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  • Politik
  • Jurek Becker - Der Geschichtenfänger, er Geschichte erzählte

Seine Zweifel, sein Humor werden fehlen

  • Lesedauer: 5 Min.

Von Christel Berger

Seine Vorträge und Aufsätze der letzten Jahre, gesammelt im Band »Ende des Größenwahns« (Suhrkamp 1996) nannte ich in einem Artikel im Neuen Deutschland »beinahe weise«. Weil sie unaufgeregt, nie eifernd Entwicklungen und Zustände jüngster Vergangenheit und Gegenwart betrachteten, ohne Ost-Nostalgie und kritisch waren, aber nicht ohne menschliches Verständnis gegenüber Angepaßtheit der vielen, die nicht nur östlich der deutschen Mauer beheimatet waren und sind. Weise empfand ich seine Art, inmitten des Geschehens mit der Distanz der Erfahrung, was ein einzelner bewirken kann, eine unübliche Meinung klar zu formulieren. Das »beinahe« war ein Zusatz, das vor allem dem Alter des Autors geschuldet war: Ende fünfzig - da begann Fontane, Romane zu schreiben, da ist das Eigentliche noch zu erwarten, da stirbt man nicht...

Jurek Becker wird fehlen, denn seine Qualitäten, Fähigkeiten und Erfahrungen braucht Deutschland gerade jetzt. Er wußte aus eigenem Kindheitserleben und durch seinen Vater, was Überleben des Holocaust bedeutet. Er machte diese Erfahrung zu Parabeln menschlicher Hoffnung, Gefährdung und Verwüstung. Kein noch so gründlicher Wissenschaftler wird leisten können, was diesem Schriftsteller mit Figuren und Schicksalen wie denen von Jakob Heym (»Jakob der Lügner« 1969), Aron Blank (»Der Boxer«, 1976) oder Vater Bronstein (»Bronsteins Kinder«, 1986) gelang: Zu beschreiben, was es hieß und heißt, im Deutschland des zwanzigsten Jahrhundert als Jude gelebt zu haben. (Daß Jurek Becker zeit seines Lebens die Festlegung, Jude zu sein, für sich nur in Reaktion auf den Antisemit-'

tismus annahm, ist für mich ein Beweis von individueller Stärke und Eigenständigkeit. Ganz wenige Menschen seiner Erfahrung haben sich so entschieden).

Er kannte das Leben in Deutschland-Ost und Deutschland-West, die Wirkung der ideologischen Brille gegenüber Kunst hier und der Gesetze des Marktes da. Er konnte beides nicht ändern, aber er zeigte, was hie wie da Zivilcourage ist. Als seine Bücher in der DDR nicht erscheinen sollten und es Querelen um den Film »Das Versteck« gab, ging er 1977 dorthin, wo er gedruckt wurde, ohne zu verschweigen, Sozialist zu sein. Als er großen Erfolg im Fernsehen der Bundesrepublik hatte und auch da erlebte, daß bestimmte Themen und Repliken - nun aus Gründen des »Unterhaltungswertes« - gestrichen wurden, zog er sich wieder für einige Zeit in die Welt des Prosaschreibens zurück.

Auch wenn ihm nicht alles gelang und auch er Lehrgeld bezahlen mußte (die Drehbücher zu den DEFA-Filmen »Ohne Paß in fremden Betten«, 1966, oder »Jungfer, sie gefällt mir«, 1969, werden von den ihn rühmenden Nachrufern verschwiegen, auch manches später Geschriebene wird der Vergessenheit anheimfallen) - doch: Dialoge schreiben und erzählen, das konnte er! Was in seinem Fall heißt, nicht bloß im Finden des einzig richtigen Wortes perfekt zu sein, sondern vor allem Sinn für Geschichten zu haben. Er war ein »Geschichtenfänger«.

