»Wenigstens die Kinder protestieren«
Atommüll In den brandenburgischen Eibdörfern war Castor kaum ein Thema - dabei liegt das potentielle »Atomklo« direkt unter ihnen Von Robby Kupfer
Probebohrung für das Atommüll-Zwischenlager unter Wootz
Foto: Rainer Raeder
Wootz ist idyllisch. Zwischen uralten Bäumen schlängelt sich die wenig befahrene Straße durchs Dorf. Reetgedecktes Fachwerk wechselt mit neuen Einfamilienhäusern, der Kindergarten »Jumbo« schickt seine Wiesen fast bis zum Deich. Zum Eibdeich, der hier, kurz vor der brandenburgischmecklenburgischen Landesgrenze, den Strom am Einbruch in die scheinbar ungestörte Idylle der alten »Sachsendörfer« Wootz, Kietz, Mödlich, Besandten und Unbesandten hindert.
Oben auf dem Damm baut Hans W zusammen mit fünf Frauen seines ABM-Trupps an einem Rastplatz für Wanderer, die sich in zunehmender Zahl für die Eiblandschaft interessieren. »Das ist doch die einzige Chance für diese Region - Tourismus in einer Gegend, die durch die Grenze völlig unberührt geblieben ist«, sagt Hans W. Dann blickt er zum niedersächsischen Eibufer hinüber. »Da drüben ist Gorleben. Genauer gesagt der Eingang des atomaren Zwischenlagers. Der Salzstock, der das eigentliche Hauptlager werden soll, liegt genau unter uns, unter Wootz. Wenn sich das rumspricht, ist es, zumindest, absolut rufschädigend.«
Hans W., der seinen vollen Namen nicht nennen will, weil er Schwierigkeiten mit seinem Arbeitgeber befürchtet, weiß, wovon er spricht. Bis 1991 arbeitete er als Chemiker im Zellwolle-Werk Wittenberge. Der 54jährige kennt die geologische Struktur der Gegend. Er führt uns
ND-Karte: Wolfgang Wegener
zu einer frisch gerodeten Stelle am Ortsrand von Wootz. Zwei versiegelte Metalldeckel sind dort zu sehen - unauffällige Spuren von zwei der 26 Probebohrungen, die hier im vorigen Jahr im Auftrag des »Erkundungsbergwerks Gorleben« in den Boden getrieben wurden. »Aber fünf Jahre vorher, gleich nach der Wende, haben die schon klammheimlich den Stollen unter der Elbe vorangetrieben und sind dabei 460 Meter unter Wootz auf eine riesige, natürliche Höhle gestoßen, mit einer Mächtigkeit von 100 und mehr Metern Salz drüber.«
Die Pfarrer der evangelischen Gemeinden Lenzen und Eidenburg bestätigen die Aussagen des Chemikers. Ihre Pfarrgemeinden waren es, die sich gegen weitere Probebohrungen und mithin gegen die »Tauglichkeitsüberprüfung« des Landstrichs als atomares Endlager wandten. Johannes Reuschel, Pfarrer in Len-
zen, erinnert sich: »Ursprünglich sollte 1995 mit den Bohrungen begonnen werden. Da jedoch auch Kirchenland betroffen war, haben wir den Bohrtrupps den Zutritt verweigert. Doch die kamen 1996 mit einem behördlich durchgedrückten Beschleunigungsverfahren wieder, das unsere Mitbestimmung aushebelte.«
Reuschel bestätigt, daß der in Frage kommende Salzstock bis zum elbabgewandten Stadtrand von Lenzen, bis weit über 10 Kilometer jenseits von Gorleben reicht. »Die Bohrungen brachten den Nachweis, daß die unterirdischen Wasserströmungen von West nach Ost gehen. Sollte also irgendwann in den Salzstock Gorleben Atommüll eingelagert werden, wären wir bei einem Unfall selbst dann direkt betroffen, wenn man den strahlenden Abfall nicht direkt unter uns abladen würde.«
Der Betreiber des 250 Millionen Mark teuren Zwischenlagers ist an einer Diskussion über genaue Endlagerpläne wenig interessiert. Letztlich haben aber die Bewohner der betroffenen brandenbur-
