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  • Politik
  • Biermann-Ausbürgerung 1976: Zäsur in der Ära Honecker

Die Selbstzerstörung

hatte begonnen Von Siegfried Prokop

  • Lesedauer: 6 Min.

»...wer ist der Linkste im ganzen Land?«

entschloß sich statt dessen zu den traditionellen Einschüchterungs- und Abstrafungsmethoden, die vor allem in der Parteiorganisation des Berliner Schriftstellerverbandes makabre Wirkung hatten. Konrad Naumann hatte sich auf Prinzipien festgelegt, die den Ernst der Situation völlig verkannten: »Aufhören, manche Genossen mit Samthandschuhen anzufassen«, »Privilegien beenden« (»auch für diese Genossen muß die Partei mit GO beginnen, nicht erst beim ZK oder Politbüro«) und »Parteilose politischideologisch zur Brust nehmen«. Die erstarrten Politmuster sollten einer falschen Entscheidung des Generalsekretärs die Gefolgschaft aller Genossen sichern helfen. Wer sich nicht einverstanden erklärte, der verstieß gegen die Parteidisziplin. Unter diesen Auspizien war es schon interessant, daß Stephan Hermlin in der Parteiversammlung des Berliner Schriftstellerverbandes am 26.11.1976 erklärte: »Parteidisziplin gehört zum Parteimitglied. Aber ich sage jetzt offen, daß mir andere Werte höher sind.« Der Apparat schäumte.

Mit dem Brachialmittel »Parteidisziplin« schaffte es die Parteizentrale der SED in kurzer Zeit, einen Bruch im Bündnis mit Künstlern und Schriftstellern her-

Foto: Roger Melis (Ausschnitt)

beizuführen, wie ihn Biermann, wäre er in der DDR geblieben, nie zustande gebracht hätte. In kurzer Zeit verließen nach 1976 mehr Künstler die DDR als in der ganzen bisherigen Geschichte. Der Prozeß der Selbstzerstörung, der 1989 offensichtlich wurde, hatte bereits 1976 begonnen. Honecker hatte gerade im Jahr 1976 mit dem IX. Parteitag seine bedingt innovative Politik verlassen und war voll auf einen Kurs eingeschwenkt, der letztlich Stagnation bedeutete. Der Werdegang der DDR, bis dahin sich im Aufwärtstrend bewegend, neigte sich in die Kurve des Abstiegs.

Man vergegenwärtige sich, wie Honecker 1971 begonnen hatte. Er startete mit einem im Vergleich zu Ulbricht modernen Politik-Stil. Er versprach zunächst mehr Liberalität in der Kulturpolitik (»Weite und Vielfalt«). Die Abschaffung des § 218 gegen Stimmen von CDU-Abgeordneten in der Volkskammer hatte für die Frauenemanzipation eine enorme Bedeutung. Die soziale Verbesserung der Lage der Familien sicherte, daß die DDR trotzdem ein geburtenfreudiges Land blieb, und erstmals ein Land wurde, in dem die zur Welt kommenden Kinder Wunschkinder waren. Bedeutsam war, daß Erich Honecker sehr viel Wert darauf

Das Reinschriften-Protokoll der Sitzung des SED-Politbüros vom 16. November 1976 verzeichnet unter Punkt 4 die »Aberkennung der Staatsbürgerschaft für Wolf Biermann. Berichterstatter: Erich Honecker«. Die für den Abend des 16. November vorgesehene Pressemitteilung begründete mit unübersehbarem Zynismus diese Entscheidung damit, daß Biermann »mit seinem feindseligen Auftreten gegenüber der Deutschen Demokratischen Republik... sich selbst den Boden für die Gewährleistung der Staatsbürgerschaft der DDR« entzogen habe. Nach der unmenschlichen Ausbürgerungspraxis des NS-Regimes verbot sich für jeden nachfolgenden deutschen Staat eine Ausbürgerung. Es steht außer jedem Zweifel, daß die Ausbürgerung Biermanns in jeder Hinsicht falsch war und diese Entscheidung offenbar unter Verletzung von Parteistatut der SED und Verfassung der DDR gefällt wurde.

Über die Politbüroberatung vom 16. November, an der laut Protokoll Kurt Hager teilgenommen hat, teilt dieser in seinen »Erinnerungen« mit: »Es kam zu erregten Äußerungen über die Haltung Biermanns und das Ministerium für Kultur, das ihm die Erlaubnis zur Reise nach Köln gegeben hatte. In dieser emotionsgeladenen Atmosphäre tauchte auch der Gedanke auf, Biermann auszubürgern.« Aus Gedanke wurde also im Reinschriften-Protokoll Nr. 2 5/76 ein Beschluß. Honecker konnte davon ausgehen, daß die ihm hörigen Mitstreiter im Politbüro den Vorgang hinnehmen würden (und unter Berücksichtigung aller Fakten, die bisher bekannt wurden, auch hingenommen haben)-, obwohl zwischen einem bloßen Gedanken und einem vollzogenen Beschluß ein erheblicher Unterschied besteht.

