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- »Wartenberg im Rampenlicht« - das Heimatmuseum Berlin-Hohenschönhausen zeigt Bitterfelder Wege übers Land »Unsere Menschen bücken sich
nicht mehr«
ND-Foto: Burkhard Lange
»Dorffestspiele in Wartenberg« von Ronald Paris, 1961
Die DDR ist ein Part der Museen geworden. Während sie in den großen Häusern derzeit eher didaktisch vorgeführt als verstanden wird (was ein Licht auf die Kultur des Einigungsprozesses wirft), scheint sie vor allem in kleineren Etablissements der Beitrittsländer neu zu erstehen. Wohlbemerkt: Neu, nicht wiederzuerstehen. Denn ein diffe.renzierter Blick, der verschiedene Menschen, verschiedene Sichten, unterschiedlich gelebte Leben einbezieht und gelten läßt, das war die Sache der DDR nicht.
Tatsächlich sind es Heimatmuseen, Heimatstuben und regionalgeschichtliche Projekte, die im Augenblick den wohl ernsthaftesten Versuch unternehmen, den historischen Fakt DDR zu verstehen. Gerade weil ihr Ansatz nicht Ideologie ist, sondern von »unten« kommt: Sie gehen vom »Material vor Ort« aus und setzen daraus ein Bild zusammen, nicht umgekehrt. Der Zwang dazu ist schlicht durch Nähe gegeben: Da die Akteure der Geschichte - oder ihre Kinder und Enkel - oft noch immer am Ort leben, wird alles an Erfahrung geprüft, man muß sich noch ins Gesicht blicken können. Und weil Städte und Dörfer der DDR keine Enklaven gewesen sind, entsteht in den lokalen Projekten vielfach mehr als Lokalgeschichte - ein wahrhaftiges DDR-Bild.
In Piesteritz schreibt das Historikerehepaar Panzig mit arbeitslosen Frauen »Erzählte Alltagsgeschichte«, und im Heimatmuseum Berlin-Hohenschönhausen steht seit dem 24. April »Wartenberg im Rampenlicht«. Schon der Untertitel -»Bitterfelder Wege übers Land« - deutet an, daß die Exposition weit über Regionales hinausgeht. »Bei unserer letzten Ausstellung, die wir zum 50. Jahrestag der Befreiung gestaltet hatten«, erzählt die 36jährige Museumsleiterin Bärbel Rüben, »sind wir auf eine Frau gestoßen, die die kulturelle Entwicklung Wartenbergs maßgeblich mitbestimmte: Lisel Jacoby. Sie hat das Bauerntheater mitbegründet, das hat uns interessiert.«
Wartenberg, in den sechziger Jahren. Damalige Studenten der Theaterwissenschaften erinnern sich, daß sie, noch bevor sie die ersten Vorlesungen hörten, nach Wartenberg fuhren. Hier, im ersten vollgenossenschaftlichen Dorf Berlins, gab es ein Bauerntheater! Und was für eins! Auf dem V. Parteitag der SED (1958) hatte Walter Ulbricht die Aufgabe formuliert: »In Staat und Wirtschaft ist die Arbeiterklasse bereits der Herr Jetzt muß sie auch die Höhen der Kultur erstürmen und von ihnen Besitz ergreifen.« Diese kulturpolitische Orientierung sollte mit dem »Bitterfelder Weg« umgesetzt werden. Auf der 1. Bitterfelder Konferenz wurden die Künstler aufgefordert, in die Betriebe zu gehen und die neuen gesellschaftlichen Verhältnisse, vor allem den »neuen Menschen« darzustellen. Das Laienschaffen, die Bewegung Schreibender Arbeiter sowie Arbeitertheater, entwickelten sich. Auf der 2. Bitterfelder Konferenz (1964) wurde das Wartenberger Bauerntheater von Walter Ulbricht als beispielgebend hervorgehoben, da es zeige, »daß es prinzipiell keine Grenzen für das künstlerische Schaffen der Werktätigen gibt.«
Mit Lisel Jacoby, die schon zu den 2. Dorffestspielen im Herbst 1960 gemeinsam mit Christine Hoernicke für die Laienspielgruppe die »Chronik von Wartenberg« geschrieben und Probentagebücher geführt hatte, hielten die Historiker gleichsam den Faden in der Hand, um ein ganzes Knäuel abzuwickeln. Sollte zu-
nächst nur jenes Theater Gegenstand der Ausstellung werden, erweiterte sich bald das »Figurenensemble«, zeigten sich die Verschränkungen mit Wirtschafts- und Kulturpolitik, so daß es geboten schien, auch die Entwicklung der Wartenberger LPG sowie die Auseinandersetzung um das Wirken der Maler Ronald Paris und Horst Zickelbein einzubeziehen.
Vielleicht ist die Ausstellung im Heimatmuseum Berlin-Hohenschönhausen das Fairste, was es bislang über diese Zeit und den Bitterfelder Weg gibt. Weil erzählt und dokumentiert wird, nicht polemisiert. Was nicht heißt, daß Widersprüche verdeckt werden. Im Gegenteil, sie werden bloßgelegt. So erfährt man aus den Jacobyschen Tagebüchern von heftigen politischen Auseinandersetzungen zwischen der Autorin und einigen Laiendarstellern, die nicht damit einverstanden waren, daß der ehemalige Großbauer Arendt, ausgehend von Brechts »Aufbaulied«, im Stück mit einer Wanze verglichen wurde. »Arendt war menschlich sehr anständig. Wenn wir diese Szene bringen, kommt das ganze Dorf nicht, dann verfeinden wir uns mit ihnen...« In den Akten des Rates des Stadtbezirkes wurde über die »Vorfälle in Vorbereitung der Dorffestspiele in Wartenberg« berichtet, das Ehepaar Pohl spielte nicht mehr mit. Durch die Presse ging, daß sie die »alten Verhältnisse« zurückhaben wollten. Die Szene wurde schließlich erweitert, die Auseinandersetzung um den Großbauern Arendt mit aufgenommen. Er war 1953 in einem Schauprozeß zu mehreren Jahren Zuchthaus verurteilt, nach dem 17 Juni amnestiert worden und in den Westen gegangen. Die LPG »1. Mai«, entwickelte sich zur leistungsfähigsten der Stadt und bildete bis zur Wende den Schwerpunkt und das Zentrum der Ostberliner Landwirtschaft.
Der Bitterfelder Weg war kürzer Grenzen werden dokumentiert: Franz Fühmann, der 1961 seine Reportage »Kabelkran und Blauer Peter« veröffentlicht
hatte, schrieb 1964 in einem Brief an den Kulturminister: »Einer grünen Bank wird vorgeworfen, daß sie kein blauer Tisch sei. Immer wieder, zumal bei jeder eigenwilligen Leistung, wird nach dem Schema geschrieben: (>Wo bleibt die positive Gegengestalt, welche ...< - >Warum wird nicht das Kollektiv gezeigt, in dem ...< - >Einen solchen Einzelfall mag es wohl geben, aber für unser Leben typisch ...<) ... Immer noch wird dem Schriftsteller ein politischer Vorwurf gemacht, wenn er der ganzen Skala des menschlichen Gefühlslebens, die eben von der jubelnden Freude bis zum quälenden Schmerz reicht, von der jauchzenden Lebenslust bis zur tiefen Krise der Verzweiflung, Ausdruck verleiht...« Auch ein Hinweis auf die 1992 von Klaus Staeck organisierte »3. Bitterfelder Konferenz« findet sich. Erich Loest, der die Ehrlichkeit seiner Kunst mit sieben Jahren Bautzen bezahlen mußte, charakterisierte dort den Bitterfelder Weg als einen der Kunst und den Künstlern feindlichen »Feldweg, Holzweg, Irrweg«. Werner Heiduczek vertrat die These, daß mit dem Bitterfelder Weg sowohl die Apologetik als auch die Opposition gesetzt worden sei. Es sei programmiert gewesen, daß er seine Kinder und Väter schließlich gefressen hat. Erinnerung auch an den Maler Sieghard Pohl, den ein Leipziger Gericht 1964 wegen drei Gemälden und elf Bleistiftzeichnungen, die sich gegen menschenunwürdige Bedingungen in DDR-Gefängnissen wandten, zu vier Jahren Gefängnis verurteilt hatte. In der Urteilsbegründung wurde ihm zur Last gelegt, nicht »den Weg zu gehen, den schon die 1. Bitterfelder Konferenz wies.«
Als Studenten der Theaterwissenschaften nach Wartenberg fuhren, hatte sich Lisel Jacobys Laienspielgruppe mit Unterstützung des Maxim Gorki Theaters den Status eines Bauerntheaters bereits erspielt. Christoph Schroth, Horst Schönemann und Armin Stolper, damals Dramaturg am Deutschen Theater, arbeite-
ten mit den Wartenbergern. »Gerade durch die Arbeit in Wartenberg und durch viele freundschaftliche Verbindungen lernen wir Künstler vom Maxim Gorki Theafer die Menschen und ihre Konflikte kennen und verstehen... Und dieser enge Kontakt verhilft uns zu grö-ßeren künstlerischen Leistungen«, schrieb Christoph Schroth 1960.
