schlummert sachte der Aufschwung Von Dorothee Wenner
Alter Wachturm, neues Schild: Konversion auf halber Strecke
Foto: Wenner
Wer die Autobahn Berlin-Dresden über die Behelfsausfahrt Massow verläßt, fährt durch Kiefernwald auf eine merkwürdige Lichtung von der Größe eines Dorfes. Discountläden bieten in Baracken Billigwaren an, ein im Innern komplett renoviertes Hotel in einem Plattenbau wartet auf Reisegruppen, es gibt eine LKW-Waschanlage, eine Tankstelle, mehrere Imbißbuden, ein Steuerberatungsbüro, eine Staubsaugerbeutel-Fabrik, eine Rehabilitationsklinik, verwaiste Kosmetikstudios und Munitionsbunker
Zu DDR-Zeiten waren auf dem weitläufigen Kasernengelände etwa 3 000 Soldaten des Wachregiments »Feliks Dzierzynski« stationiert. Gleich nach der Wende wurde in dem Objekt ein Gewerbezentrum improvisiert. Obwohl es rundherum nur einige kleine Siedlungen gibt, machten die Läden zunächst Rekordumsätze: Es gab kaum Konkurrenz, aber noch viele russische Soldaten auf Schnäppchenjagd.
Das brachte die Geschäftsleute auf mancherlei tollkühne Ideen. Jemand träumte sogar von einer Formel-1-Rennstrecke. Davon ist inzwischen keine Rede mehr. Niemand weiß genau, was aus dem Kasernengelände wird. Die Ungewißheit sorgt für gedämpfte Stimmung unter den Massower Unternehmern und Angestellten, die mittlerweile zu einer fast familiären Notgemeinschaft geworden sind.
Im Unterschied zu den Einkaufsparadiesen, die in der Zwischenzeit quasi als »dritte Fruchtfolge« auf LPG-Brachen aus dem Boden schössen, hatte Massow als bereits erschlossenes Gelände zunächst gute Chancen. Entsprechend groß war das Interesse von Investoren, doch bis auf einen haben sie alle das Weite gesucht. Schuld daran sind zuerst die ungeklärten Eigentumsverhältnisse. Hinzu kommt, daß mitten durch das Kasernengelände Kreis-und Gemeindegrenzen verlaufen.
Ein Teil des Geländes gehört zum Kreisgebiet Baruth und dem nahegelegenen Dorf Dornswalde - mit dem ehrenamtlichen Bürgermeister Harri Mai und dem Amtsdirektor Günther Lesch. Sie unterstützen die Autohof-Pläne des Investors Clemens Friedrichs aus Neustadt bei Heidelberg und haben es geschafft, daß eine schnurgerade, vier Kilometer lange Straße zwischen der B 96 und der Autobahn entstand. Vor kurzem wurde sie eröffnet und verbindet Dornswalde mit Massow
Die Straße gehört zu Leschs »Baruther Konzept« der Wirtschaftsansiedlung. »Wir haben hier keinen einzigen Arbeitslosen«, sagt er Als wichtigste Arbeitgeber im Amtskreis Baruth erwähnt Lesch eine Getränkeabfüllfabrik, ein Sägewerk sowie Massow mit seinen 200 Arbeitsplätzen. Die Dienststellenleiterin vom Arbeitsamt Zossen, Christine Petzold, hält Leschs Auskunft zwar »für das Wunschdenken eines Amtsdirektors, doch es stimmt, daß die 111 Arbeitslosen
im Amt Baruth mit seinen 12 Gemeinden und 4 730 Einwohnern eine unglaublich niedrige Zahl ist«.
Viele Bewohner von Dornswalde finden die Idee eines Autohofs überzeugend. Investor Friedrichs will in Massow in gro-ßem Stil Gebrauchtwagen verkaufen, drumherum visioniert er Truckerhof, Sportanlagen, Thermalbad sowie Freizeitangebote vom Wildpark bis zum Squash-Center Ein solches Angebot, das sich vor allem an den Lkw- und Reisebusverkehr wendet, scheint zu Massow zu passen - allein schon wegen der riesigen Parkplätze, der bereits angesiedelten Servicebetriebe und der Möglichkeit, im Rastof oder im Motel wahlweise preiswert oder luxuriös zu übernachten. Obwohl Friedrichs meint, daß er es an anderen Standorten leichter hätte, favorisiert er weiter Massow Berlin ist nicht weit, und in der Treuhand-Liegenschaftsgesellschaft sei man »sehr daran interessiert, daß es in Massow endlich vorangeht«.
Daß die Entwicklung dennoch ungewiß ist, dafür macht der Massower Buschfunk den Teil jenseits der Grenze verantwortlich. Dieser Teil des Objekts gehört zu Freidorf und dem Amt Schenkenländchen. Der dort zuständige Amtsdirektor Reiner Oncken gibt vor, über die Autohof-Pläne nichts zu wissen: Ein Brief mit der Bitte um Informationen an den Investor sei unbeantwortet geblieben. Davon unabhängig räumt Oncken den Baruther Plänen keinerlei Chancen ein und spricht
von Luftschlössern. »Das Amt Baruth«, so Oncken, »hat Vorstellungen, auf einem Gelände zu bauen, wo jetzt noch Wald ist. Es ist unrealistisch anzunehmen, daß die Raumordung das genehmigen wird, es wäre auch ökologisch gar nicht zu vertreten.« Die Unterstellung, daß das Amt Schenkenländchen den Autohof Massow aus Angst vor Konkurrenz zu den neuen, aber noch nicht voll bebauten Gewerbegebieten im nahegelegen Teupitz gar nicht will, weist Oncken entschieden zurück: »Für diese Gebiete ist eine ganz andere Nutzung vorgesehen.«
Ende des Monats werden sich die beiden zuständigen Gemeinden und Ämter zusammen mit dem Massower Gewerbe-
verein und dem Investor an einen Tisch setzen. Dann muß sich entscheiden, ob die neue, teure Verbindungsstraße zur Autobahn lediglich den Verkehr auf der B 96 entlastet oder ob sie die Zufahrt zu einem Gewerbepark mit Zukunft wird. Imbißverkäuferin Marina Wille aus Dornswalde, die die letzten fünf Jahre über einen Waldweg nach Massow fuhr, freut sich über den nunmehr bequemen Weg zum Arbeitsplatz, vor allem, weil die neue Kreisstraße ein paar Kunden mehr auf das alte Kasernengelände führen wird. Doch solange dort in Baracken verkauft wird, wirkt der neue Autobahnzubringer mit Fahrradweg nur wie ein weiteres Massower Kuriosum.
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