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b– w Letzte Schicht auf Sophia Jacoba

Bergleute hatten die Stillegung hinausgeschoben Von Manfred Lichtblau

  • Lesedauer: 3 Min.

Vor einer Woche fuhr die Nachtschicht der Sophia Jacoba ein - die letzte Schicht auf der Hückelhovener Steinkohlezeche. Eine Lore voll Kohle ließ sie am nächsten Morgen noch unten. »Oben« begann der offizielle Akt für das letzte Glückauf. Für den wurde die letzte geförderte Kohle gebraucht.

Voll festlich gekleideter Menschen war das Zechengelände der Kleinstadt Hückelhoven im Aachener Revier am letzten Donnerstag. Gebannt starrten die Kumpel, deren Frauen und Kinder auf das Rad des großen Förderturms, der noch die Lore voll Steinkohle aus der Tiefe holte. Am improvisierten Rednerpult stand Betriebsrat Franz-Josef Sonnen und sagte: »Man nimmt uns jetzt unsere Arbeit. Aber was man nicht nehmen kann, ist die Erinnerung an Sophia Jacoba.« Fünf Jahre Kampf haben die Bergleute hinter sich, fünf Jahre lang ging

es Tag für Tag um ihre Zukunft, darum, sie in neue Arbeitsplätze zu bringen oder wenigstens in Umschulungen. Fünf Jahre gewöhnte sich jeder an die Schließung der Zeche Sophia Jacoba. »Jetzt tut es weh«, sagte Sonnen. »1991 fiel das Urteil, jetzt war die Hinrichtung.« Wut erfaßte die Kumpel, als die Schließungspläne bekannt wurden. Zu Hunderten blieben die Kumpel zwei Wochen unter Tage und streikten. Und es war Verzweiflung, als sie den Aachener Dom besetzten, und Ohnmacht, als sie den Kampf verloren hatten. Aber sie hatten Zeit gewonnen, das Ende für die Zeche wurde bis 1997 hinausgeschoben. Heute sind die meisten von damals 3844 Bergleuten versorgt irgendwie. Auch Hückelhoven, die Stadt mit 35 000 Einwohnern, gibt es noch, wenn auch mit verdoppelter Arbeitslosigkeitsquote von 14 Prozent. »Die ganz große Katastrophe ist ausgeblieben«, sagt Bürgermeister Oskar Ramöller. Noch steht das Bergwerk, dessen Fläche schon verplant ist. Aus der Zeche entstanden in fünf Jahren kleine Firmen: ein Wachdienst, Kanalsanierung, EDV-Firmen. »Die eine große Ansiedlung ist nicht ge-

lungen«, erklärt Bürgermeister Ramöller »Aber 100 Firmen mit je 10 Arbeitsplätzen sind mir auch lieber als eine mit tausend.« Fünf Jahre hatten Geschäftsführung und Betriebsrat Zeit, die Männer zu vermitteln. Sie gründeten große Kommissionen und kleine Firmen, schrieben Sammelbewerbungen und sammelten Angebote. »Viele haben gedacht, fünf Jahre sind endlos, vier Jahre, drei Jahre«, meint Betriebsratschef Sonnen. »Wir machten Aushänge, aber keiner reagierte. Da haben wir sie den Ehefrauen nach Hause geschickt. Nach zwei Tagen waren dann endlich 40 Männer da.« Fast 1000 Kumpel gingen in Rente oder in den Vorruhestand. 600 andere kündigten von sich aus. Hunderte befinden sich in Umschulungen, Hunderte gingen zur RWE-Tochter Rheinbraun oder zur Ruhrkohle. Plötzlich war das ganze Jahrfünft abgelaufen. Hektik zog ein: 235 Männer gelten als nicht versorgt. »In den letzten Wochen kamen immer noch welche und fragten: Meinst du nicht, es geht doch weiter?«, erzählt der Betriebsratschef. Und auch am unwiderruflich letzten Tag sagt ein Bergmann: »Das kann es nicht gewesen sein. Dieses Bergwerk, das hat doch kein Manager gebaut, das haben doch wir gebaut.« 900 Jahre ist in Hükkelhoven auf Sophia Jacoba Steinkohle gefördert worden. Das Aachener Revier gibt es nun nicht mehr Geblieben ist die Lehre, wie kurz fünfeinhalb Jahre sind, um die Bergleute zu vermitteln. Die Zeit von 1997 bis 2005, die des aktuellen Kohlekompromisses, ist nicht viel länger

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