Dieser Text ist Teil des nd-Archivs seit 1946.

Um die Inhalte, die in den Jahrgängen bis 2001 als gedrucktes Papier vorliegen, in eine digitalisierte Fassung zu übertragen, wurde eine automatische Text- und Layouterkennung eingesetzt. Je älter das Original, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass der automatische Erkennvorgang bei einzelnen Wörtern oder Absätzen auf Probleme stößt.

Es kann also vereinzelt vorkommen, dass Texte fehlerhaft sind.

  • Politik
  • Der Schriftsteller und Graphiker Peter Edel wäre heute 75 Jahre alt geworden

Zeuge jüdischen Schicksals in Deutschland

  • Horst H. Lehmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Peter Edel (r.) in einer Ausstellung seines Werkes 1981 im Berliner Otto-Nagel-Haus Foto: Archiv

Seine Sache war Zeugenschaft. Als Zeuge sagte er aus in einem der Nürnberger Nachfolgeprozesse 1948 sowie im Globke-Prozeß, der 1963 bei Abwesenheit des Angeklagten in Berlin stattfand. Und als Zeuge jüdischen Schicksals in Deutschland verstand er sich auch in seinen künstlerischen Bemühungen: Den Porträts seiner Mithäftlinge in Auschwitz, dem .erschütternden Bildnis seiner Frau Esther, kurz bevor sie umgebracht wurde; Zeuge war er in seinen drei Büchern, die am Beispiel eigenen Erlebens jüdische Existenz im Berlin der 30er und der ersten 40er Jahre und in den faschistischen Vernichtungslagern exemplarisch vorführen; und eindrucksvolles Zeugnis war nicht zuletzt die Schilderung jener Sabbateingangsfeier unter dem Zeichen des gelben Sterns im Roman »Die Bilder des Zeugen Schattmann« (1969), die (ebenso wie in dem Fernsehfilm gleichen Titels von 1972) einem breiten Publikum jüdische Sitte und Religiosität und ihre beispiellose Gefährdung in jenen Jahren nahebrachten.

Peter Edel wurde in einer gutbürgerlichen jüdischen Familie in Berlin geboren. Sein Großvater Edmund war ein bekannter Feuilletonist und Sittenschilderer, dessen Enkel durch den Umgang mit Kunst und Künstlern früh animiert wurde, sein zeichnerisches Talent auszubilden. Faschismus und Krieg aber brachten den abrupten Bruch dieses Lebensgan-

ges, der in der Folgezeit durch Entwürdigung und Zwangsarbeit bestimmt war. Beim illegalen Widerstand gegen das verbrecherische Regime geriet Edel in die Fänge der Gestapo. Die meisten Mitglieder seiner Familie, sein Vater, seine junge Frau, wurden in den Gaskammern ermordet. Ihn selbst rettete davor seine Fähigkeit als Graphiker; er wurde in jenes geheime Sonderkommando verschleppt, das in der Hölle von Sachsenhausen

Pfund- und Dollarnoten fälschen mußte. Am Ende des Krieges in die Konzentrationslager Mauthausen und Ebensee überführt, entging er in letzter Minute seiner Liquidation als »Geheimnisträger« - der antifaschistische Publizist Edel hat diese Geheimnisse und die damit verbundene Schinderei der Menschen dann entlarvt.

Da war die »Weltbühne« schon zu seinem Forum geworden. Im kalten Krieg

Peter Edel: Porträt seiner Frau Esther

über seine Freunde und Feinde belehrt, zog er von West- nach Ostberlin und wurde zu einem leidenschaftlichen Agitator für die radikale Ausmerzung des Faschismus und Antisemitismus. Die gesellschaftlichen Veränderungen in der DDR empfand er als Voraussetzung dafür Diesen Zusammenhängen und dem Warum seiner persönlichen Entscheidung in ihnen ist er immer wieder nachgegangen. Das gilt für seine umfangreiche Publizistik, desgleichen aber für seine Prosa, die davon geradezu strukturiert ist. »Ein Roman über deutsche Vergangenheit und Gegenwart« lautet der Untertitel des »Zeugen Schattmann«. Sowohl in diesem Buch als insbesondere in seiner Autobiographie »Wenn es ans Leben geht« (1979) ist die Beziehung zwischen dem Gestern und dem Heute durchgängiges Denk- und Darstellungsprinzip. Er konfrontiert seine bitteren Lebenserfahrungen und die

seiner Familie mit den aktuellen politischen Geschehnissen, hauptsächlich in den beiden deutschen Staaten. Deren unterschiedliche »Bewältigung« der düstersten Jahre deutscher Geschichte vor allem findet seine Aufmerksamkeit. Von der heute vorherrschenden Sicht auf diese Thematik sind seine Einschätzungen allerdings weit entfernt. Sie passen wohl eher in die Rubrik des »verordneten Antifaschismus«, eine Begriffsbildung, auf die Peter Edel sicherlich mit Unverständnis und Zorn reagiert hätte. Kein Zweifel auch, daß nicht wenige der jetzigen Erscheinungsformen neodeutschen Gebarens sehr geeignet wären, seinen Alpträumen und Traumata wiederum Nahrung zu geben.

Edels zeichnerisches Werk wie auch seine Prosa haben unverkennbar dokumentarischen Charakter; die Dramatik und Bewegtheit der Gegenstände berührt aber auch stark emotional. In seinen drei Büchern (neben den genannten auch »Schwester der Nacht«, 1947) hält er sich weitgehend an autobiographisches Erleben, »denn ein Dichter bin ich nicht« so Edel in einer seiner letzten Arbeiten. Selbstkritik und Zweifel an seinem künstlerischen Potential hat er immer wieder geäußert. Aber die authentischen Fakten, die er darstellt, die Abgründe der Verzweiflung und der ungebrochene Mut dieses Menschen, das Pathos seines Urteils geben diesen Skizzen und Texten eine darüber hinausreichende Dimension des Künstlerischen, die im kulturellen Leben der dahingeschwundenen DDR-Gesellschaft einen wichtigen Platz einnahm.

In den heute als gültig angesehenen Lexika oder Literaturgeschichten sucht man den Namen des 1983 gestorbenen Peter Edel oft genug vergebens. Immerhin trägt ein der Kultur gewidmetes Haus im Berliner Stadtbezirk Weißensee noch seinen Namen: den politisch dafür Verantwortlichen sei Dank. Denn dieser Mann, der besessen gegen das Vergessen anschrieb, hat es nicht verdient, selbst vergessen zu sein.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -