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Afghanische Flüchtlinge nach Moldawien verfrachtet

Richter in Frankfurt/Main: Gefahren bei Reise in Heimat ausgeschlossen Asylbewerber

  • Lesedauer: 3 Min.

Eine afghanische Familie mit drei 8- bis 12jährigen Kindern wurde am Mittwoch per Flugzeug in Moldawiens Hauptstadt Chisinau abgeschoben, die sie auf ihrer Flucht vor den Taliban-Milizen durchquert hatte. Von dort könnten sie gefahrlos in den Norden ihrer Heimat reisen, befand der zuständige Richter.

Frankfurt/Main (ND). Wie die Hilfsorganisation PRO ASYL gestern mitteilte, war der Asylantrag der Familie S. zuvor sowohl vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge als auch vom zuständigen Einzelrichter der 5. Kammer des Verwaltungsgerichts Frankfurt/Main als »offensichtlich unbegründet« eingestuft worden. Auch Abschiebehindernisse seien nicht zu sehen. Deshalb wurde die Flüchtlings-Familie am Mittwoch gegen 15 Uhr auf dem Frankfurter Flughafen in eine wartende Maschine der Air Moldowa verfrachtet.

Jener Einzelrichter hatte die Abschiebungs-Entscheidung laut Pressemittteilung von PRO ASYL wie folgt begründet:

Nach dem Inhalt einer Auskunft des Auswärtigen Amtes seien »alle Städte innerhalb Afghanistans auf dem Landweg mit öffentlichen Verkehrsmitteln von den benachbarten Staaten aus erreichber. Von daher ist es den Antragstellern auch möglich, von Moldawien aus in den Norden Afghanistans, in das Gebiet des Generals Dostum« zu reisen. Gefahren jeglicher Art seien nach Überzeugung des Gerichts ausgeschlossen.

Abgesehen davon, daß Moldawien kein »benachbarter Staat« Afghanistans, sondern von ihm durch mehr als 5000 Kilometer Landweg getrennt ist, stellt nach Ansicht von PRO ASYL schon der Flug nach Chisinau für die abgeschobenen Asylbewerber eine Reise ins Ungewisse dar. Denn Moldawien ist nicht der Genfer Flüchtlingskonvention beigetreten. Der Familie fehlen für die Weiterreise, selbst wenn sie prinzipiell ohne weiteres möglich wäre, die notwendigen Geldmittel. Und die Eltern werden ihren Kindern bei ihrer deshalb unausweichlichen Odyssee nur unzureichend beistehen können: Frau S. ist völlig verzweifelt; Herr S. wurde direkt vom Waldkrankenhaus Köp-

pern zur Abschiebung gebracht, in das er am Vortag - bereits zum zweiten Male binnen eines Monats - wegen akutem Nerven- und Kreislaufzusammenbruch eingeliefert worden war Obwohl Ärzte von einer zwei- bis vierwöchigen stationären Behandlung ausgegangen waren.

»Mit ungeheurer Kaltschnäuzigkeit entledigt sich das Verwaltungsgericht jeder Verantwortung für Eltern und Kinder«, erklärte PRO ASYL-Sprecher Heiko Kauffmann. Er verwies darauf, daß sich Asyl-Ablehnungen für afghanische Flüchtlinge mit der Begründung häuften, ihnen stehe eine »interne Fluchtalternative« in Nordafghanistan zu Verfügung. Die Konstruktion solch einer »Fluchtalternative in die Arme des Generals Dostum« hat laut Kauffmann Methode: »Während Bundesaußenminister Kinkel Vertreter der Taliban-Milizen in Deutschland hofiert, wertet gleichzeitig das Auswärtige Amt einen weiteren Kriegsherrn zum angeblichen Garanten der Sicherheits- und Versorgungslage auf.« Flüchtlinge dürften keinesfalls Spielball wirtschaftlicher und geostrategischer Interessen der Bundesrepublik werden.

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