»Ich sage halt laut, was Sache ist.«
Udo Knapp - ein unruhiger Geist wird auch auf Rügen zum Stein des Anstoßes
Früher war die DDR für mich ...
. . das Land, das den »Gedanken« an Sozialismus ad absurdum führte.
Wenn ich vor der Wende in die DDR reiste ..,
. wurde ich von den Grenzorganen stets spezialbehandelt.
Das Fernsehen der DDR war für mich ..
nicht existent.
Seit Deutschland wiedervereinigt ist, habe ich ...
... mein Vertrauen in die Zukunft bürgerlicher Demokratie und individueller Verantwortlichkeit fürs Gemeinwesen bestätigt gefunden.
Wenn es die Wende nicht gegeben hätte ..,
. wäre sie dennoch gekommen.
Heute sehe ich in den neuen Ländern ...
.. viel Zukunft für die alten Bundesländer und uns alle im vereinten Europa.
Wäre ich in der alten Bundesrepublik geblieben ..,
. . würde ich arbeiten wie heute und niemals an der Vernunft der Demokratie verzweifeln.
Foto: Robert Grahn
Osten kam ein solcher auf den Westen, verstärkt durch die Studentenrevolte der 60er Jahre. Ein Ossi war er nicht mehr, ein Wessi wollte er nicht werden.
Knapp saß zwischen den Stühlen und suchte sich in die Radikalität zu retten. Mit Rudi Dutschke und anderen gehörte er zu den Aktivisten des SDS. Den löste er mit anderen kurzerhand auf, als er ihn in Gefahr sah, zu einer kommunistischen Aufbauorganisation zu verkommen. Dann ging er in eine »proletarische unke Parteiinitiative«; die wollte den revolutionären Gedanken in die Betriebe tragen, indem Arztsöhne ihr Studium abbrachen, um Arbeiter zu werden. Knapp erkannte bald das Illusionäre solcher Ideen, verweigerte sich und wurde ausgeschlossen.
Sein Elternhaus (»Die waren doch durch die Nazizeit alle Weltmeister im Nicht-Untergehen, im Anpassen.«) und seine DDR-Erfahrung hatten Udo Knapp frühzeitig Pragmatismus gelehrt - und zugleich den Abscheu davor. In dieser Ambivalenz lebte er. Nach dem Studium beim Bezirksamt Spandau angestellt, machte er schnell eine Gewerkschaftskarriere in der ÖTV, wurde Spitzenkandidat für das Vorsitzendenamt. Doch immer, wenn er auf dem Weg ist sich einzufügen, treibt ihn sofort etwas in die andere Richtung, veranlaßt ihn zum Ausscheren. 1977 war ' Generalbundesanwalt Buback von der RAF erschossen worden; bei der Trauerfeier im Bezirksamt blieb Knapp sitzen. »Natürlich habe ich diesen Mord abgelehnt, ich habe mich vom Terror distanziert, aber Staatstrauer wollte ich mir nicht verordnen lassen. Das ging mit mir nicht.« Er wurde aus der ÖTV ausgeschlossen, entlassen, obwohl ihm fachlich nichts vorzuwerfen war. Man fand die Gründe in seiner 68er Radikalen-Akte.
Wie zur Bekräftigung flicht Knapp eine Geschichte aus der Kindheit ein - von der Osttribüne zum Leipziger Turn- und Sportfest. Da mußte er wochenlang das Fähnchenzeigen üben. Aber immer wieder hob er das falsche Tuch - »nicht aus Absicht, sondern einfach aus antiautoritärem Impuls. In der Masse sitzen, mit den anderen mitmachen, das ist für mich unglaublich schwierig«. Auch in Leipzig zeigte er schwarz statt gelb. Und später, als Mitglied eines Taxikollektivs in Westberlin, lehnte er es ab, von dem erarbeiteten Geld für Nikaragua zu spenden. Lieber wollte er für zwei, drei der Truppe das Studium finanzieren. Sie sollten ihr Examen machen. Das aber war Verrat an den Idealen der Revolution.
Politisch wechselte Knapp nun zu den Grünen. Ausgerechnet der Linke Christian Ströbele brachte ihn, der sich stets als Pragmatiker, als Realist, vielleicht gar als Rechter verstand, 1984 als Frak-
tionsmitarbeiter nach Bonn. Zweimal bewarb er sich erfolglos Um “eine Bundes- 1 tagskandidatur, schrieb ein Buch. Als 1990 die Wende kam, kehrte er in die verschwindende DDR zurück, erhielt sogar noch einen Personalausweis, aber ein Neustart war schwierig. Zwar setzte ihn das Neue Forum in Halle auf einen aussichtsreichen Listenplatz für die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt, aber das kippten anschließend die Magdeburger Grünen, tatkräftig assistiert vom linken Flügel in Bonn, der den Osten nicht den Realos überlassen wollte.
