»Ich will nur, dass diese Wahlen endlich vorbei sind«, sagt Natalja. Die Kiewer Lehrerin hat Angst: »Der Mann meiner Schwester ist bei der Armee. Plötzlich, vor den Wahlen, wird seine Einheit in Kiew stationiert. Was bedeutet das?«
Veränderungen erwartet sie weder von Justschenko noch von Janukowitsch. »Es wird niemals Veränderungen geben in der Ukraine. Überall herrscht Korruption. Wenn die Wahlen nicht so ausgehen, wie die Oligarchen es wollen, dann werden sie einfach gefälscht.« Dass Premierminister Janukowitsch nach der ersten Runde nur an zweiter Stelle lag, ist für sie kein Gegenbeweis: »Es wird doch sowieso erst in der Stichwahl entschieden. Haben Sie nicht mitbekommen, wie lange die gezählt haben? Man braucht doch nicht zehn Tage, um ein Ergebnis zu veröffentlichen. Mit dem Ergebnis aus der ersten Runde sieht es nur so aus, als ob wir eine richtige Wahl hätten.«
Natalja steht mit ihrer Einstellung nicht allein. Die 22-jährige Studentin Marina etwa ist Feuer und Flamme für Viktor Justschenko. »Wenn die Wahlen frei wären, hätte Janukowitsch überhaupt keine Chance«, behauptet die junge Frau aus dem westukrainischen Cernihiv (Tschernigow). »Aber alles hier ist in den Händen der Macht. Schau dir die Nachrichten im Fernsehen an, lies die Zeitungen! Nur Janukowitsch, Janukowitsch. Die haben ja sogar versucht, Justschenko umzubringen.« Wenn es um die angebliche Vergiftung des Oppositionspolitikers geht, wird Marina laut. Tatsächlich erkrankte Justschenko während des Wahlkampfes schwer und beschuldigte die Regierung eines Mordkomplotts. Beweise blieb er schuldig.
Die 71-jährige Rentnerin Stefania aus Lwiw (Lwow) hat zu viel erlebt, um sich über solche Vorwürfe noch zu erregen: Krieg, Vertreibung, Stalinismus, Perestroika und die harte Realität des Kapitalismus. Heute reicht ihre Rente nicht einmal mehr für das Nötigste. Sie ist auf Brotspenden wohltätiger Organisationen angewiesen, wenn sie einigermaßen über den Monat kommen will. »Das einzig Gute an den Wahlen ist, dass mir meine Rente erhöht wurde«, sagt sie. Mehr erwartet sie nicht. »Das wird so sein wie immer. Zuerst wird das Blaue vom Himmel versprochen und danach stecken die alles in ihre eigene Tasche.«
Für Anatoli hat dieser Wahlkampf tatsächlich etwas von einem Kulturkampf, wie er häufig in westlichen Medien beschrieben wird. »Ich finde es gut, dass Janukowitsch Russisch als zweite offizielle Sprache einführen will«, sagt der Bergmann aus dem Donbass. Im »Ruhrgebiet des Ostens« ist man stolz darauf, den Großteil des ukrainischen Bruttoinlandsprodukts zu erwirtschaften. Besonders weil der Westteil der Ukraine sich immer als kulturelles Zentrum des Landes bezeichnet. Aus dem Westen kommt auch die Forderung, nur das Ukrainische dürfe Amtssprache sein. »Mir gefallen die ganzen Nationalisten im Bündnis von Justschenko nicht«, gibt Anatoli zu. »Was wollen die von uns? Soll ich meine Muttersprache vergessen? Wir finanzieren deren Landesteile durch unsere Arbeit mit. Aber die wollen uns vorschreiben, wie wir zu sprechen haben, wenn wir richtige Ukrainer sein wollen.« Vernünftig findet er die neuen Regelungen, die das Reisen zwischen der Ukraine und Russland erleichtern. »Ich will keine Wiedervereinigung oder so was. Aber es gibt viele Menschen hier, die dort Familie haben oder zum Arbeiten rüberfahren. Da hilft jede Erleichterung.« Deshalb wird er für Janukowitsch stimmen. »Er ist halt das kleinere Übel. In jedem Fall besser als Justschenko.«
Die Kiewer Verkäuferin Olga dagegen meint, am politischen System der Ukraine sei etwas falsch, wenn nach der ersten Runde nur noch ein ehemaliger Gewalttäter (Janukowitsch wurde in seiner Jugend zweimal verurteilt) und ein Kandidaten ohne Substanz zur Auswahl stehen. »Es sind so viele verschiedene Leute angetreten. Warum haben wir von denen nichts gehört oder keine Plakate gesehen?«
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