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Hoffnungsvoller Beginn in London

  • Katharina Lange
  • Lesedauer: 4 Min.

Einem Hindernislauf gleicht die Entstehungsgeschichte dieses Buches, in dem ehemalige Mitglieder der im Juni 1939 gegründeten Freien Deutschen Jugend in Großbritannien (FDJGB) zu dieser prägenden Periode ihres Lebens das Wort ergreifen. Mehrmalige Versuche, ein entsprechendes Unternehmen in der DDR zu starten und damit über ein größeres Potential an Autoren und Erinnerungsvermögen zu verfügen, scheiterten. Die offizielle FDJ-Geschichtsschreibung hatte Traditionen zu belegen, die einen Jugendverband als »Kampfreserve der Partei« legitimierten. Quellen, die auf Westemigration, eine vorwiegend jüdische Mitgliedschaft, pluralistische antifaschistische Denkansätze und toleranten wie kulturvollen Umgang verweisen, riefen zumindest Unbehagen hervor Erich Honecker persönlich griff verhindernd ein.

Nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik scheint das öffentliche Inter-

esse an der Vorgeschichte der DDR-Staatsjugendorganisation auf dem Nullpunkt angelangt. Warum sich nochmals einem hoffnungsvollen Aufbruch zuwenden, wenn doch alles in einem grauen Einheitsbrei endete, von dem sich Jugendliche Ende der 80er Jahre bewußt abwandten? Eine Frage, auf die jeder der in diesem Band vertretenen Zeitzeugen seine Antwort sucht: Alfred Fleischhak ker, Werner Blumenthal, Barbara Cartlidge, Ken Ellington, Werner Goldstein, Hans Herzberg, Ursula Herzberg, Hans Jacobus, Alice Michelson, Horst Schalscha, Helmuth Stoecker, Lieselotte Wolf und Eberhard Zamory. Es sind 13 von ehemals ca. 600 FDJlern, die sich in Gruppen u. a. in London, Manchester, Birmingham, Bradford, Cambridge, Kingston und Paddington organisiert hatten. Die Autoren wissen um das Wagnis einer Rückschau nach über 50 Jahren.

Es sind einzelne Episoden, die erinnert werden. Sie setzen Farbtupfer insbesondere dort, wo Alltag reflektiert wird. Man gewinnt eine Vorstellung, wie Hungrige und Obdachlose Unterstützung erhielten, wie die Nächte vor dem Kamin im Ju-

gendhaus London, 12 Belsize Park, verliefen, wie Bombenangriffe gemeinsam überstanden wurden, wie dennoch Lebensfreude und Optimismus dominierten. Für viele ersetzte die FDJ Eltern und Geschwister. Die solidarische Gemeinschaft zog nicht nur deutsche Flüchtlinge in ihren Bann. Sie trug dazu bei, daß die britische Bevölkerung und demokratische Organisationen zu der Überzeugung gelangten, daß Deutschland und Nationalsozialismus keine Einheit bilden müssen: durch vielfältige Aktivitäten im künstlerischen Bereich, ihr Drängen auf die Eröffnung der Zweiten Front, ihre disziplinierte Arbeit in wichtigen Zweigen der britischen Kriegswirtschaft, durch Sammlungen für die sich verteidigende Sowjetunion und nicht zuletzt durch den Einsatz ihres Lebens in den britischen Streitkräften.

Plastisch erzählen die Autoren von der politisierenden Wirkung der Internierungslager auf der Isle of Man oder in Huyton, in Kanada und Australien 1940-42, die wohl entgegen den Intentionen der britischen Regierung zur eigentlichen

Geburtsstunde der FDJ in Großbritannien wurden. Dort, oft unter extremsten Bedingungen, wuchsen Kommunisten für die meist bürgerlich sozialisierten Jugendlichen zu Vorbildern. Unterschiedlich bewerten die FDJler von damals den zunehmenden Einfluß der Auslandsgruppe der KPD in England auf Leitung und Programmatik der FDJ. Die ausgetragenen Konflikte bestimmten teilweise die individuelle Option für oder gegen eine Rückkehr nach Deutschland und in die SBZ nach Kriegsende.

Das Buch initiierte der bereits 1994 verstorbene Historiker Helmut Stoecker, Gründungsmitglied der FDJGB, der es gemeinsam mit dem Institut für zeitgeschichtliche Jugendforschung Berlin konzipiert hatte. Illustriert mit bisher unveröffentlichten Fotos wurden Quellen gesichert, die differenziertere Einblicke in die Geschichte der FDJ zulassen. Unter Verantwortung von Karsten Schröder sind ein Abriß der Organisationsgeschichte der FDJGB (ohne wissenschaftlichen Apparat), ein Dokumentenanhang und eine Chronik beigefügt.

Tn sieben Foren der literaturWERKstatt IBerlin haben Experten und Zeitzeugen Geschichte und heutigen Kontext des Antifaschismus diskutiert. Die überarbeiteten Vortage, u.a. von Wolfgang Benz, Bernd Faulenbach, Iring Fetscher, Antonia Gruneberg, Dieter Schlenstedt und Werner Mittenzwei sind unter dem Titel »Die Nacht hat zwölf Stunden, dann kommt schon der Tag« erschienen (AtV, 359 S., br., 17,90 DM).

Ein »Antirassistisches Geschichtsbuch«, das sich mit Quellen des Rassismus im kollektiven Gedächtnis der Deutschen auseinandersetzt, hat der Verlag für Interkulturelle Kommunikation herausgebracht. Der Autor Thomas Geisen analysiert pseudowissenschaftliche Argumentationen und deckt »unbewußte« antirassistische Praktiken in der Gegenwart auf (220 S., br„ 34,80 DM).

In Deutschland nimmt die Tendenz wieder zu, das Nazi-System und die Rolle seiner intellektuellen Stützen umzudeuten, meint Professor Joachim Pereis von der Universität Hannover in »Wider die >Normalisierung< des Nationalsozialismus. Interventionen gegen die Verdrängung« (Offizin Verlag, Bödekerstr. 75, 30161 Hannover, 118 S., 13,80 DM).

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