Jakob Heym, das war ohne Jurek Bekker ein Jude, der verbotenerweise im Ghetto ein Radio besaß und damit Nachrichten, die er den Freunden weitergab. Als die Gestapo dahinterkam, wurde er erschossen. Einer von vielen Helden, über die in der DDR nach 1945 so viel geschrieben wurde, daß mancher Leser oder Kinogänger dieser Vorbilder überdrüssig'wurbie. Jurek Becker machte aus

Jakob den Lügner, den eher schwachen, ängstlichen Menschen, der Nachrichten erfand und damit den Lebensmut anderer stärkte. Ein Jude, der lügt und schwach ist, das war damals ungewöhnlich, und die erste Ablehnung des Drehbuches beruhte wahrscheinlich auf verfestigten Vorstellungen vom antifaschistischen Helden. Jurek Becker war dieser Stoff so wichtig, daß er das Drehbuch in einen Roman verwandelte (Aufbau Verlag 1969), der in der Fachwelt Aufsehen erregte und nach und nach auch viele Leser fand. 1971 erhielt der Autor dafür den Heinrich-Mann-Preis der Akademie der Künste, vier Jahre später war der zuerst abgelehnte Film fertig, es war einer der großen DEFA-Filme, der auch im Ausland bewundert wurde.

Dies wäre schon wieder eine Geschichte für Jurek Becker, die unter seiner Feder dank seiner Phantasie und seines Könnens zwar wiederzuerkennen und dennoch verwandelt worden wäre. Denn zum Erzählen gehört bei ihm auch, für die jeweilige Geschichte eine Form zu finden, in der jahrhundertealte Erzähltradition und moderne Erzähltechniken sich vermischen. Als Erzähler ist Autor Becker nicht allwissend, und vieles bleibt in der Schwebe. Es könnte so gewesen sein, aber auch anders ...

Sein Humor ist ein weiterer Grund, warum wir ihn heute so brauchen. Obwohl die gegenwärtige Welt für ihn eher schwarz als nur grau war, blieb er heiter und gelassen - verschmitzt und freundlich, aber ohne eine die Widersprüche verschmierende Sentimentalität. Das zum Beispiel unterscheidet die Fälle von »Liebling Kreuzberg« von allen ähnlich scheinenden Vorabendserien, in denen hin und wieder das gute Herz eines Kleinkriminellen oder gar Obdachlosen entdeckt wird,- Jurek Beckers Fälle- bleiben

Foto: Nikolaus Becker

trotz Menschenliebe und feinem Humor illusionslos, was die humanen Möglichkeiten dieser Gesellschaft betrifft. An allem zu zweifeln hat ihn sein Leben gelehrt, und er zweifelt mit Humor.

Seine besten Bücher - »Jakob der Lügner«, »Der Boxer« , »Irreführung der Behörden« (1973) und »Bronsteins Kinder« - hat er in der DDR geschrieben, bzw. sie handelten in diesem Land. Sein größter Erfolg - wenn man Bekanntheit als Kriterium nimmt - war »Liebling Kreuzberg«. Das ist kein Zufall und spiegelt den geistigen Zustand unserer Welt. Die Bücher leben von der Frage, ob in dieser Zeit die großen sozialen und humanen Visionen trotz furchtbarer Erfahrung verwirklichbar sind.

In der erfolgreichen Fernsehserie treffen das Können' des“ Film-Pi'öfis mit so-

zialer Genauigkeit, juristischer Kenntnis und dem Spaß an individuellen Charakteren und merkwürdigen Situationen zusammen. Der die Welt verbessern wollte, fragt jetzt vor allem nach den Lebensbedingungen und dem Glück des einzelnen, erzählt von den verschiedenen Weisen zu leben.

Zweifellos wurden Jurek Beckers Arbeiten privater, kleinteiliger, aber nicht kleinkariert. An seinem letzten Roman »Amanda herzlos« (1992) vermißte die Kritik die große Abrechnung mit der DDR und übersah, daß es um die Kritik an den täglichen Kleinigkeiten und Borniertheiten ging, die das Leben ausmachen. Das Thema DDR - wie es offizielle Vorstellung war - war Jurek Becker zu dumm und zu klein. Er blieb sich treu: Er erzählte, was ihn interessierte.

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