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  • Politik
  • Tristan und Isolde im Leipziger Opernhaus von Willy Decker inszeniert

Mit Wagner zwischen Baum und Borke

  • Werner Wolf
  • Lesedauer: 5 Min.

, s »3 ., $ % §». n b .s'fj k s «j Isolde (Luana DeVol) im Disput mit ihrer Dienerin Branqäne Linda Waison) Foto: Andreas Birkiqt

Die Regisseure, zumal die Opernregisseure, haben es heutzutage schwer, denn sie haben mit ziemlich konträren Erwartungen fertigzuwerden. Inszeniert einer eine Repertoireoper in etwa so, wie sie dessen Schöpfer notiert hat, wird er von Rezensenten (vorrangig von jenen umherreisenden, die das gleiche Stück jedesmal anders vorgeführt haben möchten) der Einfallslosigkeit geziehen. Weicht er aber stark von den Vorgaben ab, sind die Proteste vor allem des heimischen Publikums programmiert. So stehen sie zwischen Baum und Borke, wie jetzt Willy Decker mit seiner Inszenierung von Richard Wagners »Tristan und Isolde« im Leipziger Opernhaus. Offensichtlich sah er sich auch von Heiner Müllers herausfordernder Bayreuth-Inszenierung bedrängt. Viele Leipziger wiederum hatten die bis in die 90er Jahre gespielte phantasievolle, in sich stimmige Inszenierung Uwe Wands in Erinnerung, deren Premierendirigent im Januar 1981 Kurt Masur war.

Mit Heiner Müllers Inszenierung berührt sich die Willy Deckers in mehrfacher Hinsicht. Sie läuft ebenfalls in einem offenen, allerdings quer gestellten Würfel (Gestaltung Wolfgang Gussmann) ab und wird in jedem Aufzug mit anderen Grundfarben großartig ausgeleuchtet. Auch die durchweg langsamen Gänge und Gesten, anders als in Wagners Spielanweisungen fixiert, berühren sich mit Müllers »Tristan«. Das wesentliche Requisit aber, nämlich der von Isolde im ersten Aufzug beschriebene »Kahn, der klein und arm an Irlands Küsten schwamm«, erweist sich nebst zwei Rudern als die wesentliche Bildidee der Inszenatoren. Bei der Erzählung Isoldes hilft er, die Vorgeschichte augenfällig zu machen. Aber auch weiterhin spielt sich das Geschehen

um ihn und vor allem in ihm ab, so, als ob alles nur ein - unerfüllt gebliebener -Traum Isoldes mit allen denkbaren Störungen und Hemmungen sei. Beim vermeintlichen Todestrank stehen Tristan und Isolde nebeneinander im Wassergefährt. Nach dem Trank voneinander abgekehrt, drehen sie sich die Rücken zu. Auch das Duett singen sie voneinander abgewandt.

Da muß es zwangsläufig im großen Liebesduett des zweiten Aufzugs ähnlich distanziert zugehen. Zunächst hantieren beide in langsamen Bewegungen um den Kahn herum mit den Rudern. Mit den Worten »0 sink' hernieder« besteigen sie gemächlich das Boot und stehen unbeweglich nebeneinander. Mit den Rudern ein Kreuz bildend. Im folgenden wird ihnen noch manches im Liegen, Stehen, Knien und Umhergehen abverlangt. Da kann sich nun jeder, dem das um den

»Tag«-Dialog (immerhin ein Drittel des Textes) gekürzte Duett noch immer zu lang ist, seine eigenen Gedanken dazu machen. Die weitgehend gestrichene Klage gegen den »tückischen Tag« erhebt Tristan dennoch auf unerwartete Weise. Nach König Markes erschütternden Fragen rennt er nämlich nicht in Melots Schwert, sondern entreißt es diesem Verräter und sticht sich damit die Augen aus. Und Isolde, die vorher bekundete, »sie folge treu und hold«, tut's ihm nach. Daß der ja um Einfälle nie verlegene Wagner nicht selber auf diese Lösung gekommen ist? Doch das stand für ihn wohl außerhalb aller Erwägungen, weil er sich den dritten Aufzug nicht mit einem geblendeten Tristan gedacht hatte und entschieden andere Vorstellungen mit der romantischen Tag-Nacht-Problematik verband. Bei Willy Decker können Tristan und Isolde gehörig um den nun in der

Mitte durchgebrochenen Kahn umherirren. Die ebenfalls durchgebrochenen Ruder dienen jetzt auch als Krücken. Damit schließlich jeder merkt, daß Liebestragödien im ersten Aufzug ans hohe Mittelalter, im zweiten an die Entstehungszeit der Oper, im dritten an die Gegenwart erinnern. So gab es schon nach dem zweiten Aufzug gehörige Buh-Rufe, die am Ende lautstark an Regisseur und Ausstatter gerichtet wurden.

Doch auch die musikalischen Leistungen wurden nicht mit ungeteiltem Beifall aufgenommen. Kräftig gefeiert wurden vor allem Luana DeVol als Isolde und Linda Watson als Brangäne. Sie besitzen beide große Stimmen und wissen sie ausdrucksstark einzusetzen. Imponierend, wie sie diese Partien erfüllen und auch in zarten Abschnitten überzeugend gestalten. Daß es auch einige Schärfen gibt, ist in einer so kraftzehrenden Partie wie der Isolde kaum verwunderlich. Dagegen mußte sich Louis Gentile als Tristan Buh-Rufe gefallen lassen. Gewiß hat er nicht so kräftiges Stimmaterial wie Luana De-Vol. Wie er aber mit seinen auch über lyrische Töne verfügenden Möglichkeiten noch mit den Herausforderungen des dritten Aufzugs fertig wird, verdient schon Anerkennung. Zu überzeugen weiß Jürgen Freier als kernig singender Kurwenal. Obwohl mit Bravo-Rufen bedacht, bleibt Fröde Olsen der Partie Markes einiges an Volumen schuldig. Weniger vermag die Darstellung zu überzeugen. Künstler wie Jürgen Freier und Martin Petzold (Hirt) bringen von Hause aus Beweglichkeit mit. Die Hauptakteure aber mischen in die von der Regie angelegte langsame Gangart manche pathetische und verlegene Geste.

Buh-Rufe, die allerdings von demonstrativen und kräftigeren Bravi gekontert wurden, mußte auch Jiri Kout quittieren. Gewiß war in früheren Leipziger »Tristan«-Aufführungen manche Steigerung intensiver zu hören, hatte manche Wendung größere Spannung. Doch von den Buh-Rufern wurde wohl überhört, wie beweglich Kout mit dem Gewandhausorchester die Sänger begleitete, welche Klangkultur (von manchen Mißgeschicklichkeiten abgesehen), welchen Reichtum an Klangfarben er erreichte. Insgesamt liegen die Vorzüge des neuen Leipziger »Tristans« im Musikalischen und ver-# 4ient»n iö fde^m Umfang *ge wprHen

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