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  • Politik
  • Konzert mit Wolf Biermann in der Berliner Jüdischen Gemeinde

Süße Lieder- saure Lieder

  • Jürgen Eger
  • Lesedauer: 3 Min.

Im Vortragssaal der jüdischen Gemeinde zu Berlin dominiert altachtundsechziger Brillengestell-Geschmack. Kaum ein Rauschebart ist zu sehen, der dereinst DDR-bürgerbewegt gewesen sein könnte. Es riecht nach Wohlstand, der alternativ gekleidet daherkommt. Man trägt hohe Erwartungen und bringt, in die Jahre gekommen, die hübschen Töchter mit. Dabei hatte der alte Wolf noch einst davor gewarnt. Aber er ist zahm geworden, jedenfalls darin.

Das Konzert ist, wie man heute sagt, eine Mogelpackung. Angekündigt werden vor allem neuere Lieder, das ästhetische Gewicht liegt aber doch auf denen aus der DDR, die immer wieder scheinbar zufällig eingeschoben werden, und denen, die er kurz nach seinem Weggang (aus der Bundesrepublik nach Paris) schrieb. Das liegt sicher nicht nur an den Liedern selbst. Die alten wurden aus einer spannungsvollen, spannenden Situation heraus geschrieben und erinnern diese. Der Kampf Davids gegen Goliath. Oder sie besingen - echt oder nicht - den Schmerz der Trennung für ein anspruchsvolles Publikum. Heute ist das Publikum mit wenig zufrieden.

Vor allem diese neueren Lieder plätschern eher dahin und machen um so deutlicher, wie unwichtig sie eigentlich sind. Den Musizierstil hat der Liedermacher im wesentlichen beibehalten, aber die biermannklassische dissonante Dra-

maturgie will nicht so recht passen zu Widerspruchslosigkeit den heutigen Verhältnissen gegenüber. Der treibende Rhythmus treibt nichts mehr. Die Lieder sind der nötige Vorwand, die Vereinbarung mit dem Publikum, sich zu treffen, ein Gesamtkunstwerk zu genießen, eine Mischung aus Liederabend, Parteiversammlung und Kanzelpredigt. Ein Wechselbad aus Gemeinheit und Katharsis, Sünde und Beichte wird geboten und dankbar entgegengenommen. Vielleicht sind andere genauso eitel, Wolf Biermann ist jedoch der professionellste Selbstinszenator, den ich je ohne mediale Vermittlung gesehen habe. Viele haben es ihm politisch-ästhetisch nachgetan und zeitweise mehr oder weniger Erfolg damit gehabt. Aber er war und ist der Cleverste, der Größte von allen. Er ist ein Bekenner, bei dem es nicht wichtig ist, was er gestern oder vorgestern bekannt hat, ein Vorreiter postmodernen Diskurses schon in der frühen DDR, in dem der Affekt allemal über simpelste Logik und billigste Anstandsregeln zu siegen hat. Das macht seinen Vortrag auch heute noch faszinierend, und so hat er es nicht nötig, ein warmes Plätzchen bei der Konrad-Adenauer-Stiftung abzusitzen oder sich vom Kanzler Stiftungsgelder vermitteln zu lassen.

Wolf Biermann mag nicht lassen von der Kunst der Denunziation und übt wie nicht anders zu erwarten - schärfste Kritik an den Verhältnissen. Allerdings nicht an den herrschenden. Was in seinen Texten früher Sindermann und Verner waren, dürfen heute Gysi und Bisky sein.

Allerdings muß er heute nicht einmal mehr begründen, was die ihm getan haben. Die Feindbilder werden als gesetzt angenommen und funktionieren prächtig. Bei Heiner Müller geht es dann ins Detail. Besser kann man nicht vorgeführt bekommen, wie nach den heutigen Regeln der Kunst Personen diskreditiert und ihr Ansehen verletzt werden. Jegliche mögliche Einwände werden vorweggenommen, immer wieder betont der Autor seine Liebe zum und seine Hochachtung für den Mut des Denunzierten, um die Demontage der Persönlichkeit um so wirksamer werden zu lassen.

Zwischen diesen politischen Breitseiten immer wieder Schnurren aus dem Privatleben, aus der Kindheit gar Er erzählt, wie er als Fünfjähriger im Gefäng-

Nach dem Biermann-Gedenken kann man auf den 20. Jahrestag der Salman-Rushdie-Vertreibung richtig gespannt sein.

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