- Politik
- Tele-Tagebuch »Die Zauberflöte« auf 3sat
Märchenhaftes Fernsehen
Gerade mal ein Prozent der deutschen Fernsehzuschauer schaut sich eine Sendung von Anfang bis Ende an, ohne zwischendurch umzuschalten und zu gucken, was die anderen so bringen. Die Untersuchung des ZDF, die diese Zahl zutage förderte, liegt schon sechs Jahre zurück. Es ist zu vermuten, daß sich die Quote der »Durchseher« seither noch vermindert hat. Ich vermag den Umschaltern an der Fernbedienung ihr Tun nicht zu verübeln, drängen mich doch Ungeduld mit dem eben Gesehenen und die vage Hoffnung, irgendwo in meinen einunddreißig Kanälen möge sich Sehenswertes verborgen haben und auf die Entdeckung durch mich harren, selbst oft genug zum Schalten.
So verstehe ich auch sehr gut, warum mich Kollegen aus den westlichen Bundesländern immer wieder fragen, warum ich eigentlich von »Fernsehkunst« rede; dieser flimmernde Bildschirm habe doch mit Kunst nun wirklich nichts zu tun. »Richtig«, antworte ich dann, »so ist es. Aber muß es so sein?« Was mir dann nachsichtige Blicke aus der nüchtern wer-
tenden Kollegenschar einbringt, die besagen: »Warte nur, bald resignierst du auch!« Was ich nun meinerseits nicht will, weshalb ich auch im Fernsehprogramm immer mal wieder nach Kunst zappe. Meist freilich vergebens.
Aber dann geschieht doch mal ein Wunder. Wie am vergangenen Samstag, als ich schon angesichts von Folklore, Krimi, Hochzeitsshow, Kelly Family und DDR-Uraltserie »Zur See« (schon tausendmal darüber geschrieben!) mich mit dem berühmt-berüchtigten »guten Buch« in die Schmollecke der Fernsehverweigerer setzen wollte. Da entdeckte ich bei 3sat »Die Zauberflöte«. Also ehrlich, ich mag Oper im Fernsehen nicht. Ihr fehlt dort die »Aura«, der besondere Zauber, der von der Theaterdarbietung ausgeht. Aber schon nach wenigen Minuten hatte mich diese Aufführung in ihrem Bann und die Zahl der »Durchseher« um eine Nase vermehrt.
Die Inszenierung im Grad Theatre des Geneve stammte von Benno Besson, meinem Regieidol aus den sechziger und siebziger Jahren, am Pult saß Jeffrey Täte, und auf der wunderschön von Jean-Marc Stehle ausgestatteten Barockbühne agierte ein wahrhaft spielfreudiges und
-begabtes junges Sänger- und Darstellerensemble. Und da war auch schon die Distanz zum Bildschirmgeschehen aufgehoben, hatten mich Mozart und Schikaneder in ihrem Bann, lauschte ich mit offenen Ohren der Musik und folgte mit großen, weit aufgerissenen Kinderaugen dem Märchengeschehen auf der Bühne. Wie Regisseur und Ausstatter Prospekte nicht und nicht Maschinen schonten, wie sich die Bühne auf so zauberhafte Weise verwandelte, daß das Theaterpublikum mehrfach in spontanen Beifall ausbrach; wie Bßsson sich die Bühnengestalten vornahm und ihnen einen sozialen Gestus gab, der adäquates Bühnenhandeln geradezu zwingend machte - das war Theater vom Schönsten!
Das alte Volksschauspiel erschloß sich neu: Jerry Haley war ein tapferer und empfindsamer goldener Märchenprinz, Barbara Bonney eine sinnliche Pamina, die im Duett mit Petteri Salomaa als Mischwesen Papageno die Frage der Geschlechteridentität sehr anschaulich klärte (»Du Tarzan, ich Jane«). Der Orden der »Eingeweihten« entpuppte sich als moderne Managerakademie, in der Tamino für seine Rolle als Führungskraft trainiert wird, und Sarastro (Hans Tschammer) und seine Priester tragen das geistliche Habit lässig über dem dunklen Anzug der gesellschaftlichen Leistungsträger. Bessons Inszenierung stammte aus dem Jahre 1987. Aber Kunst hat kein Alter und überbrückt sogar die Fernsehdistanz.
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