Während sich Laien- und Berufskünstler bemühten, das Kulturniveau des Dorfes zu heben, notierte Lisel Jacoby: »In der heutigen Parteileitungssitzung wird die Laienspielgruppe als >Klatschzentrum< bezeichnet.« »Aus allen Ecken sucht man Belastungsmaterial gegen die Gruppe und mich.« »Wir erhalten die Urkunde als Bauerntheater, Bücher und Blumen. Die Genossenschaft hatte nicht einmal einen Blumenstrauß für uns. Kulturarbeit ist nicht nach Prozenten oder Planziffern zu bewerten...«
Daß das, was Lisel Jacoby als Affront empfand, Ausdruck eines realen Konflikts war, wurde in der Folge deutlich. Am Tage hart arbeiten zu müssen und abends Kunst machen zu wollen, war auf Dauer einfach nicht möglich. Wenn das Theater 1963 mit dem Stück »Das Geständnis«, von Armin Stolper nach einer Erzählung von Galina Nikolajewa geschrieben, gemeinsam mit dem Arbeitertheater des VEB Stern Radio noch seinen größten Erfolg erzielte, so bewies das nur ein »trotzdem«: Wieviel Freude es auch gemacht haben muß, gemeinsam auf der Bühne zu stehen. »Das Theaterspielen hat mir geholfen, frei zu sprechen, sicherer vor fremden Menschen aufzutreten«, sagt Gerhard Rothermund, einer der Schauspieler, heute.
Nach der Premiere wurde »Das Geständnis« noch 30 Mal vor rund 7000 Zuschauern in verschiedenen Städten und Dörfern der DDR gespielt. Hilmar Henne, neben Lisel Jacoby einer der engagiertesten Mimen, wurde es in dieser Zeit zuviel: »...Man sollte immer daran denken, daß wir keine Berufsschauspie-
ler sind, daß wir in unserer Freizeit Theater spielen. Das Dorftheater sollte kein Wandertheater werden.« In ihrer Rede zur 2. Bitterfelder Konferenz schrieb Lisel Jacoby »Jetzt kommen die Probleme und Sorgen. Wir sind eine sehr kleine Gruppe. Trotz aller persönlichen Aussprachen innerhalb der Genossenschaft gelingt es uns nur sehr schwer, neue Mitspieler zu gewinnen. Wir sind ja auch nur ein kleiner Betrieb mit 250 Mitgliedern, und die Arbeit auf dem Feld und im Stall ist schwer, und abends ist man müde, und Laienspiel ist eben doch auch Arbeiten, und wenn es gut sein soll, schwere Arbeit... Und wo bekommen wir passende Stücke her?« 1965 fiel im Wartenberger Theater zum letzten Mal der Vorhang. Die selbst gesetzten Maßstäbe waren zu hoch gewesen.