Knapp ging nach Schwerin - und in die SPD Irgendwer holte ihn nach Wolgast, wo man einen Dezernenten brauchte. Er wurde zum 2. Beigeordneten gewählt; Landrat war ebenfalls ein Westmann, aus der CDU. Bei den Kommunalwahlen konnte Knapp als Landratskandidat den
SPD-Stimmenanteil von neun auf 20 Prozent zwar verdoppeln, über die CDU hielt ihre 39 Prozent; selbst zusammen mit der PDS war das nicht zu überbieten. Es folgte der Ruf nach Bergen. Hier gelang das Zusammengehen mit PDS und dem »Bündnis für Rügen« - erfolgreich. Nachdem Tausende Arbeitsplätze weggebrochen waren, zeichnet sich langsam wieder eine Perspektive für die Insel ab. Man tut etwas für Jobs, man kümmert sich um soziale Belange, auch wenn nur wenigen geholfen werden kann. Vernünftige Tourismuskonzepte nehmen Gestalt an. Knapp verbucht die Regelung der Müllentsorgung, die Rekommunalisierung der Wasserversorgung, den Erhalt der Kleinbahn, die Kulturstiftung auch auf seinem Konto. Konflikte leugnet er nicht: »Ich sage halt laut, was Sache ist. Politiker, die den Leuten immer nach dem Maul reden, finden letztlich nur Verachtung.« Er spricht wohl zu laut - und zu direkt. Wer die Mecklenburger kennt, die wort-
kargen Sassnitzer Fischer und die bedächtigen Bauern des Mönchsguts, wer weiß, daß sie sich zumeist zu den kleinen Leuten rechnen und bei der letzten Kommunalwahl zu 28,5 Prozent der PDS ihre Stimme gaben, der kann erahnen, wie auf sie solch ein Satz wirkt: »Wir verlängern den Kurfürstendamm um die Promenaden von Binz und Sassnitz.« Knapp ahnt es nicht. Und Ingolf Klaassen, sein Parteifreund, der trotz des nordischen Namens vom Rhein stammt, wundert sich: »Im Rheinland würde einer wie Knapp gar nicht besonders auffallen.« Der Osten ist eben anders.
Aber kann er so bleiben? Braucht er einen wie Knapp nicht, für den Pragmatismus zum Glaubensbekenntnis wurde, der - wichtiger noch - das Westsystem aus den Effeff kennt, der tricksen kann, sich durchsetzen, oft hemdsärmlig und brutal? Der sogar dem Junker sein Schloß zurückgeben will, damit der es mit seinem Geld wieder herrichtet, während es ansonsten wohl zerfallen würde? Für Gerhard Böhm von der PDS ist da die Grenze. Der frühere stellvertretende Kreisratsvorsitzende ist nicht bereit, »sich zum Wasserträger bestimmter politischer Ansichten des Dr. Knapp machen zu lassen«. Denn: »Das erwartet unsere Klientel.« Und auch der einstige LPG-Vorsitzende Albrecht Kind fragt, ob die Knapp zugestandene Unbestechlichkeit im Politischen ebenfalls gilt. Groß ist das Mißtrauen, daß »Volkseigentum« an geldschwere Aufkäufer verschleudert werden könnte.
Vielleicht auch deshalb, weil Udo Knapp unumwunden eingesteht, daß er sich von ideologischen Träumereien längst verabschiedet hat. Dennoch sieht er nicht darin die eigentliche Ursache des Streits, vermutet vielmehr einen neuen Paradigmenwechsel, sozusagen das Ende der Nach wende. Wer 40 Jahre lang die DDR unter größten Schwierigkeiten, mit persönlichem Einsatz aufgebaut habe, für den sei allmählich die Schamfrist vorbei. Da sagten sich manche: Wir haben die DDR solange erhalten. Eigentlich können wir nun selber weitermachen. Wir wollen zwar die DDR nicht zurück, aber von dem, was wir früher geschaffen haben, wollen wir unser Teil abhaben. Darin seien sich einige von PDS wie CDU und die im »Bündnis für Rügen« vereinten Ex-LPG-Bauern als »alte Funktionseliten« im Grunde einig. Was könne dem die kleine SPD, die kaum eine soziale Basis habe, entgegensetzen? »Wählt die PDS mit der CDU einen Sozialdemokraten ab?« Darauf spitzt sich - typisch »verknappt« für ihn die Frage zu.
Den Konflikt zwischen individueller Freiheit und sozialer Gerechtigkeit hält Udo Knapp für unlösbar In der DDR sei er durch die Linie der Partei »bereinigt« worden. Im Westen preise man den Konsens. Ohne ihn: »Nicht daß ich an den Konsens geglaubt hätte, im Gegenteil!« Für nicht wenige aber stellt sich solches »Gegenteil« wieder nur als eine Art Linie dar Keiner auf Rügen bestreitet Knapp kluge Gedanken, Engagement, fleißige Arbeit und auch Erfolge. Doch was er daraus macht, erinnert viele auf der Insel allzusehr an die Jahre vor 1989 Die Notbremse, die jetzt gezogen werden soll, allerdings auch.
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