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Eier ab! heißt die Parole

  • Lesedauer: 4 Min.

Ich bekenne: Ich habe meine Tochter gewindelt! Morgens um fünf hatte sie sich bis zum Kragen eingeschissen. Ich nutzte die dämmrige Stunde. Nein, ich wollte niemals Dank dafür Aber inzwischen muß ich wohl froh sein, wenn sie mir verzeiht... ;

Seit etwa sechs Wochen schreibt und sendet uns die Journaille schuldig. Wir alle sind - vorerst - knapp am Inzest vorbeigeschrammt. Väter, Mütter, Brüder, Großväter, Hofhunde - sie alle schänden drauflos, als wollten sie ins Guinness-Buch der Rekorde. Denn der

Sommer war nachrichtenmäßig mäßig. Die Leute klammerten in klammen Urlaubsquartieren und waren durchaus Willens, vor lauter Langeweile nicht die Tapete von den Wänden, sondern Illustrierte zu fressen. Aber immer nur Pferdemörder und Schreinemakers - wer hat schon Pferde! Und wer hat Margarethes Millionen? Kinder kommen jedoch noch immer recht zahlreich vor Da geschah Unfaßbares, glücklicherweise woanders. Erst einmal begeben wir uns zum journalistischen Sextourismus nach Belgien. Verbal wurden im August und September so viele Kinder mißbraucht, wie vielleicht in Jahrzehnten nicht wirklich.

Scheinbar wird ein Thema ausgebeutet. In Wahrheit werden Menschen zur Handelsware, die sich selbst nicht äußern können, Kinder Die Beschreibung der verschiedenen Varianten, in denen »man« es mit ihnen gemacht hat, laufen Kochtips bald den Rang ab. Kinder sind immer »süß«.'Doch am süßesten sind sie, wenn sie tot sind - denn ohne Leiche keine Feier (nicht lange hin. und BILD oder BZ werden uns wieder mitteilen, daß man in der Chefetage auf die Auflagensteigerung angestoßen hat). Der Stammtisch hat bereits' verstanden: Eier ab! heißt die Parole. Erstaunt lese ich indes in einem Magazin, das seit Wochen den Pädophilen in jedem von uns wachzukitzeln sucht: die Zahl der Kindesmißhandlungen ist keineswegs gewachsen. Sie liegt noch unter der von vor vierzig Jahren. Der auskunftgebende Professor ist so verwundert wie ich, schließ-

lich sind 17 Millionen Ossis hinzugekommen.

Wir Ostdeutschen haben zum sexuellen Mißbrauch von Kindern offensichtlich bisher nicht viel beitragen können. Unser Freizeitverhalten ist eben immer noch einförmig (wenn ich der Presse glaube, gehen ja viele Leute in Deutschland mit ihren Kindern ins Bett, wie andere mit ihnen ins Spaßbad). Aber gemach: Es gibt ja die Dunkelziffer! Die Dunkelziffer ist ungeheuerlich hoch, hat aber den Nachteil, daß sie im Dunkeln bleibt. Was. bei Lichte besehn, wiederum auch ein Vorteil ist. sonst, wäre das Thema nach zwei, drei Folgen abgegessen. Gerade in der DDR wurde so viel unter den Teppich gekehrt-und Päderasten hatten natürlich nichts zu fürchten, sofern sie parteitreu waren.

Bwar also nur eine Frage der eit, daß in diesem Sommer aus dem deutschen Osten die große Kinderschändung über uns kam. BILD flehte fast täglich einen Fall herbei. »Das letzte große Tabu« muß ja endlich gebrochen werden, wie sich das für Tabus gehört. Auf Autobahnparkplätzen lauerten Reporter hinter mobilen Toiletten. »Stern« schickte Pfarrer Eggert zu jungen Männern nach Mecklenburg-Vorpommern. Aber das wurden nur Gespräche. Endlich verschwand Nicole aus dem urostigen Veiten mit ihrer Tante im auffällig giftgrünen Trabant zum Campen nach Holland! Eine offensichtlich nicht mit der Mama abgesprochene Spontanreise. Aus der Tatsache, daß die Mutter Nicoles Porträt beim Bäcker auf dem Ladentresen

aufgestellt hatte (oder waren auch das die Kollegen von RTL?), konnte man leicht schlie-ßen, daß ein Sexualverbrechen vorlag. Als Tante sich gemeldet hatte, schien die ganze schöne Kinderschändergeschichte schon zu Ende zu sein. Man hätte sich nur noch mit einem Interview mit Claudia Nolte (»jedes Vergehen an Kindern ist eins zuviel«) aus der Story stehlen können. Etwa zweihundert »Presseleute« hatten sich deshalb vorgenommen, die Schändung an Nicole selbst zu vollziehen und die entsprechenden kommerziell verwertbaren Videos von diesem Vorgang anzufertigen, so bald sie zu Hause auftauchen würde. Die Staatsanwaltschaft, am Erlös von BILD und »stern« noch nicht beteiligt, war aber wenig entgegenkommend und hat das Kind nicht bereitgestellt. So sah man nur die Mama, wie sie ALDI-Sekt aus der Flasche sog. Einige Flaschen später soll sie dann bei der Behörde die Herausgabe ihrer Tochter verlangt haben, mit der einleuchtenden Begründung, ein Journalist wolle sie gern mal haben, und der hätte schließlich schon bezahlt...

Keine Bange, das Elend, das Kindern widerfährt, die mit arbeitslosen, frühvergreisten Eltern aufwachsen, um dann mit 16. 17 ihr Leben als Sozialrentner zu beschließen, kommt auch mal wieder in die Zeitung! Wenn Sie beispielsweise Ossi und au-ßerdem ganz weit unten sind und ihre kleine Enkelin geschwängert haben - schreiben Sie uns...!

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