Weit weniger erfolgreich nach damaligem Verständnis waren die jungen Maler Ronald Paris und Horst Zickelbein in Wartenberg. Beide waren 1960 vom Kulturbund dazu angeregt worden, einige Monate in der LPG zu verbringen. Uni das Mißtrauen der Bauern zu überwinden, arbeiteten sie mit der Gemüsebaubrigade auf den Feldern, an anderen Tagen skizzierten sie Landschaft und Menschen. Schon die erste Ausstellung, die sie spontan im Gewächshaus organisierten, stieß auf heftigen Widerspruch zweier Genossen aus der Kulturabteilung der SED-Bezirksleitung. Ihr Urteil: Unsere Menschen brauchen sich nicht mehr zu bücken! Wo sind .die Maismusketiere? Wo sind die Kombines? Wie spiegelt sich in euren Bildern die Großfelderwirtschaft wider? »Es wurde Stimmung gemacht gegen unsere Arbeiten, die sich schnell verbreitete«, erinnert sich Paris 1996. Als er 1961 sein Triptychon »Dorffestspiele in Wartenberg« gemalt hatte, fragte die Studenterizeitschrift »forum« die Bauern: »Erkennt ihr euch wieder? Ist euer Leben von Ronald Paris realistisch empfunden und in eurem Sinne gestaltet?« Die Bauern waren der Meinung: Nein! Wie Paris sie gemalt hatte, das entsprach nicht ihrem Selbstbild. Beim nächsten Versuch von Paris, in Wartenberg zu arbeiten, schrieb Lisel Jacoby in ihr Tagebuch: »Er... will unbedingt das Melkerehepaar Eichler malen. ... Wir sind der Meinung, er sollte lieber unsere Menschen bei der Arbeit malen. Sein Triptychon >Die Dorffestspiele< ist von unseren Genossenschaftsbauern mit sehr geteilter Meinung aufgenommen worden... Auf dem Triptychon hatten alle Menschen ungefügige Köpfe und Hände, gingen zum Festtag barfuß und mit Kopftuch. Die Frauen waren darüber empört.«
Lisel Jacoby, die »Neuberin von Wartenberg«. 1899 geboren. 1923 hatte sie den Juden Fritz Jacoby geheiratet, der nur durch den Schutz der sogenannten privilegierten Mischehe der Deportation entgangen war. 1948 war sie Mitglied der SED geworden, bis 1961 hat sie als Ortsbeauftragte des Rates des Stadtbezirkes Weißensee in Wartenberg gearbeitet. 1988 verstarb sie. - Biografischer Respekt, das Einbinden in Zeit in Raum ist ein Vorzug der Ausstellung. An keiner Stelle wird denunziert. Kann sein, das hat mit Abstand zu tun. Sieben Jahre nach dem Untergang der DDR kann man vieles nüchterner sehen. »Er war steinig und schlammig, aber unser Weg«, meint Dr. Christa Sobanski, Bezirksstadträtin für Jugend und Kultur in Hohenschönhausen. »Wenn wir ihn heute nachvollziehen, dann mit Herz und Verstand und im aufrechten Gang, ohne ihn zu glorifizieren oder der Lächerlichkeit preiszugeben.«
Dies mag die Voraussetzung sein, heute - trotz Scheitern oder Verletztheit über diese Zeit zu reden. So folgten Armin Stolper, Christoph Schroth und Ronald Paris der Einladung zur Ausstellungseröffnung; Horst Zickelbein lebt auf Bornholm.
Übrigens, Ronald Paris hatte zehn Jahre vor Lisel Jacobys Tod noch einen Brief von ihr erhalten: »... nun hängt das viel umstrittene Bild im Alten Museum, und obwohl der nunmehr 80jährigen die vielen Stufen am Museum sehr schwer werden, sie hatte keine Ruhe, sie mußte hin, Wiedersehen feiern, wissen, wo ist das Bild abgeblieben, wo hat es eine Heimstatt gefunden, wie ist heute, nach 18 Jahren, meine Meinung dazu, denn mein eigenes Wissen um die >Bildende Kunst< ist auch gewachsen. Ich habe lange vor Deinem Bild gestanden, habe mich mit anderen Besuchern darüber unterhalten, und - ehrlich gesagt, heute gefällt es mir. Es ist sehr farbenfreudig und macht den Besucher dadurch froh. Ich nehme gerne so verschiedenes von meiner damaligen Kritik zurück. So, wie man dem Schriftsteller gestattet, seine Figuren nach seiner Phantasie zu gestalten, so muß man auch dem Maler die Freiheit lassen, die Menschen so zu malen wie er sie sieht und keine Fotos von ihm zu verlangen...«
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