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- Michail Scholochow - das Drama eines Autors, der nicht für die Schublade schreiben wollte ? ................................. ,????.???? .......... ?? ............. ?
Dickkopf mit Visionen
Von Willi Beitz
Seit Jahrzehnten geistert die Behauptung durch die Welt, nicht Scholochow, sondern ein anderer (Fjodor Krjukow, 1870-1920) habe das Romanepos »Der stille Don« geschrieben. 1974 versuchte Solshenizyn durch die Herausgabe einer anonymen Schrift in Paris die These zu erhärten. Doch inzwischen haben die Mutmaßungen groteske Formen angenommen: Serafimowitsch, Scholochows Schwiegervater, ja sogar der Dichter Nikolai Gumiljow werden als Autoren genannt. Um Scholochow, einen der bedeutendsten sozialistischen Schriftsteller, zu demontieren, scheint jede Idee willkommen. Dies geschieht ungeachtet der Tatsache, daß die seriöse wissenschaftliche Beschäftigung mit Leben und Werk Scholochows (G. Kjetsaa, G. Ermolaew, W Sapewalow u.a.) in den letzten Jahren nicht wenig zur Klärung offener Fragen getan hat. Der Klärungsbedarf geht natürlich nicht zuletzt auf einstige Schwierigkeiten zurück, unter realsozialistischen Verhältnissen eine reale Schriftstellerbiographie zu schreiben. Die »östliche« Scholochow-Forschung, auch die unsrige in der DDR, war nicht gerade motiviert, heiklen Fragen nachzugehen.
Bei kritischer Prüfung der heute bekannten Tatsachen wird man an einem nicht vorbeigehen können: Trotz reger Kontakte zu Stalin und den nachfolgen-
den Machthabern hat der »Dickschädel« Scholochow (wie ihn Simonow nannte) die Unabhängigkeit seines Denkens und seiner Kunst weitgehend verteidigt und bewahrt. Das heißt nicht, daß er von zeittypischen Irrtümern und Illusionen frei war. Er setzte, wie viele seiner Zeitgenossen, auf einen humanen Sozialismus (Kommunismus definierte er für sich als »konsequente Uneigennützigkeit im Handeln«), und er hoffte auf die Selbstheilungskräfte des Systems. Das verband sich mit tiefer Abneigung gegen jede Art von »Verrat«, daher der scharfe Angriff gegen die bereits gerichtlich verurteilten Dissidenten Sinjawski und Daniel im Jahre 1966. Der damalige Vorwurf Lidija Tschukowskajas, er habe damit ein wichtiges moralisches Gebot russischer Schriftsteller verletzt, Leidenden und Verfolgten zu helfen, läßt sich im konkreten Fall kaum entkräften. Doch er rückt in ein anderes Licht, wenn man weiß, daß gerade Scholochow, wie wohl kein zweiter Autor, in den Jahren der großen Hungersnot in den Dörfern (1932/33) und des Stalinschen Terrors viele Menschen gerettet und unterstützt hat, obwohl er selber aufs höchste gefährdet war. Es muß eine Szene von antiker Größe gewesen sein, als Scholochow 1937 mit zwei durch seine Intervention bei Stalin aus Haft und Folter befreiten Kommunisten in das heimatliche Wjoschenskaja zurückkehrte und die versammelte Einwohnerschaft sie empfing. Seine Verdienste hat er später mit keinem Wort erwähnt, selbst dann
nicht, als Chruschtschow in einer Rede seinen Kampf gegen »Willkür« würdigte und aus einem seiner eindringlichen Briefe an Stalin (heute nachlesbar in der Zeitschrift »Woprossy istorii« 3/1994) zitierte.
