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  • Politik
  • Dem russischen Filmregisseur Andrej Michalkow-Kontschalowski zum 60. Geburtstag

Seine Heimat nahm er überallhin mit

  • Martin Mund
  • Lesedauer: 4 Min.

Foto: Filmfest München

einhalbstündige Mammutwerk mit Bertoluccis »1900«, in Cannes gab es den Speziaipreis, aber die einheimischen Zensoren waren von der eruptiven Kraft verstört und zwangen den Regisseur zu Änderungen.

Michalkow-Kontschalowski verließ die UdSSR in Richtung Hollywood, wartete drei Jahre auf Arbeit und drehte dann ein paar Filme, die übers amerikanische Mittelmaß kaum hinausragten, Starkino mit Nastassja Kinski (»Maria's Lovers«), Jon Voight (»Runaway Train«), Whoopi Goldberg (»Homer und Eddie«) oder Sylvester Stallone (»Tango & Cash«). Nur in »Shy People« (1987), aufgenommen in

Wer ist der Berühmtere von beiden? Ich weiß nicht, ob sich die Brüder Nikita Michalkow und Andrej Michalkow-Kontschalowski jemals diese Frage gestellt haben, und sie ist eigentlich auch gar nicht wichtig. Beide haben große Filme gedreht, beide gehören gleichsam zu den »modernen Klassikern« des sowjetischen Kinos - und es ist bis heute ein Gewinn, ihre jeweils neuen Arbeiten in Augenschein zu nehmen. Im übrigen gehört ihre Familie schon seit Jahrhunderten zur russischen Elite: Urgroßvater und Großvater waren bedeutende Maler, der Vater galt als ein Dichter von Rang. Sohn Andrej distanzierte sich allerdings von ihm: »Er war ein absolut korrupter Funktionär, ein Kommunist nur mit Worten, ängstlich, nahe bei der Macht. Er vergeudete sein Talent als Schriftsteller und wurde Politiker Damals

nahm ich den Namen Kontschalowski an ...« Andrej Michalkow-Kontschalowski wird heute sechzig Jahre alt. Daß deutsche Fernsehanstalten, die noch jeden drittklassigen US-Regisseur bei runden Geburtstagen mit Filmreihen ehren, nicht daran gedacht haben, ist kaum verwunderlich; die wichtigen osteuropäischen Künstler sind eben nie im Blickfeld der Quotenhirsche. Dabei böte gerade Kontschalowskis Werk alles, was großes Kino ausmacht: opulente Bilder, kühne Strukturen, faszinierende Geschichten, literarische Brillanz. Begonnen hat das nach dem Studium an der Moskauer Filmhochschule WGIK mit Drehbüchern für seinen Freund Andrej Tarkowski; und das eigene Regiedebüt war »Der erste Lehrer« (1965) nach einer Erzählung von Tschingis Aitmatow, ein Film über einen fanatischen Rotarmisten, der als Pädagoge in ein kirgisisches Bergdorf mit feudalistischen Strukturen geschickt wird. Der zweite Film, »Assjas Glück« (1967),

wurde verboten, eine skurrile Liebesgeschichte auf dem Dorfe, und Michalkow-Kontschalowski widmete sich für einige Zeit der russischen Klassik. »Adelsnest« (1969) nach Turgenjew und »Onkel Wanja« (1971) nach Tschechow gehören zu diesen gediegenen Adaptionen: wunderbar gespielt, dicht fotografiert und thematisch durchaus gegenwärtig; reflektierten sie doch auch die Rolle der Intellektuellen, ihre Einsamkeit und ihre Fluchtbewegungen, die Sehnsucht nach Natur und Natürlichkeit.

In die Gegenwart kehrte Michalkow-Kontschalowski mit »Romanze für Verliebte« (1974) zurück, einer pathetischen »Genrekreuzung aus Musical, Melodram und poetischem Epos« (Andrej Plachow), in der die Helden in Versen sprechen. Zum internationalen Erfolg wurde »Sibiriade« (1977), Legende eines sibirischen Dorfes und Bilanz von sechzig Jahren russischer Entwicklung, ein Film über Liebe und Haß. Kritiker verglichen das drei-

den Sümpfen des Mississippi, erreichte er erneut die philosophischen Dimensionen früherer Arbeiten: die düster-realistische Familiensaga einer autoritären Mutter und ihrer Kinder entwickelte sich zum Diskurs über Totalitarismus und Freiheit.

In seine Heimat kehrte Michalkow-Kontschalowski Anfang der neunziger Jahre zurück und durfte sogleich in den geheiligten Räumen des Kreml drehen: »Der innere Kreis« erzählt die Geschichte von Stalins privatem Filmvorführer; eine psychologische Studie über einen Mitläufer, dem sich erst zu spät die Augen öffnen. »Hühnchen, mein Hühnchen« (1994) schließlich geriet zur Satire auf das russische Volksleben, die abgrundtiefe Schlamperei und den himmelschreienden Bürokratismus.

»Ich habe nie Filme gegen etwas gemacht«, hat Michalkow-Kontschalowski einmal gesagt, »ich liebe meine Menschen. Ich kann nicht einen Film über etwas machen, das ich nicht liebe. Das heißt nicht, daß meine Menschen gut sind. Sie können sogar ziemlich schlecht sein. Aber ich muß sie lieben, um einen Film über sie zu machen. Alle meine Figuren sind mir nah und teuer.« Diese Güte, Zärtlichkeit, ja Barmherzigkeit ist in allen Werken des Regisseurs spürbar, selbst noch im schwächsten Hollywood-Melodram. Vielleicht ist diese Haltung ja auch etwas speziell Russisches. Insofern hat Andrej Michalkow-Kontschalowski, der Weltbürger aus Moskau, seine Heimat überallhin mitgenommen.

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