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Freitod und Fragen

  • Klaus Huhn
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Mann, der im Deutschen Leichtathletikverband für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist, bemühte Emile Zola und seine legendäre Verteidigung des unschuldigen Hauptmanns Dreyfus, eine Affäre, die fast hundert Jahre zurückliegt. Der Anlaß für den dramatischen Rückgriff in die Geschichte: Der DLV hat Anzeige gegen Unbekannt erstattet, und massive Vorwürfe gegen den Chefredakteur der »Therapiewoche«, Peter Udelhoven, erhoben, sie allerdings nicht annähernd mit dem Eifer verfolgt wie Zola.

Der Sachverhalt in Stichworten: Ein angesehener Trainer des DLV hat vor einigen Wochen seinem Leben selbst ein Ende gesetzt. Udelhoven hatte den Fall in seiner Zeitschrift behandelt und mit versteckten Andeutungen zu verstehen gegeben, daß der Trainer an den Folgen massiven Selbstdopings - »weil ich wissen muß, wie es meinen Athleten geht, unterziehe ich mich den gleichen Kuren« - elend litt und als letzten Schritt nur

noch den Griff zur Pistole sah. Wenige Tage später wies die in dem Artikel nirgendwo erwähnte Leichtathletikabteilung des TSV Bayer Leverkusen Vorwürfe »auf das Schärfste zurück« und offenbarte unaufgefordert den Namen des Trainers: Rudi Hars.

Die Leverkusener präsentierten auch sofort eine Kronzeugin. Die Lebensgefährtin von Hars, Birgit Petsch, Leichtathletin und praktizierende Ärztin, bekundete, daß Hars wegen unerträglicher Rückenschmerzen aus dem Leben schied. In einem Nebensatz bekannte Birgit Petsch der FAZ: »Was vor 1990 gewesen sei, hat keine Relevanz für das, was geschehen ist.« Und auf sich selbst bezogen erklärte sie, 1984 mit 17,74 m Zweite der BRD-Meisterschaft im Kugelstoßen geworden und nicht für die Olympischen Spiele in Los Angeles nominiert worden zu sein. FAZ: »Die unverhohlene offizielle Aufforderung zum Anabolikadoping habe sie stets abgelehnt.«

Eine der vielen Zeitungsenten zum Thema Doping? Ein Brief des DLV-Präsidenten Prof. Dr. Helmut Digel - er liegt uns im Original vor - an Udelhoven sah in einer Passage des Beitrags einen Bezug

zu dem ehemaligen Olympia-Stützpunktchef Uli Eicke, der vor Monaten heftige Dopingvorwür|e^gegen Bayer Leverkusen ; erhoben hattßteSKlcl umgehend gefeuert wurde.

Digel nun: »Was die Person von Uli Eicke betrifft, so sollte darauf hingewiesen werden, daß dieser mittlerweile als Studienrat an einem westfälischen Gymnasium unterrichtet. Soll dies als Existenzvernichtung bezeichnet werden, so müßte man fragen, wie jenes zu bezeichnen ist, was mit all den Studierenden geschieht, die mit besten Noten Staatsexamen abschließen, jedoch keinen Arbeitsplatz im öffentlichen Dienst finden können.« Diese Formulierung fordert logischerweise die Frage heraus, wer wohl Uli Eicke diesen Job an all den abgelehnten Staatsexamen-Absolventen vorbei beschafft hat?

Ankläger Uli Eicke wurde - muß man daraus folgern - mit einem Studienratsposten »ruhiggestellt«. Rudi Hars, der Trainer des Hammerwerfers Heinz Weis und der Speerwerferin Steffi Nerius - beide Vizemeister 1996 und Olympiastarter - schied freiwillig aus dem Leben. Der DLV stellte Anzeige gegen Unbekannt und nichts ist seitdem geschehen! Zola hatte in seiner Anklage gefordert: »Man wage es, mich vor die Geschworenen zu stellen. Darauf warte ich!« In der bundesdeutschen Leichtathletik scheint der Wunsch nicht ganz so ausgeprägt zu sein.

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