- Politik
- Buchpremiere: Die VVN in der DDR
Kritische Sicht auf ein kurzes Leben
Sechs Jahre ist sie alt geworden, die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (WN) in der damaligen sowjetischen Besatzungszone und der dann gegründeten DDR. Fast sechs Jahre genau nach dem Gründungskongreß im Februar 1947 wurde Anfang Februar 1953 »durch den engsten Kreis der SED-Führung die sofortige Auflösung der WN in der DDR und in Berlin angewiesen«. So zu lesen im Vorwort des jetzt bei der Edition Ost erschienenen Veröffentlichung »Das kurze Leben der WN von 1947 bis 1953. Die Geschichte der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes in der sowjetischen Besatzungszone und in der DDR«. Ein etwas lang geratener Titel, notwendig aber im Hinblick auf die auch in der Alt-BRD vor 50 Jahren gegründete und noch bestehende WN.
Angeregt wurde dieses Buch vom Interessenverband ehemaliger Teilnehmer am antifaschistischen Widerstand, Verfolgter des Naziregimes und Hinterbliebener (IWdN). Nicht ohne Sinn wurde es in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand der Öffentlichkeit vorgestellt. Damit liegt aus ostdeutscher Sicht die erste umfassende und allen wissenschaftlichen Maßstäben genügende Untersuchung dieses nicht sehr ruhmvollen Endes einer Organisation vor, deren Mitglieder sich Ruhm im besten Sinne des Wortes erworben haben. Eine Darstellung, die, wie die Autoren bei der Vorstellung des Buches auf ND-Nachfrage betonten, »nicht bei erster bester Aktenlage umgeschrieben werden muß«.
Das Buch stelle nicht die offizielle Sicht des IWdN dar, betonte deren Vorsitzen-
der Fred Dellheim im ND-Gespräch. »Wissenschaftler sollten das Wort haben. Die Archive und die noch lebenden Zeitzeugen. Unser Anliegen war, soweit das mit dem großen Abstand möglich ist, die Wahrheit über jenen Zeitabschnitt darzustellen und damit auch den Versuch zu unternehmen, unseren antifaschistischen Kameraden Genugtuung zu verschaffen, die damals Unrecht erlitten haben, Repressalien ausgesetzt waren. Rechtsnachfolger der WN von damals zu sein, hat nicht nur eine materielle, hat für uns zuallererst eine ideelle Seite.« Der Leser wird mit einer Fülle von Dokumenten und Erinnerungen von Zeitzeugen konfrontiert, die ihn, nach dem
hoffnungsvollen Beginn einer breiten antifaschistischen Organisation, erst die Einengung des Widerstandes ausschließlich auf Kommunisten, dann die zunehmende Ausgrenzung bis hin zur Diskriminierung aufrechter Antifaschisten erleben lassen. Nachgegangen wird der Frage, was die SED-Führung, selbst aus gestandenen Antifaschisten bestehend, in diesen Jahren bewogen hat, von ihren Zielen soweit abzurücken. Und: Warum haben die durch KZ und Zuchthäuser gegangenen Männer und Frauen sich nicht erkennbar zur Wehr gesetzt gegen das, was geschehen ist »in den dunklen Kapiteln der Parteigeschichte der SED zwischen 1948 und 1953«?
Die Autoren haben in monatelangen Recherchen staatliche und private Archive durchforstet, um Antworten auf diese und andere Fragen zu finden. Viele bislang unbekannte Akten wurden aufgefunden (im Anhang ausgewiesen; nebst Kurzbiographien von Mitgliedern, deren Leitungsgremien und des Komitees der antifaschistischen Widerstandskämpfer, das ab 1953 die Betreuung der Opfer des Faschismus und die internationale Repräsentanz übernahm). Da die Autoren aus Erfahrungen jüngster Zeit wissen, daß Geschichte nicht allein nach »Aktenlage« zu schreiben ist; Zeitzeugenaussagen werden einbezogen, um der Wahrheit so nahe wie möglich zu kommen.
Kein Zweifel: Das Buch wird manchen schmerzen, Wunden aufreißen, Widerspruch auslösen. Es wird jüngere antifaschistisch engagierte Zeitgenossen harte Fragen an die Älteren stellen lassen. Das trifft sich mit dem Wunsch des IWdN. »Uns war klar«, schreibt Fred Dellheim im Vorwort, »daß wir mit dieser Arbeit inhaltliche Fragen des Antifaschismus und des Selbstverständnisses von Antifaschisten berühren, aber die Publikation kann und soll nicht den Antifaschismus darstellen und schon gar nicht Begriffsdefinitionen anstreben.«
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.