»Rechtsextreme als Akteure der Milzbrandattacken denkbar«

USA-Experte Thomas Grumke: Bereits früher Bio-Waffen-Anschläge geplant

  • Lesedauer: 4 Min.

Der Berliner Politikwissenschaftler Dr. Thomas Grumke schließt Rechtsextreme als Urheber der jüngsten Milzbrandanschläge in den USA nicht aus. Der 31-jährige Forscher - er hat 2000 an der Europa-Universität Viadrina zum Rechtsextremismus in den USA promoviert - ist Lehrbeauftragter am John-F.-Kennedy-Institut der FU Berlin und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum Demokratische Kultur.

Experten wie Oliver Thränert vom Deutschen Institut für internationale Politik in Berlin vermuten bei den Milzbrandanschlägen in den USA eher einen rechtsradikalen Hintergrund. Thränert meint, die Anwendung von Milzbrand passe nicht in die Signatur von Osama bin Laden. Ihr Kommentar?

Mir scheint, dass jede Art von Waffe in die Signatur von bin Laden passt. Aber eine mögliche Urheberschaft von USA-Rechtsextremisten ist nicht von der Hand zu weisen. Es hat in der Vergangenheit schon Fälle gegeben, wo Rechtsextremisten auch mit Milzbranderregern experimentiert haben. Es gibt auch in der Primärliteratur Hinweise, dass man durchaus bereit wäre, das dann anzuwenden.

Das heißt, Rechtsextremisten könnten hier als Trittbrettfahrer auftreten?

Das ist denkbar. Bereits 1995 wurde ein ehemaliges Mitglied der rechtsextremistischen Organisation Aryan Nations, der Mikrobiologe Larry Wayne Harris, mit einer Lieferung Pesterreger festgenommen. 1998 wurden Pläne aus dem Umfeld der rassistischen Bewegung Christian Identity - sie hat rund 50000 Anhänger in den USA - aufgedeckt, das Trinkwasser von großen Städten wie New York und Washington mit Zyanid zu vergiften.

Wie würden Sie die gegenwärtigen Bio-Terroranschläge charakterisieren?

USA-Justizminister Ashcroft äußerte in einem Interview, es gebe möglicherweise zwei Akteure. Es sind ja auch zwei verschiedene Stämme von Milzbranderregern verschickt worden. Der eine ist eine recht einfache Kultur, die wohl auch in der Landwirtschaft vorkommt. Das ist jene, die nach Florida und an verschiedene TV-Sender geschickt wurde. Und es gibt eine zweite Kultur, bei der man vermutet, dass sie innerhalb eines Waffenprogramms entwickelt worden sein könnte. Das ist jedenfalls eine sehr feine Kultur, ein feiner Staub, der sich sofort verbreitet. Deswegen der Alarm im Capitol, die Befürchtung, dass diese Milzbrand-Variante in die Klimaanlagen geraten sein könnte. Bei dieser Kultur wird gesagt, dass es fast auszuschließen ist, dass jemand von außerhalb an solche Waffenprogramme herankommt.
Wie aber können sich die Täter dennoch Zugang zu solchen unter sehr geheimen Bedingungen produzierten Stoffen verschaffen?

Das ist meiner Ansicht nach nur eine Frage des Geldes. Da ist natürlich jemand wie Osama bin Laden auch recht gut gestellt. Ich denke mal, auch in Republiken der ehemaligen Sowjetunion, wo es ja zum Teil verheerende Zustände gibt, was die Waffenbestände anbetrifft, gibt es offenbar solche Möglichkeiten.

Das heißt, die Milzbranderreger könnten Ihrer Meinung aus verschiedenen geografischen Richtungen kommen.

Das ist die Vermutung, die eben auch Justizminister Ashcroft äußerte. Das finde ich sehr schlüssig. Wenn wir an die USA denken: Der bereits erwähnte rechtsextremistische Mikrobiologe Harris hatte etwas Ähnliches scheinbar auch vor. Das ist ja ermittelt worden und das belegt, dass es auch in dieser Szene Leute gibt, die durchaus in der Lage sind, so etwas zu machen.

Sie hatten nach dem 11. September die These vertreten, dass die Anschläge auf WTC und Pentagon möglicherweise auch von Rechtsextremen ausgeführt worden seien. Was hatte Sie dazu veranlasst?

Ich bin gefragt worden, ob es denkbar wäre, dass auch Rechtsextremisten den Fanatismus und die Ressourcen für einen solchen Anschlag hätten. Das habe ich bejaht. Gerade an Fanatismus fehlt es bei ihnen auf keinen Fall. Das Feindbild von Islamismus und Rechtsextremismus ist ja in zentralen Punkten identisch. Sie treffen sich im Antisemitismus, aber auch in ihrem Hass auf die USA-Regierung und auf das gesamte politische System in den USA. Die Rechtsextremen nennen die Regierung in Washington ja auch ZOG, zionistisch okkupierte Regierung.

Da könnte man fast annehmen, dass es bei den Verbrechen von New York und Washington doch irgendeine Art finsterer Zusammenarbeit gegeben hat.

Nein. Dafür gibt es keine konkreten Anzeichen. Es gibt diese Gemeinsamkeiten auf der ideologischen Ebene. Es muss sich ja nicht automatisch in Aktionen umsetzen, es ist aber auch nicht auszuschließen. Bei den Milzbrandanschlägen kann es aber durchaus sein, dass es dort jetzt solche Trittbrettfahrer gibt, die in den Motiven mit bin Laden übereinstimmen, die Unsicherheit noch verstärken wollen und wirklich mit Terror auf eine Destabilisierung des politischen Systems in den USA zielen.

Fragen: Jochen Reinert


Unter dem Titel »Rechtsextremismus in den USA« ist soeben Thomas Grumkes Dissertation bei Leske+Budrich, Opladen erschienen, brosch., 275 S., Preis 36 Mark.

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