Was aber steckte hinter dem bonapartistischen Vorgehen Honeckers? Wie Hager zu entnehmen, folgte Honecker offenbar einer Vorstellung, die im MfS entwickelt wurde. Die Furcht vor einer Opposition in der DDR, auch wenn sie bloß von einem anderen sozialistisch-kommunistischen Ansatz wie bei Biermann getragen war, spielte latent eine Rolle. Schließlich dürfte das sowjetische Muster zur Ausbürgerung von Solshenizyn im Jahre 1974 nachgewirkt haben. Der sowjetischen Schablone folgend, hatte das MfS schon im Frühherbst Pläne für die Ausbürgerung Robert Havemanns entwickelt, jedoch nicht verwirklicht.

Kann andererseits ein ganz persönliches Interesse Honeckers an der Ausbürgerung Biermanns ausgeschlossen werden? Honecker wußte von den engen Kontakten Biermanns zu seiner Frau Margot seit Kindheit und Jugend. War gar Eifersucht im Spiel? Was auch im einzelnen die hinter dieser Fehlentscheidung sich verbergenden Beweggründe gewesen sein mögen, fest steht, daß sie größere Auswirkungen auf den weiteren Gang der DDR-Geschichte hatte als jede Kritik, die Wolf Biermann in und außerhalb der DDR geübt hatte. Biermanns Kritik bewegte sich durchaus im Rahmen des in der DDR Üblichen. Daß sie über westliche Medien vorgetragen wurde, konnte ihm solange nicht vorgeworfen werden, wie DDR-Medien sich ihm verschlossen. Dennoch blieb eine Frage zum Verhalten von Biermann von ihm selbst bisher unbeantwortet: Warum nahm er das Angebot dieser Medien so ohne weiteres an, das Logo »verfolgter Kommunist« als Vermarktungsprinzip zu nutzen und damit die Linken auch im Westen zu irritieren? War ihm die Vorstellung, der »deutscher Solshenizyn« zu sein, ein gar zu schmeichelhafter Gedanke, selbst wenn er linke Solidarität sprengte?

Ungewöhnlich schnell, am Tage nach der Ausbürgerung schon, hatten namhafte Schriftsteller der DDR wie Stephan Hermlin, Stefan Heym und Christa Wolf eine Biermann-Petition in die Öffentlichkeit gebracht, die es Honecker unmöglich machte, bloß abzuwimmeln und zur Tagesordnung überzugehen. Zur Korrektur der Entscheidung kam es infolge des inzwischen in hoher Blüte stehenden Honecker-Kultes nicht. Die SED-Zentrale

legte, die Politik der Entspannung materiell zu fundieren. Seine extensive Kreditpolitik dürfte zunächst in dieser Intention ihren Ausgangspunkt gehabt haben. Honecker war davon überzeugt und stand dafür ein, die deutsche Teilung für die Menschen erträglicher zu machen. Seine Abgrenzungspolitik stand dazu scheinbar im Widerspruch. Er verstand sie als Vorbedingung dafür, wesentlich weitergehende Schritte im Vergleich zu Ulbricht im deutsch-deutschen Verhältnis gehen zu können. Das haben damals die Politiker des Westens wohl auch so verstanden, sonst hätten sie Honecker nicht so stark unterstützt. Auch war Honecker flexibler als Ulbricht in allen Fragen der internationalen Politik. Ohne seine Beweglichkeit dürfte der KSZE-Prozeß

lieh gewesen waren und die deshalb ihren Platz im Führungszentrum behalten durften. Kennzeichnend für die Politbüromitglieder der Honecker-Ära war ein hoher Grad persönlicher Abhängigkeit vom Generalsekretär, die von vornherein wirkliche Kollektivität ausschloß. Das Politbüro der Honecker-Zeit setzte sich nicht mehr wie in der Ära Ulbrichts aus souveränen und unabhängigen Persönlichkeiten zusammen. Das erklärt die Art und Weise der Hinnahme der Ausbürgerung Biermanns durch die Politbüromitglieder. Nach dem IX. Parteitag der SED kam es aus Gründen der Herrschaftsstabilisierung zur überstürzten Inkraftsetzung des überdimensionierten Sozialprogramms, obwohl die vorbereitete Durchsetzung eines eher leistungsbezogenen Lohnsystems viel dringlicher gewesen wäre. Das Meinungsforschungsinstitut beim ZK spielte kaum noch eine Rolle und mußte 1979 seine Tätigkeit ganz einstellen.

Das politische System und die zentrale Planwirtschaft gerieten wie in der UdSSR auch in der DDR immer mehr in Widerspruch zum aufkommenden High-Tech-Zeitalter Die starren Produktionsverhältnisse wurden zur Fessel für die immer dynamischer sich durchsetzenden Produktivkräfte. Der Anspruch auf ein Informationsmonopol der SED und die EDV paßten längerfristig nicht zusammen. Die bisherige wirtschaftliche Stärke in der Phase der Industrialisierung und des extensiven Aufbaus der Industrie schwand dahin. Der nächste Modernisierungsschritt, der in der DDR anvisierte Übergang zur intensiv erweiterten Reproduktion, war mit den alten Planungsmechanismen und im Rahmen des starren politischen Systems nicht realisier-

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