Wer heute, um manche bittere Erfahrung bereichert, die Romane Scholochows wieder liest, dem eröffnen sich neue - einst verkannte oder gemiedene -Aspekte seiner realistischen Wirklichkeitsdeutung. Der Dichter Alexander Twardowski hatte so unrecht nicht, als er im »Stillen Don« ein Werk sah, das den hohen Preis verdeutlicht, der für die Revolution zu zahlen war. »Was ist Bürgerkrieg?«, hat Scholochow im Alter seinen Sohn gefragt, und er hat selber geantwortet: Bürgerkrieg sei »deshalb so niederträchtig, weil es in ihm keinen Sieg und keine Sieger gibt.« Und weiter: »Wann war der Bürgerkrieg zu Ende? 1920? Nein, mein Lieber, der geht heute noch weiter. Nur mit anderen Mitteln.«
Man geht sicher nicht fehl, wenn man aus solchen Äußerungen schlußfolgert, daß Scholochow mit der mahnenden Stimme seiner Kunst dazu beitragen wollte, den unaufhörlichen, opferreichen Krieg der Machthaber seines Landes gegen das eigene Volk zu beenden, den Weg vom »Kriegs-« zum »Friedenssozialismus« zu finden. Es ist bedeutsam, wenn in den letzten (künstlerisch stärksten) Teilen des »Stillen Don« der Blick immer mehr auf die leeren und zerstörten Höfe gelenkt wird, die Stimmen der leidtra-
genden Frauen und Mütter immer vernehmlicher werden und auch der vielgeprüfte Grigori Melechow zu dem Schluß kommt: » ... meine Hände sind zur Arbeit da, nicht zur Kriegführung.«
Aus heutiger Sicht erscheint der »Stille Don« nicht nur als bedeutendste künstlerische Schöpfung Scholochows, sondern darüber hinaus als ideeller Drehund Wendepunkt seines ganzen literarischen Werks. Jedenfalls folgte der Darbietung einer apokalyptischen Frontalansicht des großen Hinschlachtens der (erst in einem späten vertrauten Gespräch bekannte) Vorsatz, den Lesern fortan bestimmte Wahrheiten über ihre Zeit und die Gesellschaft schonend zu vermitteln (»der kluge Leser wird schon begreifen ...«), um nicht neues »Chaos«, neue Konfrontationen hervorzurufen.
Die derart veränderte Strategie des Autors hatte natürlich Konsequenzen. Das zeigte sich ansatzweise bereits im ersten Teil des Romans »Neuland unterm Pflug«. Zwar wurde er nicht als »Lehrbuch« der Kollektivierung (wie ein altes, bis heute gegen Scholochow verwendetes Klischee lautet) geschrieben, wohl aber in der Absicht, den Landsleuten Mut zu machen auf dem Weg in eine völlig unerprobte Art sozialen Daseins. In vielen dramatischen Szenen dieses Buches (etwa in denen der »Kulaken«-Enteignung oder des gnadenlosen Umgangs der stalinistischen Parteibürokratie mit einem ehrlichen Kommunisten wie Nagulnow) bewährt
sich noch einmal die schonungslose Darstellung zeittypischer Vorgänge. Doch mit dem erst 1959 abgeschlossenen zweiten Teil ging Scholochow der grauenvollen Verschlimmerung der Zustände in den von Hunger und Terror heimgesuchten Dörfern aus dem Wege; er schuf Bilder eines sich harmonisierenden Lebens, die in ein erwünschtes Dasein abzuheben scheinen.
Bis in die letzten Texte Scholochows begleiten uns noch seine starken, vitalen, herrlich unangepaßten Charaktere (schon Georg Lukäcs hatte die »Wucht, Plastizität und Tiefe« seiner Menschendarstellung gerühmt - übrigens eines der stärksten Argumente für Scholochows Autorschaft am »Stillen Don«). Doch das Dramatische, der Wechsel zwischen Tragik und Komik wichen zunehmend dem Humor, sogar in den Kriegskapiteln des Romantorsos »Sie kämpften für die Heimat«. Die Bilder gesellschaftlichen Lebens besaßen nicht mehr die einstige hochverdichtete Vieldimensionalität.
Erst in unseren Tagen beginnen wir das innere Drama zu begreifen, das ein Schriftsteller wie Michail Scholochow durchlebt haben muß: Er brauchte den ständigen Dialog mit seinen Lesern. Schreiben für die Schublade war ihm gänzlich unmöglich, lieber verwarf er ein literarisches Projekt. So soll es mit dem als Trilogie gedachten Roman »Sie kämpften für die Heimat« geschehen sein, nachdem ein für den Abdruck in der »Prawda« schon gemildertes »Probe«-Kapitel (mit Aussagen zum GULAG) durch die Führungsriege um Breshnew mißbilligt worden war. Was blieb ihm, wenn er nur noch mit Unterbrechungen und mit halber Stimmkraft »reden« konnte? Gründe genug, uns seiner heute mit dem Bemühen um Verständnis zu erinnern.
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