gischen Dörfer selbst bisher wenig getan, um auf ihren potentiellen »Atom-Klo-Status« hinzuweisen. Im Gegenteil, an den Tagen, an denen Hubschrauberstäffeln des Bundesgrenzschutzes nicht nur Quickborn und Gorleben, sondern auch Wootz und Kietz in ohrenbetäubenden Lärm stürzen, ist wenig öffentlicher Protest sichtbar
Einzige, aber deutliche Ausnahme: ein knappes Dutzend Wootzer Schulkinder, die ihre eigene friedliche Straßenblockade auf der Dorfstraße beinahe ebenso hartnäckig durchziehen wie auf der anderen Seite der Elbe die 15 000 Castor-Gegner. Immer wieder halten sie Autos auf, drücken den Fahrern selbstgemalte »Stoppt den Castor«-Zettel in die Hand und nehmen als Reaktion mindestens ebenso oft ein drängelndes Hupen wie ein freundliches Lächeln in Kauf. Die 12jährige Wiebke Muchow, die 14jährige Dajana Finck und auch die erst 10jährige Susanne Lehmann sind sich einig: »Wir stehen mit unseren Freunden jetzt seit drei Tagen jeden Nachmittag hier, weil es doch um unsere Zukunft geht. Wir wollen nicht, daß dieser Mist nach Gorleben kommt und irgendwann direkt unter uns lagert. Kein Erwachsener hat uns dazu angestiftet. Das ist unser Ding.«
Meike Schulze, deren neues Einfamilienhaus in Sichtweite der protestierenden Mädchen liegt, teilt deren Meinung: »Sicherlich sind wir in Sorge wegen des Atommülls. Schließlich weiß doch keiner, wie sicher das alles ist. Aber die Leute hier drückt viel mehr die blanke Existenznot. Die Arbeitslosigkeit in der Ge-
gend liegt bei 25 Prozent, der Rest macht ABM. Jeder ist mit seinen Ängsten allein, kaum einer macht den Mund auf. Da muß man doch froh sein, wenn die Kinder wenigstens den Mut haben, sich auf die Stra-ße zu stellen.« Die junge Frau, zu DDR-Zeiten wie fast alle hier bei der Vorzeige-LPG »Die Wische«, hat - eine Ausnahme - wieder Arbeit gefunden. Bei Bauer Mertens, einem Wiedereinrichter und bekennenden Castor-Gegner. Mertens war mit seinem Sohn Christoph, der frische Handzettel zu den Mädchen bringt, bei der Stunk-Parade der wendländischen Bauern dabei, als einziger aus Wootz.
Am sonnendurchfluteten Nachmittag, kurz bevor der Castortransport Gorleben erreicht, sind viele Wootzer, ausgerüstet mit Ferngläsern, auf dem Deich. »Geschieht den Chaoten recht, wenn sie von der Polizei eins auf die Mütze kriegen«, kommentiert ein bierbäuchiger Trainingshosen-Träger den über die Elbe flutenden Schlachtenlärm. Einige Umstehende nicken: »Irgendwo muß das Zeug doch hin, und Strom wollen ja auch alle haben«. Eine ältere Wootzerin hofft: »Das wird schon sicher sein mit den Containern drumherum«. Frau Lehmann, deren Tochter zu den ausdauerndsten Flugblattverteilerinnen gehörte, kommentiert lakonisch: »Die haben schon zu DDR-Zeiten alles geglaubt, was man ihnen erzählte«. Ihr Mann ergänzt, angesichts der nächsten Hubschrauberstaffel Richtung Gorleben: »Wir wohnen ja nur wenige Meter hinterm Deich, haben nachts die Lagerfeuer der Castor-Gegner gesehen und ihre Lieder gehört. Es ist beschämend, wenn sich diese Leute auch für uns auf die Straße setzen und dann so wenig Verständnis dafür ernten. Und ab Mai sind ja wieder neue Probebohrungen in unseren Dörfern geplant. Wer wird dagegen protestieren? Vielleicht braucht der Widerstand bei uns auch 20 Jahre wie drüben im Wendland. Die haben ja auch klein angefangen.« Die zehnjährige Tochter möchte so lange allerdings nicht mehr warten: »Beim nächsten Castortransport sind wir drüben mit dabei, stimmt's, Mutti?«
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