Dieser Text ist Teil des nd-Archivs seit 1946.

Um die Inhalte, die in den Jahrgängen bis 2001 als gedrucktes Papier vorliegen, in eine digitalisierte Fassung zu übertragen, wurde eine automatische Text- und Layouterkennung eingesetzt. Je älter das Original, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass der automatische Erkennvorgang bei einzelnen Wörtern oder Absätzen auf Probleme stößt.

Es kann also vereinzelt vorkommen, dass Texte fehlerhaft sind.

ma Der Eier-Skandal von Neubukow

Protest gegen Projekt zur Hühner-Qualhaltung Von Walter Fritzsche, Rostock

  • Lesedauer: 3 Min.

Was in den alten Bundesländern heute kaum noch möglich wäre, aber Mecklenburg-Vorpommern aufgeschwatzt werden soll, bringt im Norden immer mehr Leute in Rage: der Plan, ein teures Tiergefängnis zu bauen, in dem 800 000 Legehennen in viel zu engen Käfigen jährlich 200 Millionen Eier legen sollen.

Das gigantische Unternehmen in Panzow bei Neubukow hat keineswegs allein die Tierschützer Mecklenburg-Vorpommerns zu energischen Protesten herausgefordert, die vom Bundestag in der Tierschutznovelle das Verbot der Käfighaltung nach dem Beispiel der Schweiz und Schwedens verlangen.

Den Widerstand gegen das Projektmonster tragen auch viele Dorfbewohner des betroffenen Gebietes, die schwerwiegende Probleme der Tierhygiene, der Bodenbelastung, der Fäkalienbeseitigung und der Luftverpestung auf sich zukommen sehen. So manch kleiner Hühnerhalter, der eine existenzvernichtende Eierschwemme befürchtet, hat sich der gro-ßen Schar protestierender Bürger angeschlossen. Flankenschutz finden diese bei international bekannten Tiergesundheitsforschern der Universität Rostock wie Prof. Dr Wolfgang Methling, die Alternativprojekte einer ökologisch vertretbaren Teilintensivhaltung entwickelten

und in der Praxis wissenschaftlich begleiten. Die Gegner des Eierskandals von Neubukow wissen auch die Mecklenburger Bundestagsabgeordnete Dr Christine Lucyga (SPD) an ihrer Seite. Sie hatte in Rostock auf dem ersten gemeinsamen Forum von Tierschützern Mecklenburg-Vorpommerns für ein verbessertes deutsches Tierschutzgesetz dafür plädiert, in der Gesetzgebung die Schlupflöcher für großangelegte Fortführung der Massentierquälerei in Käfigbatterien, bei Lebendviehtransporten und anderswo endlich zu stopfen und den öffentlichen Druck dafür wesentlich zu verstärken.

Der zu diesem Forum eingeladene, aber ferngebliebene Ministerpräsident Dr Berndt Seite hatte zuvor in der »Ostsee-Zeitung« zu Neubukow beschwichtigend erklärt: »Solange Rechtsvorschriften eingehalten werden und eine Beaufsichtigung gegeben ist, gibt es keine rechtliche Handhabe gegen derartige Vorhaben.« Die damit verbundene unvertretbare Tierquälerei blieb für den früheren Tierarzt Seite nebensächlich.

Eingepfercht sind in einem solchen Legekäfig auf schrägen Drahtgitterböden jeweils vier Hennen in einer Enge, in der jede weniger Lebensraum hat, als ein normaler Briefbogen groß ist. Die Legehennen, die weder mit den Flügeln schlagen noch scharren können, wehren sich dagegen mit Aggressivität, sie leiden unter Atemnot und geschwollenen Fußballen. Und das ist mit der Preis für das sogenannte Billig-Ei mit Rückständen von Medikamenten, die beim Konsumenten

gesundheitsschädliche Nachwirkungen haben können.

Zu dem sogenannten Erörterungstermin im Dezember, wichtig für die letzte Entscheidung im bereits laufenden Genehmigungsverfahren, sind die Vertreter der Bürgerinitiative gegen das Eierprojekt gar nicht erst eingeladen worden. Deren Mitglieder Thomas Kross aus Neubukow und Ralf-Peter Harms aus dem benachbarten Westenbrügge verwiesen beim Tierschutzforum des Deutschen Tierschutzbundes auch darauf, daß sich die künftigen Bauherren wohl absichtlich im Dickicht verworrener Eigentums- und Verflechtungsgebilde tarnen. Wer sich dahinter verbirgt, sei nur der Landesregierung bekannt, vermuten die Bürgerkomitee-Vertreter. Daß die örtliche Volksvertretung von Neubukow diesem Projekt unter dem Lockmittel der Arbeitsplatzbeschaffung einst ihre Zustimmung gegeben habe, könne nur noch mit damaliger Unkenntnis verheerender Auswirkungen in der Belastung von Mensch und Tier erklärt werden.

In dieser Region, wo nach der Wende Eierfabriken ähnlicher Intensivhaltung abgerissen wurden, haben Investoren schon einmal enorme Summen für Altlastensanierung abkassiert. Nun hoffen sie offensichtlich auf neuen Goldregen aus Steuertöpfen. Sie spekulieren auf Investitionszulagen für ein paar Arbeitsplätze, die vorher plattgemacht wurden, argwöhnen die Einwohner Sie allerdings befürchten, daß die geplante Eierflut aus der Qualhaltung im Norden mehr Arbeitsplätze und Existenzen vernichtet, als der ausgeworfene Köder für ethisch überholte, aber dafür um so gewinnträchtigere Legehennen-Gefängnishaltung verspricht. Daß immer mehr Einwohner über ihre Dorfgrenzen hinaus und dabei auch an die gepeinigten Hennen denken, vereint sie mit den konsequent handelnden Tierschützern, die jetzt überall Alarm schlagen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.