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  • Politik
  • Generalplan Ost - Himmlers Siedlungspolitik für ein Großreich

Die »unerwünschten« Slawen

  • Lesedauer: 3 Min.

Von Klaus Jaschinski

Kaum sechs Monate nach der Wannsee-Konferenz, auf der die Ermordung von elf Millionen jüdischen Bürgern beschlossen worden war, schickte sich die Nazi-Führung in Berlin an, ein weiteres perfides Vorhaben in die Tat umzusetzen - den Generalplan Ost. Als Plan zur »Dezimierung der slawischen Bevölkerung um 30 Millionen« wurde er am 12. Juni 1942 vom »Reichsführer SS« Heinrich Himmler in seiner Eigenschaft als Reichskommissar für die Festigung des Deutschen Volkstums (RKF) bestätigt. Nach dem »Erlaß des Führers und Reichskanzlers über die Verwaltung der besetzten polnischen Gebiete« vom 12. Oktober 1939 bildete der Generalplan Ost das nächste zentrale richtungsweisende Dokument zur Schaffung eines faschisti-

schen Großreiches. Erarbeitet wurde er Ende 1941 nach den Weisungen Hitlers von verschiedenen Naziinstanzen. Das Rassenpolitische Amt der NSDAP, das Rassen- und Siedlungshauptamt im Reichssicherheitshauptamt der SS und die Abteilung Siedlung im Rosenbergschen Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete fungierten als Hauptakteure, wobei insbesondere das Referat III B im Reichssicherheitshauptamt die eigentliche Urheberschaft beanspruchte. Innerhalb von zehn Jahren sollten vier Millionen Deutsche im Osten angesiedelt werden, mindestens zehn Millionen innerhalb von 20 Jahren. Dafür vorgesehen waren besetzte Gebiete in Polen, den baltischen Ländern, in Weißrußland und in Regionen bei Shitomir, Kamenez-Podolski, Winniza und Leningrad sowie auf der Krim und in Teilen des Dnjeprbogens. Nach Schätzungen lebten dort rund 45

Millionen Menschen, von denen 31 Millionen als »rassisch unerwünscht« eingestuft wurden. Sie sollten hinter den Ural »umgesiedelt« werden. Der »Rest«, etwa 14 Millionen Menschen, wurde als »eindeutschungsfähig« betrachtet- und sollte »assimiliert« werden. 80 bis 85 Prozent der Bevölkerung Polens, 64 Prozent der Bevölkerung der Westukraine und 75 Prozent der Bevölkerung Weißrußlands wollte man danach aus angestammten Siedlungsgebieten vertreiben. Ersten Kalkulationen zufolge beliefen sich die Kosten für die hier geplante Vertreibung und Neuansiedlung auf ca. 45,7 Milliarden Reichsmark. Finanziert werden sollte das Ganze u.a. mittels Sondersteuern aus den besetzten Ländern.

Vor allem auf Himmlers Drängen hin wurden in den Folgemonaten noch Ergänzungen und Veränderungen vorgenommen, die sogar zu einer Umbenen-

nung führten. Ende 1942 wurde aus dem Generalplan Ost schließlich der »Generalsiedlungsplan«. Das verbrecherische Wesen blieb dabei aber ebenso evident wie die Tatsache, daß er praktisch kaum realisiert werden konnten. Allein schon die Millionen deutschen oder germanischen Siedler aufzutreiben, die im Osten unter der Obhut der SS leben und arbeiten sollten, bereitete Himmler größte Schwierigkeiten. Letztlich verfiel man auf drei Hauptgruppen, aus denen man künftige »Ostland-Siedler« rekrutieren wollte: 1.) Deutsche aus dem »Altreich«, hauptsächlich Kriegsveteranen, die nach dem siegreichen Ende des Krieges für den Osten begeistert werden sollten, sowie »Volksdeutsche« aus Rumänien, Ungarn, Jugoslawien und dem übrigen Europa; für die Südtiroler, die nach einer Vereinbarung zwischen Hitler und Mussolini Bozen und Meran verlassen sollten, hatte man die Krim als neues Siedlungsgebiet ins Auge gefaßt. 2.) Niederländer und Flamen, die aus den städtischen Ballungsgebieten des Westens herausgelöst und im Osten untergebracht werden sollten. Man rechnete damit, etwa fünf Millionen Niederländer als Bauern gen Osten zu

schicken. 3.) Jene Balten, Russen, Ukrainer und Tschechen, die man zu »germanisieren« gedachte, also Menschen »nordischer, westischer oder dinarischer Rassenzugehörigkeit« und »Mischlinge zwischen diesen Rassengruppen«.

Nach der Niederlage bei Stalingrad und der Proklamierung des »Totalen Krieges« ordnete Hitler an, bis auf weiteres jede Planung von Nachkriegsprojekten einzustellen. Einige Naziinstitutionen hinderte das jedoch nicht daran, weiter nach den angedachten Vorgaben zu verfahren. So führte das Rasse- und Siedlungshauptamt der SS faktisch bis zum Kriegsende an Kindern aus den besetzten Ländern »rassebiologische« Untersuchungen durch, um »wertvollen« Nachwuchs zu gewinnen. Dafür tauglich befundene Kinder wurden ihren Eltern entrissen und auf deutsche Familien verteilt oder zur »Aufzucht« an Lebensborn überstellt.

Der Generalplan Ost und der »Generalsiedlungsplan« entstanden auf dem Höhepunkt des Massenmordens in Osteuropa und dokumentieren, daß es außer der »Endlösung« weitere perfide Vorhaben gab.

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